Gynäkomastie als unerwünschte Arzneimittelwirkung

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 2/2017

Autor

Zusammenfassung

Bericht über häufig im Spontanerfassungssystem unerwünschter Arzneimittelwirkungen (UAW) genannte Arzneimittel, welche Gynäkomastie als Nebenwirkung induzieren können.

Abstract

Summary on drugs frequently reported to induce gynaecomastia in the spontaneous adverse effects (AE) reporting system.

Gynäkomastie ist eine benigne Proliferation männlichen Brustdrüsengewebes. Medikamente sollen für 10–25 % aller Gynäkomastie-Fälle verantwortlich sein (1).

Eine umfangreiche Literaturübersicht zu diesem Thema wurde 2015 publiziert (2). Sie stützt sich auf über 50 Literaturstellen, in denen als UAW eine Gynäkomastie genannt ist. Die Autoren fanden 159 Fälle bei 41 Medikamenten. In rund 60 % der Fälle war diese UAW einseitig, zumindest anfangs. Ältere Männer waren eher befallen als jüngere. Die Remissionsrate (nach Absetzen des verdächtigten Medikamentes) war mit rund 80 % hoch. Eine hormonale Veränderung war eher selten. Wenn sie sich nachweisen ließ, war ein erhöhtes Östradiol/Testosteron-Verhältnis vorhanden. Im Allgemeinen lässt sich aber das Phänomen nicht durch Hormonveränderungen erklären. Somit bleibt die Pathophysiologie offen. Dies lässt sich ja bereits aus der oft einseitigen Entwicklung ableiten. Verordnungszahlen wurden nicht in Relation zu den gemeldeten Nebenwirkungen gesetzt. Immerhin weisen sie hin auf eine große Häufigkeit bei Omeprazol und (dem heute selten verordneten) Cimetidin. Eine Sonderstellung nimmt Spironolacton ein. In mehreren Studien wurde berichtet, dass alle Patienten mit Leberzirrhose und Aszites eine Gynäkomastie entwickelten. Wurde Aldosteron bei einer Hypertonie verordnet, lag die Inzidenz wesentlich niedriger. Dies liegt dann womöglich an der deutlich geringeren Dosis in dieser Indikation.

Eine neuere Übersicht (1) stützt sich auf Angaben des Neuseeländischen Centre for Adverse Reaction Monitoring (CARM). Ihr lagen 124 Berichte vor. Die 81 Fälle, in denen ein Medikament dreimal oder mehr genannt wurde, gliedern sich wie folgt auf:

  1. Spironolacton 28-mal
  2. Omeprazol 10-mal
  3. Cimetidin, Ranitidin, Risperidon, Simvastatin je 7-mal
  4. Digoxin 6-mal
  5. Atorvastatin, Finasterid, Methyldopa je 3-mal
    (nur Meldungen von drei und mehr angegeben, das sind rund zwei Drittel der Eingänge).

Dies war Anlass, das Spontanerfassungssystem der AkdÄ abzufragen. Wir fanden 437 Meldungen über Gynäkomastie als UAW. Diese bezogen sich auf:

  1. Finasterid: 36 Meldungen
  2. Spironolacton: 29 Meldungen
  3. Risperidon: 20 Meldungen
  4. Hydrochlorothiazid: 16 Meldungen
  5. Olanzapin, Amisulprid, Ramipril, Ranitidin: je 11 Meldungen
  6. Omeprazol: 10 Meldungen
    (nur Meldungen von 10 und mehr angegeben, also nur rund ein Drittel der gesamten Eingänge).

Dass sich Finasterid und Spironolacton in beiden Verzeichnissen in hoher Zahl befinden, bedarf keines Kommentars. Dass aber Omeprazol und Ranitidin in beiden Fällen aufgeführt werden, erstaunt. Die relative Häufigkeit von Omeprazol ist wohl nicht jedem Arzt geläufig. Sie ist auch in der Fachinformation nicht verzeichnet. Immerhin wurde sie schon vor mehr als 15 Jahren in einem Leserbrief an das New England Journal of Medicine (3) beschrieben. Die Autoren fanden damals keine hormonale Anomalie (Testosteron, Östradiol, FSH, LH, Progesteron, Prolaktin jeweils im Normbereich). Eine eigene Literaturrecherche ergab, dass für Esomeprazol und Rabeprazol keine Angaben zur Gynäkomastie vorhanden sind. Für Pantoprazol und Lanzoprazol findet sich je nur eine Literaturangabe. Die Gynäkomastie ist offenbar kein „Gruppenphänomen“ der PPIs. Tritt also eine Gynäkomastie unter Omeprazol auf und ist ein PPI indiziert, kann ein Versuch mit einem anderen PPI empfohlen werden. Die Cholesterinsenker Simvastatin und Atorvastatin wurden in Deutschland nicht mit dieser UAW in Zusammenhang gebracht. Bei Risperidon wird die Gynäkomastie als UAW jedoch genannt.

Nicht selten tritt die Gynäkomastie erst nach längerer Gabe des Medikamentes auf. Es kommt also – wie so oft in der Medizin – auf das „daran Denken“ an.

Bestätigt sich bei der körperlichen Untersuchung eine einseitige oder beidseitige Vergrößerung der Brustdrüse beim Mann, muss ein Mammakarzinom ausgeschlossen werden (Mammographie, Mamma-Sonographie, evtl. MRT). Bestätigt sich die Gynäkomastie, ist das Absetzen oder der Wechsel des Medikamentes die beste Maßnahme. Schließlich kommen aber auch radiologische und als letzte Option chirurgische Methoden infrage.

Fazit für die Praxis

Bekommt ein Mann im Bereich der Brustwarzen Beschwerden, so muss zunächst einmal durch Inspektion und Palpation festgestellt werden, ob eine Gynäkomastie vorliegt. Ist dies der Fall, muss ein Mammakarzinom ausgeschlossen werden, wenn nötig durch bildgebende Verfahren. Die Medikamentenanamnese sollte unter anderem die oben genannten Medikamente berücksichtigen. Können sie nicht abgesetzt oder ersetzt werden, sind Bestrahlung und notfalls chirurgische Entfernung angesagt. Tritt die Gynäkomastie unter Omeprazol auf (was nicht ganz selten ist), sollte ein anderer PPI gegeben werden.

Interessenkonflikte

Ein Interessenkonflikt wird vom Autor verneint.

Literatur
  1. New Zealand Medicines and Medical Devices Safety Authority: Drug-induced gynaecomastia. Prescriber Update 2016; 37: 37-38.
  2. Nuttal FQ, Warrier RS, Gannon MC: Gynecomastia and drugs: a critical evaluation of the literature. Eur J Clin Pharmacol 2015; 71: 569–578.
  3. Santucci L, Farroni F, Fiorucci S, Morelli A: Gynecomastia during omeprazole therapy. N Engl J Med 1991; 324: 635.