Epilepsie unter Sofosbuvir und Daclatasvir?

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 4/2017

Autor

Zusammenfassung

Berichtet wird über einen Grand-mal-Anfall bei einem Patienten unter der Behandlung einer chronischen Hepatitis C mit Sofosbuvir und Daclatasvir.

Abstract

We report the case of a patient suffering from a grand mal seizure under treatment of a chronic hepatitis c with sofosbuvir and daclatasvir.

Sofosbuvir (Sovaldi®) ist das erste hochwirksame Präparat, welches 2014 zur Behandlung der chronischen Hepatitis C bei Erwachsenen eingeführt wurde. Es handelt sich um einen nukleotidischen Polymerase-Inhibitor. Als Prodrug rasch resorbiert, wird es in Leber und Darm stufenweise metabolisiert bis hin zum pharmakologisch wirksamen Uridin-Nukleosidanalogon-Triphosphat. Durch konsekutive Synthesehemmung der RNS abhängigen RNS-Polymerase NS5B des Hepatitis-C-Virus (HCV) wird dessen Replikation verhindert. Sovaldi® wird oral über zwölf Wochen appliziert – in der Regel in Kombination mit einem NS5A-Inhibitor. Dementsprechend gilt die Kombination aus Sofosbuvir und Daclatasvir (Daklinza®) als Standardtherapie bei HCV-Genotyp-3-Infektion (1;2).

Die Angaben zu Nebenwirkungen von Sofosbuvir beruhen auf gepoolten Daten aus fünf klinischen Phase-3-Studien (3). Namentlich bei antiviraler Kombinationstherapie wurden folgende Nebenwirkungen angegeben: Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen, Übelkeit, Erschöpfung, Reizbarkeit sowie Bilirubinanstieg. Genannt wurden zudem Depression, Aufmerksamkeitsstörungen, Atembeschwerden, Husten, Bauchbeschwerden, Obstipation, Verdauungsstörungen, Gelenkschmerzen, Rückenschmerzen, Muskel- und Muskelschmerzen, Temperaturanstieg, Schwäche sowie Pruritus und Hauttrockenheit. Epileptische Anfälle wie in folgendem Fallbericht wurden nicht erwähnt.

Sofosbuvir wurde 2014, also im Jahr seiner Markteinführung, in 0,63 Mio. DDD verordnet (4).

Kasuistik

Ein 57-jähriger Patient, der wegen Hepatitis-C-Genotyp-3-Infektion im Jahre 2009 mit Peginterferon und Ribavirin behandelt worden war, hatte gemäß elastographischer Untersuchungen im August 2015 eine signifikante Leberfibrose Stadium 3 mit leichter Splenomegalie entwickelt. Aufgrund weiter bestehender Viruslast wurde von Oktober 2015 bis Januar 2016 über zwölf Wochen eine Kombinationstherapie mit Sovaldi® (400 mg/d) und Daklinza® (60 mg/d) durchgeführt. Acht Wochen nach Beendigung der Therapie war die Viruslast unter der Nachweisgrenze, sodass von einer Heilung ausgegangen wurde. Allerdings war in den letzten drei Therapiewochen die Arbeitsfähigkeit des Patienten beeinträchtigt gewesen. Es traten Kopfschmerzen, Schwindel, Gangunsicherheit und Schmerzen im Bewegungsapparat auf. Zwei Tage vor Ende der Therapie fühlte sich der Patient nicht gut. Er rief seine gerade abwesende Frau an und erschien dieser am Telefon „etwas verwirrt“. Letztere fand ihn dann mit Zungenbiss und Erinnerungslücke für die vorhergehenden Ereignisse im Bett liegend vor. Am folgenden Tag klagte der Patient über starken Muskelkater und Rückenschmerz; der Kreatinkinase-Wert war auf 1500 U/l angestiegen. Wegen dringendem Verdacht auf epileptischen Anfall folgte eine sorgfältige neurologische Diagnostik mit Kopf-MRT, wiederholten EEG-Ableitungen, Laboranalytik sowie EKG und Röntgenuntersuchung der Wirbelsäule. Die Lumbalpunktion wurde allerdings abgelehnt.

Nach Absetzen von Sofosbuvir und Daclatasvir bildeten sich die oben erwähnten Nebenwirkungen zurück. Weitere epileptische Anfälle wurden nicht mehr berichtet; eine antikonvulsive Therapie hatte man nicht eingeleitet.

Diskussion

Epileptische Anfälle sind als Nebenwirkung in der Fachinfo weder für Sovaldi® noch für Daklinza® (5) genannt. Auch als Komplikation der chronischen Hepatitis C ist Epilepsie nicht bekannt, obwohl bei Patienten mit diesem Leiden zahlreiche ZNS-Komplikationen beobachtet wurden, von enzephalitischen Reaktionen bis zur spastischen Tetraparese oder zum Restless-Legs-Syndrom hin (6). Wir fanden in der Literatur jedoch einen Hinweis auf epileptische Anfälle bei der Kombinationsbehandlung einer Hepatitis C mit Sofosbuvir und Simeprevir (7). In der europäischen Datenbank gemeldeter Verdachtsfälle von Arzneimittelnebenwirkungen (EudraVigilance, http://www.adrreports.eu/) sind weitere Berichte über Krampfanfälle sowohl im Zusammanhang mit Sofosbuvir als auch mit Daclatasvir erfasst. Damit ist die Kausalität der epileptischen Anfälle noch nicht bewiesen. Da aber beim hier vorgestellten Krankheitsfall konkurrierende Ursachen wie Alkoholismus, prokonvulsive Begleitmedikation, Schädel-Hirn-Trauma oder Gehirnentzündung in der Vorgeschichte praktisch komplett ausgeschlossen waren, sollte man diese Kasuistik als möglichen Hinweis auf eine sehr seltene Nebenwirkung von Sofosbuvir und/oder Daclatasvir bewerten. Zeichen einer Niereninsuffizienz, die für einen ausgeprägten Anstieg der Plasmaspiegel verantwortlich sein könnte, waren ebenso wenig vorhanden (Plasma-Kreatinin 1,0 mg/l; GFR 79 ml/min) wie eine Begleitmedikation mit einem CYP2A4-Inhibitor.

Fazit für die Praxis

Das Auftreten von gravierenden aber seltenen Nebenwirkungen von Arzneimitteln erst nach Markteinführung ist nicht ungewöhnlich. Die Zulassungsstudien können nicht alle individuellen Besonderheiten der Probanden erfassen, dazu sind sie zahlenmäßig zu klein. Umso wichtiger ist es, dass Verdachtsfälle bisher nicht bekannter Nebenwirkungen gemeldet werden. Nur auf diese Weise ist eine kontinuierliche Überwachung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses eines Arzneimittels, wie in diesem Fall Sofosbuvir (und Daclatasvir), möglich.

Interessenkonflikte

Ein Interessenkonflikt wird vom Autor verneint.

Literatur
  1. Nelson DR, Cooper JN, Lalezari JP et al.: All-oral 12-week treatment with daclatasvir plus sofosbuvir in patients hepatitis C virus genotype 3: ALLY-3 phase III study. Hematology 2015; 61: 1127-1135.
  2. Zeuzem S: Therapieoptionen bei Hepatitis C. Dtsch Arztebl Int 2017; 114: 11-21.
  3. Gilead Sciences GmbH: Fachinformation “Sovaldi® 400 mg Filmtabletten”. Stand: Februar 2017.
  4. Bristol-Myers Squibb GmbH & Co. KGaA: Fachinformation “Daklinza® Filmtabletten“. Stand: Februar 2017.
  5. Schwabe U, Paffrath D (Hrsg.): Arzneiverordnungs-Report 2016. Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag, 2016.
  6. Schmidt C: Neurologische Komplikationen bei Hepatitis C-Erkrankten. Medizinische Dissertration an der Universität Göttingen, 2006.
  7. Syal G, Heldenbrand SD, Duarte-Rojo A: Seizures as a potential complication of treatment with simeprevir and sofosbovir. Am J Ther 2016; 23 (2): e570-571.