Anforderungen an die Verordnung und Anwendung von Bedarfsmedikation zur Gewährleistung von Arzneimitteltherapiesicherheit

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 1/2017

Autoren

Zusammenfassung

Die Verordnung von Bedarfsmedikation ist ein häufig genutztes Therapieprinzip, gerade bei Patienten in stationärer Pflege und insbesondere bei psychotropen Arzneimitteln. Es handelt sich dabei um Patienten mit überdurchschnittlichem Risiko für das Auftreten von Nebenwirkungen von Arzneimitteln und um Arzneimittel mit relevanten Nebenwirkungsrisiken. Wenn die Verordnung oder die Anwendung und Dokumentation nicht dem zu gewährleistenden Standard entspricht, setzt dies Patienten vermeidbaren Risiken aus. Zur Gewährleistung von Arzneimitteltherapiesicherheit sind darüber hinaus regelmäßige Prüfung von Indikation, Kombinationen und Angemessenheit der verordneten Arzneimittel und ihrer Dosierung unter Berücksichtigung der Organfunktionen des Patienten zu gewährleisten. Wirksamkeit und Verträglichkeit der Bedarfsmedikation sind ebenfalls zu prüfen und zu dokumentieren.

Abstract

The prescription of pro re nata medication (PRN) is a frequently used therapeutic concept in patients in nursing homes, especially for psychotropic drugs. This means that PRN is used in patients and for substances with an above-average risk of preventable adverse drug reactions. In many cases neither the prescription nor the application or its documentation comply with the necessary standard of medical care. The article outlines requirements for prescription and documentation of the PRN administration that have to be fulfilled to protect patients from preventable risks and harm due to PRN medication. Furthermore, to ensure an appropriate safety and quality of drug therapy there is a need for regular reviews of prescriptions, especially regarding indication, the combination of drugs and the adequacy of the prescribed medication for patient and organ function. Also, efficacy and tolerability of pro re nata medication has to be verified and documented regularly.

Einleitung

Bedarfsmedikation als Arzneimitteltherapie für einen erwarteten, noch nicht eingetretenen Bedarfsgrund stellt besondere Anforderungen an den verordnenden Arzt und den über den Einsatz des Arzneimittels entscheidenden nichtärztlichen Heilberufler oder Patienten. Der nachfolgende Artikel stellt die zur Gewährleistung von Arzneimitteltherapiesicherheit zu berücksichtigenden medizinischen Aspekte dar und zeigt mögliche Fehler und vermeidbare Risiken für Patienten auf. Dass Bedarfsmedikation auch zu vermeidbarer Gefährdung und Schädigung von Patienten führen kann, zeigt das nachfolgende Beispiel:

Ein in einem Altenheim lebender Patient leidet unter Unruhezuständen. Gemäß der Verschreibung des behandelnden Arztes ist „bei Bedarf“ Melperon-Lösung in einer in der Verordnung angegebenen Einzeldosis vorgesehen. Bei starker Agitiertheit des Patienten wird von der zuständigen Pflegekraft die angeordnete Einzeldosis verabreicht, und dies bei ihrer Meinung nach unzureichender Wirksamkeit mehrfach in kurzen Abständen wiederholt. Wegen daraufhin auftretender Atempausen ruft sie den Notarzt. Dieser stellte eine vital bedrohliche Atemdepression als Nebenwirkung einer Melperon-Überdosierung fest, leitet die künstliche Beatmung ein und veranlasst die stationäre Krankenhausbehandlung.

Um Arzneimitteltherapiesicherheit bei der Bedarfsmedikation zu gewährleisten, sind nachfolgend aufgeführte Anforderungen zu berücksichtigen, die Verordnung, Anwendung und Dokumentation betreffen.

Anforderungen an die Verordnung von Arzneimitteln als Bedarfsmedikation

Die Verordnung von Arzneimitteln ist ärztliche Aufgabe. Bei jeder Verordnung eines Arzneimittels muss der Patient eindeutig angegeben werden, in der Regel durch Vor- und Nachnamen und weitere qualifizierende Daten wie z. B. Geburtsdatum, Wohnort und/oder eindeutigem Identifier. Eine klare Benennung des Arzneimittels ist erforderlich. Entweder durch Benennung eines Fertigarzneimittels oder durch Angabe von Wirkstoff, Darreichungsform und Einzeldosisstärke. Bei der Wirkstoffverordnung ist die Angabe der Applikationsform und des Applikationsweges zwingend erforderlich. Weiterhin muss die verordnete Dosierung angegeben werden und die beabsichtigte Therapiedauer, letzteres zumindest bei zeitlich begrenzter Therapie.

Die Verordnung von Bedarfsmedikation muss über die Verordnung von Dauermedikation hinaus zusätzliche Informationen enthalten:

  1. Sie erfordert immer die Angabe eines präzise beschriebenen Bedarfsgrundes für den Einsatz des Arzneimittels. Darunter ist neben der Benennung der allgemeinen Indikation die Angabe eines konkreten Bedarfs, z. B. eines Symptoms und der zur Indikationsstellung geforderten Ausprägung des Symptoms erforderlich. Dieses muss für Pflegekräfte, aber auch für Patienten, also laienverständlich und vor allem unmissverständlich, formuliert sein. Ebenfalls angegeben werden müssen mögliche Kontraindikationen der Anwendung der Bedarfsmedikation, natürlich ebenfalls laienverständlich.
  2. Die Angaben zur Dosierung eines Bedarfsarzneimittels gehen über die Dosierungsangaben bei Dauer- und Akutmedikation hinaus, da häufig ein von der Ausprägung des Bedarfsgrundes und/oder der Wirksamkeit der Gabe abhängiger Dosierungsspielraum vorgesehen ist. Daher ist es erforderlich, neben der initialen Einzeldosis, die maximale Einzeldosis und gegebenenfalls die Schritte der möglichen Einzeldosissteigerung anzugeben. Auch in Fällen, in denen eine Einzeldosisreduktion sinnvoll sein kann und ohne Rücksprache mit dem Arzt möglich sein sollte, muss dies bei der Verordnung festgelegt werden. Ebenso sollte der Mindestabstand der Einzelgaben, die maximal mögliche Anzahl von Gaben pro Tag und – sofern dies zutrifft – eine maximale Therapiezyklusdauer angegeben werden. Maximale Tagesdosis und Gesamtdosis für einen Behandlungszeitraum sind bei einigen Substanzen ebenfalls anzugeben, z. B. für Colchicin in der Behandlung des Gichtanfalls.
  3. Dauer der Gültigkeit der Verordnung: Wie bei jedem verordneten Arzneimittel ist auch bei der Bedarfsmedikation die Verordnung in regelmäßigen Abständen auf Fortbestehen der Indikation und Angemessenheit zu überprüfen. Dies ist zumindest immer dann erforderlich, wenn sich entweder der Gesundheitszustand des Patienten oder die Arzneimitteltherapie des Patienten ändert. Die zeitliche Begrenzung der Verordnung von Bedarfsmedikation kann als Hilfsmittel dienen, um sicherzustellen, dass die inhaltliche Notwendigkeit der Verordnung vom Verordnenden sicher zeitnah wahrgenommen und überprüft wird und wird daher empfohlen.

Tabelle 1: Angabe zur ärztlichen Verordnung von Bedarfsmedikation


Anforderungen an die Anwendung von Arzneimitteln als Bedarfsmedikation

Bedarfsmedikation kann sowohl vom Patienten, den ihn unterstützenden Angehörigen oder – z. B. in Gesundheitseinrichtungen – Pflegekräften angewendet werden. Alle diese benötigen eindeutig und verständlich formulierte Bedarfsgründe und Anwendungshinweise, wie oben dargestellt. Hinweise auf Anwendungsbeschränkungen (z. B. zulässige Maximaldosen) sind für Patienten besonders wichtig und wirksam zur Verbesserung der AMTS: Die Verwendung eines „Take-Wait-Stop“-Labels ist hier ein wirksames Mittel, welches das Risiko der Einnahme einer zu hohen Dosierung durch Patienten verringert (1). Diese Form der Anwendungshinweise zielt auf die drei wichtigsten Komponenten der patientenbezogenen Arzneimitteltherapie: Dosierung (Take), Intervall (Wait) und maximale Tagesdosis (Stop).

Besondere Regelungen gelten für die Anwendung von Bedarfsmedikation durch Pflegekräfte (siehe auch MDK-Anleitung zur Qualitätssicherung nach §112, 114 SGB XI). Grundsätzlich ist es dem Pflegepersonal untersagt, Arzneimitteltherapie ohne ärztliche Verordnung zu initiieren. Ärztliche Verordnung vorausgesetzt, kann die Aufgabe der Applikation von Medikamenten vom Arzt an das Pflegepersonal übertragen werden, wobei die Verantwortung für die Therapie beim Arzt verbleibt. Für diesen Fall müssen eindeutig definierte Anweisungen zur Anwendung – wie dargestellt – vorliegen. Häufig fehlt jedoch bei der Verordnung von Bedarfsmedikation die Angabe der maximalen Einzeldosis und der maximalen täglichen Applikationsfrequenz (2). Dies kann zu Medikationsfehlern bei der Applikation der Arzneimittel durch Pflegekräfte oder durch Patienten führen.

Insbesondere bei Arzneimitteln, bei deren Einnahme zur Vermeidung unerwünschter Nebenwirkungen besondere Einnahme-/Anwendungsvorschriften zu beachten sind, sind diesbezügliche Hinweise für den Anwender zwingend zu geben.

Sofern Pflegende die Bedarfsmedikation steuern, ist eine adäquate Dokumentation der Therapie von diesen vorzunehmen. Anforderungen an die Dokumentation sind in Tabelle 2 zusammengefasst dargestellt. Sie umfasst neben der Beschreibung des jeweiligen Bedarfsgrundes den Beleg jeder einzelnen Gabe mit Datum, Uhrzeit und Dosis sowie die Dokumentation von Wirksamkeit und Verträglichkeit.

Tabelle 2: Anwendungsanforderungen von Bedarfsmedikation für die Pflegekräfte


Studien zu Anwendung und Risiken von Bedarfsmedikation

In einer Untersuchung in 13 australischen Pflegeheimen wurden 35 % der Arzneimittel als Bedarfsmedikation verordnet (3). Obwohl Bedarfsmedikation insbesondere in Pflegeheimen ein häufig genutztes Therapieprinzip ist, gibt es wenig systematische Untersuchungen zu deren Einsatz, Wirksamkeit und Sicherheit. Die meisten Untersuchungen dazu wurden in Pflegeheimen oder psychiatrischen Krankenhausabteilungen durchgeführt. Am häufigsten untersucht wurden dabei psychotrope Arzneimittel als Bedarfsmedikation.

Aufgrund des Verfügbarmachens von Anwendungsleitlinien zu diesen Arzneimitteln (z. B. Haloperidol) für Pflegekräfte wurde gezeigt, dass diese Richtlinien ohne vermehrte Arztrücksprache die Anwendung von antipsychotischen Bedarfsmedikamenten signifikant vermindern können (4). Da die Wahrnehmung der Notwendigkeit von Bedarfsmedikation bei Arzt und Pflege unterschiedlich sein kann, ist die standardisierte Verordnung der Bedarfsmedikation ein wichtiges Instrument zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit (2).

Dass Bedarfsmedikation ein relevantes Interaktionsrisiko beinhalten kann, zeigt eine Untersuchung bei 323 stationären Patienten in der Psychiatrie. Jeder 5. hatte ein Interaktionsrisiko durch CYP2D6- oder CYP3A4-abhängige Dauer- und Bedarfsmedikation (5). Eine Überprüfung der Bedarfsmedikation auf mögliche Wechselwirkungen mit anderen verordneten Arzneimitteln ist daher erforderlich. Dies gilt auch für die regelmäßige Überprüfung der Indikation der Verordnung. In einer Untersuchung in 20 Pflegeheimen zeigen die Autoren, dass 47 % der Patienten die verordnete Bedarfsmedikation gar nicht benötigen (6). Evidenz für die Entscheidung über den Einsatz von Bedarfsmedikation fehlt weitgehend (7), obwohl Bedarfsmedikation häufig verordnet wird.

Auch die Dokumentation von Bedarfsmedikation ist häufig lückenhaft. So zeigte eine Studie in bis zu 81 % der Fälle keine Dokumentation des Anwendungsgrundes und in bis zu 92 % keine Dokumentation der Wirksamkeit (8). Eine weitere Studie bestätigt dies: Bei 48 % der Gaben fehlte die Angabe des Bedarfsgrunds, bei 64 % fehlte eine Angabe zur Wirkung (9).

Zu den ökonomischen Aspekten der Bedarfsmedikation gibt es kaum Untersuchungen. Eine Studie zeigte, dass durch „stop-order policies“ die Häufigkeit der Nutzung von Bedarfsmedikation von 4,1 auf 2,1 Arzneimittel pro Patient – also fast um 50 % – gesenkt werden konnte. Es handelt sich hierbei um eine Strategie, deren Grundgedanke darin besteht, durch automatisches Absetzen bestimmter Medikation – nach einem vorher definierten Zeitraum – eine zu lange Therapiedauer zu verhindern und Kosten einzusparen. Auch wurde gezeigt, dass die Einzelverblisterung von Bedarfsmedikation die Arzneimittelkosten erheblich reduzieren kann (10).

Die Qualität der Pharmakotherapie lässt sich durch regelmäßige systematische Überprüfung der Arzneimitteltherapieverordnungen verbessern. Für eine regelmäßige Evaluation der Arzneimitteltherapie durch ein multidisziplinäres Team (Ärzte und Apotheker) zeigte eine Untersuchung eine Reduktion von arzneimittelbezogenen Problemen in Altenheimen um mehr als die Hälfte (von 2,6 auf 1,0 pro Bewohner) (11).

Eine US-amerikanischen Studie zeigte außerdem, dass durch strukturierte Überprüfung der Medikation eine Senkung der Kosten für die Bedarfsmedikation um ein Drittel erreicht werden kann (12).

Fazit für die Praxis

  • Die Verantwortung der zu gewährleistenden Arzneimitteltherapiesicherheit im Rahmen der Bedarfsmedikation liegt beim verschreibenden Arzt. Dies geschieht mittels eindeutiger und vollständiger Verordnung der Medikamente und der dazugehörigen Anwendungshinweise.
  • Die ärztliche Verordnung muss die im Text beschriebenen Informationen umfassen, sodass eine Gabe bzw. Einnahme unmissverständlich erfolgen kann. Ein Hilfsmittel stellt hierbei das sogenannte „Take-Wait-Stop“-Label dar, das in amerikanischen Studien eine positive Wirkung im Hinblick auf die Verringerung der Anzahl der Einnahmefehler gezeigt hat.
  • Ebenso ist die zeitliche Befristung und regelmäßige Kontrolle der Therapie mit Bedarfsmedikationen ein zu beachtender Faktor, um die adäquate Arzneimitteltherapie des Patienten auf Dauer sicherzustellen und Risiken zu minimieren.

Interessenkonflikte

Ein Interessenkonflikt wird von den Autoren verneint.

Literatur
  1. McCarthy DM, Davis TC, King JP et al.: Take-Wait-Stop: a patient-centered strategy for writing PRN medication instructions. J Health Commun 2013; 18 Suppl 1: 40-48.
  2. Oh SH, Woo JE, Lee DW et al.: Pro Re Nata Prescription and Perception Difference between Doctors and Nurses. Korean J Fam Med 2014; 35: 199-206.
  3. Stokes JA, Purdie DM, Roberts MS: Factors influencing PRN medication use in nursing homes. Pharm World Sci 2004; 26: 148-154.
  4. Al-Sughayir MA: Administered antipsychotic pro re nata medications in psychiatric inpatients. Pre- and post-accreditation comparison. Saudi Med J 2014; 35: 172-177.
  5. Davies SJ, Lennard MS, Ghahramani P et al.: PRN prescribing in psychiatric inpatients: potential for pharmacokinetic drug interactions. J Psychopharmacol 2007; 21: 153-160.
  6. Brown CH, DeSimone EM: Use of PRN medications in skilled nursing facilities. Contemp Pharm Pract 1980; 3: 209-215.
  7. Usher K, Holmes C, Lindsay D, Luck L: PRN psychotropic medications: the need for nursing research. Contemp Nurse 2003; 14: 248-257.
  8. Lindsey PL, Buckwalter KC: Administration of PRN medications and use of nonpharmacologic interventions in acute geropsychiatric settings: implications for practice. J Am Psychiatr Nurses Assoc 2012; 18: 82-90.
  9. Geffen J, Sorensen L, Stokes J et al.: Pro re nata medication for psychoses: an audit of practice in two metropolitan hospitals. Aust N Z J Psychiatry 2002; 36: 649-656.
  10. Brown CH: Automatic stop-order policy for PRN medications in skilled nursing facilities. Contemp Pharm Pract 1981; 4: 59-63.
  11. Davidsson M, Vibe OE, Ruths S, Blix HS: A multidisciplinary approach to improve drug therapy in nursing homes. J Multidiscip Healthc 2011; 4: 9-13.
  12. Kojima G, Bell C, Tamura B et al.: Reducing cost by reducing polypharmacy: the polypharmacy outcomes project. J Am Med Dir Assoc 2012; 13: 818:e11-15.