Letal verlaufene akute Hepatitis E unter Vedolizumab

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 3/2017

Autoren

Zusammenfassung

Wir berichten den ersten Fall einer tödlich verlaufenen akuten Hepatitis E unter der Behandlung einer Colitis ulcerosa mit dem Integrin-Antikörper Vedolizumab. Auch wenn eine Kausalität zwischen der Behandlung, der Akquisition der Infektion und ihrem Verlauf nicht gesichert ist, müssen doch alle Patienten unter diesem Therapeutikum nicht nur fäkal-orale Übertragungen sondern insbesondere unzureichend gegartes Fleisch/Innereien meiden.

Abstract

We report the first case of a fatal acute hepatitis E under treatment with the integrin antibody vedolizumab for colitis ulcerosa. Although causality is not proven between treatment, acquisition of the infection and fatal course, all patients under this drug must avoid fecal-oral transfer of infections and in particular ingestion of undercooked meat/entrails.

Vedolizumab ist zugelassen zur Behandlung von Patienten mit Colitis ulcerosa oder Morbus Crohn im Erwachsenenalter mit mittlerer bis schwerer Aktivität, die mit einer konventionellen Therapie oder einer Behandlung mit TNF-α-Antikörpern nicht oder nicht mehr ausreichend behandelbar sind (1). In den Zulassungsstudien lag die Wirksamkeit in etwa doppelt so hoch wie unter Placebo (2;3).

Wir berichten den Fall einer 30-jährigen Patientin mit Colitis ulcerosa, die unter der Behandlung mit Vedolizumab eine fulminante Hepatitis E entwickelte und an den Komplikationen verstarb.

Einige Jahre vor der Therapie mit Vedolizumab wurde der Patientin ein Teil der Lunge aufgrund rezidivierender Infekte mit Ausbildung eines Abszesses reseziert. Außerdem bestand ein Zustand nach HELLP-Syndrom. Aufgrund des Sektionsberichtes ist davon auszugehen, dass die Colitis ulcerosa unter der Vedolizumab-Therapie in Remission war.

Ab etwa vier Wochen nach der letzten Vedolizumab-Applikation entwickelte die Patientin Inappetenz, Übelkeit und progredientes Erbrechen. Eine Laborbestimmung zwei Wochen später zeigte eine Erhöhung der GOT auf über 3000 U/l und GPT auf über 4000 U/l. Dokumentiert lagen die Leberwerte in den davorliegenden drei Monaten im Normbereich.

Aufgrund eines Ikterus erfolgte nach drei weiteren Tagen die stationäre Aufnahme mit Diagnose eines akuten Leberversagens. Die Transaminasen bestätigten sich in genannter Höhe bei deutlich erhöhter INR als Zeichen der gestörten Syntheseleistung. Diese Veränderungen persistierten bis zum Tod der Patientin. Als Ursache des akuten Leberversagens wurde eine akute Hepatitis E vermutet, aufgrund des Nachweises von IGM-Antikörpern gegen das Virus.

Die Patientin wurde 72 Stunden nach stationärer Aufnahme somnolent, katecholaminpflichtig und entwickelte eine Laktatazidose. Unter der daraufhin begonnenen kontrollierten Beatmung wurde die Patientin reanimationspflichtig. Als Ursache der dramatischen klinischen Verschlechterung fand sich eine ausgeprägte, akute Lungenembolie. Innerhalb von Stunden verstarb die Patientin an einer hämodynamischen und pulmonalen Insuffizienz. Die klinisch gestellten Diagnosen wurden durch eine Obduktion bestätigt. Quelle der Lungenembolie war eine tiefe Beinvenenthrombose links, die am ehesten auf die Störung der Gerinnungshomöostase bei akutem Leberversagen zurückzuführen war.

Vedolizumab ist ein darmselektiver Integrin-Antikörper, der die Migration von proinflammatorischen T-Helferzellen in die Darmwand und dadurch den Entzündungsprozess hemmt. Entsprechend dem selektiven Wirkmechanismus an mukosalen Oberflächen entwickelt sich vorherrschend eine lokale Immunsuppression. Dies äußert sich z. B. darin, dass die Immunantwort bei parenteral applizierten Antigenen (Impfung) nicht gestört ist, jedoch bei enteraler Applikation vermindert ausfällt (4). Klinisch korreliert zu dieser mukosalen Immunmodulation bei den Nebenwirkungen eine Disposition zu Nasopharyngitiden, Sinusitiden, Infektionen der oberen Atemwege, Bronchitis, Grippe und Gastroenteritis (1).

Lebensbedrohliche Infektionen im Sinne einer Sepsis werden in den Zulassungsstudien vereinzelt berichtet, zum Teil mit letalem Ausgang. Die Fachinformation gibt vor, dass Patienten mit aktiven, schweren Infektionen nicht oder, wenn sie im Verlauf auftreten, nicht mehr mit Vedolizumab behandelt werden sollen (5).

Die Hepatitis-E-Virus(HEV)-Infektion ist weltweit – auch in Deutschland – endemisch und stellt inzwischen die häufigste Ursache für eine akute Virushepatitis dar (6). Das Hepatitis-E-Virus kann selten zu einem akuten Leberversagen führen (7). Hauptübertragungsweg ist weltweit die fäkal-orale Übertragung durch kontaminiertes Wasser. Hierzulande ist die intestinale Aufnahme des Virus durch den Verzehr von nicht ausreichend gegarten Innereien oder Fleisch infizierter Haus- oder Wildtiere für einen erheblichen Teil der autochthonen Erkrankungsfälle verantwortlich (8).

Eine erleichterte Infektion mit dem Hepatitis-E-Virus unter Therapie mit Vedolizumab erscheint insbesondere vor dem Hintergrund der zuvor erwähnten Häufung von Mukosa-assoziierten Infektionen möglich. Im vorgestellten Fall erfolgte eine sehr eingehende Ursachendiagnostik des akuten Leberversagens mit weitgehendem Ausschluss anderer Ursachen des akuten Leberversagens. Es fanden sich in zwei Testverfahren IgM-Antikörper gegen das Hepatitis-E Virus, wodurch die akute Infektion als gesichert angesehen werden kann. Virus-RNA war im Serum nicht nachweisbar, was in der – in diesem Fall bereits eingetretenen − ikterischen Phase typisch ist. Einzig bemerkenswert ist der fehlende Nachweis der Virus-RNA im Stuhl.

Ob Vedolizumab neben einer vermutlich erhöhten Suszeptibilität auch den Verlauf einer Hepatitis E negativ beeinflusst, ist nicht bekannt. Bisher gibt es hierzu keine Fallberichte. Man müsste unter dieser Annahme Reaktivierungen chronischer Virusinfektionen der Leber, zum Beispiel Hepatitis B, erwarten. Dies wurde bislang aber ebenfalls nicht beobachtet.

Fazit für die Praxis

Wir berichten den ersten Fall einer fulminanten, letal verlaufenen Hepatitis E unter einer Therapie mit Vedolizumab bei einer Patientin mit Colitis ulcerosa. Auch wenn ein kausaler Zusammenhang nicht als gesichert gelten kann, erscheint aufgrund der Suppression der mukosalen Immunreaktion durch Vedolizumab eine Begünstigung der Infektion möglich. Der Fall unterstreicht die Notwendigkeit einer Lebensstilberatung (Vermeidung von rohem Fleisch und Rohmilchprodukten) vor Einleitung einer immunmodulatorischen Therapie.

Interessenkonflikte

Ein Interessenkonflikt wird von den Autoren verneint.

Literatur
  1. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: Entyvio® (Vedolizumab): www.akdae.de/Arzneimitteltherapie/NA/Archiv/201412-Entyvio.pdf. Neue Arzneimittel 2014-12 vom 17. Oktober 2014.
  2. Feagan BG, Rutgeerts P, Sands BE et al.; GEMINI 1 Study Group: Vedolizumab as induction and maintenance therapy for ulcerative colitis.N Engl J Med 2013; 369: 699-710.
  3. Sandborn WJ, Feagan BG, Rutgeerts P et al.; GEMINI 2 Study Group: Vedolizumab as induction and maintenance therapy for Crohn's disease. N Engl J Med 2013; 369: 711-721.
  4. Wyant T, Leach T, Sankoh S et al.: Vedolizumab affects antibody responses to immunisation selectively in the gastrointestinal tract: randomised controlled trial results. Gut 2015 Jan; 64: 77-83.
  5. Takeda GmbH: Gebrauchsinformation: Information für Patienten: Entyvio® 300 mg Pulver für ein Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung:http://www.takeda.de/~/media/Countries/de/Files/Patienten/Beilagen/E/Entyvio_PIL_2014-04.pdf
  6. Hartl J, Wehmeyer MH, Pischke S: Acute Hepatitis E: two sides of the same coin. Viruses 2016; 8: pii: E299.
  7. Manka P, Verheyen J, Gerken G, Canbay A: Liver failure due to acute viral hepatitis (A-E). Visc Med 2016; 32: 80-85.
  8. Hartl J, Otto B, Madden RG et al.: Hepatitis E seroprevalence in Europe: a meta-analysis. Viruses 2016; 8: pii: E211.