Die Behandlung von neuropsychiatrischen Störungen bei Demenz mit Antipsychotika

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 4/2016

Autor

Zusammenfassung

Die Indikation bei der Anwendung von Antipsychotika zur Behandlung von Verhaltensstörungen bei Demenz soll streng gestellt werden. Die geringe Wirksamkeit ist gegen das Risiko einer erhöhten Mortalität und der Zunahme von zerebrovaskulären Ereignissen abzuwägen.

Abstract

Antipsychotic drugs for the treatment of behavioral symptoms in dementia should be prescribed with strict indications. Modest benefits are associated with an elevated mortality and an increased risk of cerebrovascular events.

Vorbemerkung

Der folgende Text beschränkt sich auf die Anwendung von Antipsychotika (AP) in der Indikation neuropsychiatrischer Symptome bei Demenz bei Alzheimerkrankheit und bei vaskulärer Enzephalopathie. Weitere Substanzgruppen, die in dieser Indikation eingesetzt werden, sind nicht Gegenstand dieser Übersicht.

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Das Demenzsyndrom ist definiert als eine Einbuße kognitiver Leistungen. Störungen des Affekts und des Verhaltens sind für Patienten und Umgebung gleichwohl sehr häufig und oft weitaus belastender als Gedächtnis- oder Orientierungsstörungen. Typische Symptome sind Apathie, sozialer Rückzug oder Ängstlichkeit, in fortgeschrittenen Stadien auch Wahngedanken, Irritierbarkeit, Enthemmung, ständiges Umherlaufen, Aggressivität oder Handlungsstereotypien. Insgesamt treten bei fast 90 % aller Demenzkranken im Verlauf der Erkrankung Verhaltensstörungen auf. Verschiedene Ursachen führen zur Manifestation eines Demenzsyndroms, von denen die Alzheimer-Krankheit die häufigste ist. Deutlich seltener ist die vaskuläre Enzephalopathie Ursache einer Demenz (vaskuläre Demenz).

Behandlungsbedarf

Betrachtet man die Häufigkeit der Verhaltensstörungen bei Demenz zusammen mit den Verschreibungshäufigkeiten von AP in dieser Indikation, dann kann davon ausgegangen werden, dass der Behandlungsbedarf als hoch einzuschätzen ist. Wittmann et al. (1) fanden in einer Erhebung in 30 deutschen psychiatrischen Kliniken, dass 77 % der stationär behandelten Patienten mit Demenz am Stichtag Antipsychotika erhielten, 49 % der Patienten erhielten gleichzeitig mehr als ein AP. Ambulant behandelte Demenzkranke erhalten zu 10 % AP, überwiegend atypische. (2). Als atypische AP werden Substanzen wie Risperidon, Olazapin, Aripiprazol und Clozapin bezeichnet, die im Gegensatz zu den sog. typischen oder klassischen AP wie Haloperidol seltener extrapyramidal-motorische Störungen verursachen.

Nutzen der Antipsychotika

Die Wirksamkeit von AP in der Indikation neuropsychiatrischer Symptome bei Demenz ist nicht sehr gut nachgewiesen und insgesamt erstaunlich gering. Die Indikation wird symptombezogen gestellt.

Wirksam bei agitiertem Verhalten/Aggression ist insbesondere Risperidon (1 mg/d) (3), aber auch Aripiprazol (2,5 bis 15 mg/d). Nicht wirksam bei agitiertem Verhalten/Aggression ist Quetiapin (bis 600 mg/d) und Olanzapin (bis 10 mg/d) (4). Zur Behandlung von Wahn und Halluzinationen ist Haloperidol (2 bis 3 mg/d) und insbesondere Risperidon (bis 2 mg/d) der Vorzug zu geben. Nicht wirksam bei Wahn und Halluzinationen sind Quetiapin und Olanzapin (3–5). Die Ergebnisse zu Aripiprazol sind in dieser Indikation widersprüchlich.

Apathie ist der Behandlung mit AP nicht zugänglich. Für andere neuropsychiatrische Symptome bei Demenz wie ständiges Wandern, stereotype Bewegungsabläufe oder Schreien ist die Wirksamkeit von AP, von anekdotischen Mitteilungen abgesehen, nicht wirklich untersucht.

Zugelassen in der Indikation neuropsychiatrischer Symptome ist in Deutschland lediglich Risperidon bei Demenz bei Alzheimerkrankheit in der Indikation a) schwere chronische Aggressivität, durch die die Patienten sich selbst und andere gefährden und b) psychotische Symptome, durch die die Patienten erheblich beeinträchtigt werden.

Nachteile von AP

Typische UAW der klassischen AP wie z. B. Haloperidol in höherer Dosierung sind extrapyramidalmotorische Bewegungsstörungen wie Akathisie, Parkinson-Syndrom sowie Dyskinesien. Atypische AP haben in deutlich geringerem Maße das Risiko von extrapyramidalmotorischen Bewegungsstörungen. Das geringste Risiko wird für Clozapin und Quetiapin angenommen. Sedierung und Müdigkeit können ein Ziel der AP-Gabe sein, sie können aber auch unerwünscht sein.

Die erheblichen Vorteile atypischer AP gegenüber den klassischen AP wurden infrage gestellt als eine erhöhte Mortalität aufgrund vermehrter zerebrovaskulärer Nebenwirkungen einschließlich Schlaganfällen bekannt wurde. Banerjee (6) hat die Datenlage sehr anschaulich zusammengefasst:

Wenn 1000 Patienten mit Verhaltensstörungen bei Demenz mit atypischen Neuroleptika behandelt werden, führt das dazu, dass

  • 91 bis 200 eine signifikante Besserung erfahren
  • 10 zusätzliche Todesfälle eintreten
  • 18 zusätzliche zerebrovaskuläre Nebenwirkungen eintreten, von denen die Hälfte schwer sein kann.

Diese Schätzungen gelten für eine Behandlungsdauer von bis zu zwölf Wochen. Bei einer AP-Gabe von mehr als zwei Jahren sind 167 zusätzliche Todesfälle wahrscheinlich und damit eine sehr erhebliche Risikosteigerung (7;8). Das Mortalitätsrisiko ist für Haloperidol am höchsten (NNH 26), gefolgt von Risperidon (NNH 27), Olanzapin (NNH 40) und Quetiapin (NNH 50). Die genannten AP erhöhen die Mortalität um 3,5 % bei höherer Dosierung (9).

Praktisches Vorgehen

Identifizierung der behandlungsbedürftigen Symptome

Am Beginn jeder Behandlung steht die Definition des Zielsymptoms. Die Behandlungsindikation wird gegenüber dem Patienten gestellt, nicht gegenüber Angehörigen oder professionellem Betreuungspersonal.

Analyse der Bedingungen

Es besteht eine weitgehende Übereinstimmung (z. B. (10)), dass die Pharmakotherapie bei neuropsychiatrischen Symptomen bei Demenz nicht an erster Stelle steht. Der erste Schritt muss immer eine Verhaltensanalyse sein. Das Spektrum von auslösenden und aufrechterhaltenden Bedingungen reicht von schlechter Beleuchtung oder räumlicher Beengtheit über Harnverhalt und Schmerzen bis hin zu lange schwelenden Partnerkonflikten oder personellen Mängeln in Heimen (8;11). Bauliche oder pflegerische Mängel lassen sich nicht durch die Gabe von AP neutralisieren.

AP unter strenger Therapiekontrolle

Die Definition eines Zielsymptoms ist nicht nur Voraussetzung der adäquaten Auswahl des Therapeutikums, sondern auch der effektiven Therapiekontrolle.

Die Behandlungsdauer ist zeitlich zu begrenzen, AP helfen bei Symptomen, bei denen sie wirksam sind, rasch, in der Regel innerhalb von Tagen. Wird das definierte Zielsymptom nicht behoben, wird die AP-Gabe nicht fortgesetzt. Das Nichtbeachten dieser einfachen Regel dürfte einer der Gründe sein, warum AP in vielen Fällen so anhaltend gegeben werden. Voraussetzung für die Beurteilung der Wirksamkeit im Einzelfall ist eine ausreichend hohe Dosierung. Diese liegt für die Behandlung von Demenzkranken deutlich unter denen jüngerer Erwachsener. Fast immer ist es sinnvoll und möglich, mit der niedrigsten Dosis zu beginnen und die Dosis dann langsam zu steigern. Aus pragmatischen Überlegungen heraus wird man bei fehlender Wirksamkeit des angesetzten AP einen Behandlungsversuch mit einer alternativen Substanz vornehmen. Wissenschaftlich begründete Rangfolgen von Medikamenten gibt es hier nicht.

Die Kombination mehrerer Neuroleptika zur Behandlung von neuropsychiatrischen Störungen bei Demenz lässt sich nicht begründen und macht die Abschätzung von möglichen UAW schwieriger. Durch kurze Dauer der Behandlung können die Risiken gering gehalten werden.

Bei der konkreten Auswahl eines AP stehen Wirksamkeit und Sicherheit leider in einem deutlichen Gegensatz. Quetiapin gilt als relativ sicher, ist aber in den wichtigen Indikationen nicht wirksam. Risperidon und Haloperidol sind wirksam, haben aber gefährliche Nebenwirkungen einschließlich einer erhöhten Mortalität. Letzten Endes ist dennoch Risperidon das Mittel der Wahl bei Verhaltensstörungen bei Demenz (12) gefolgt von Aripiprazol.

Fazit für die Praxis

Als behandelnde Ärzte müssen wir uns von der weit verbreiteten Idee verabschieden, dass Antipsychotika (AP) bei Verhaltensstörungen bei Demenz gut wirksam seien.

AP sollen erst nach Ausschöpfung aller nichtpharmakologischen Interventionsmöglichkeiten eingesetzt werden. AP sollen über begrenzte Zeiträume verabreicht werden, da in der Regel auch die Zielsymptome passager auftreten und spontan wieder abklingen können. Mittel der Wahl sind Risperidon und mit Einschränkungen Aripiprazol.

Interessenkonflikte

Ein Interessenkonflikt wird vom Autor verneint.

Literatur
  1. Wittmann M, Hausner H, Hajak G, Haen E: [Antipsychotic treatment of dementia after publication of new risks]. Psychiatr Prax 2010; 37: 68-70.
  2. Eichler T, Wucherer D, Thyrian JR et al.: Antipsychotic drug treatment in ambulatory dementia care: prevalence and correlates. J Alzheimers Dis 2015; 43: 1303-1311.
  3. Ballard C, Waite J: The effectiveness of atypical antipsychotics for the treatment of aggression and psychosis in Alzheimer's disease. Cochrane Database Syst Rev 2006; Issue 1: CD003476.
  4. Schneider LS, Dagerman K, Insel PS: Efficacy and adverse effects of atypical antipsychotics for dementia: meta-analysis of randomized, placebo-controlled trials. Am J Geriatr Psychiatry 2006; 14: 191-210.
  5. Devanand DP, Marder K, Michaels KS et al.: A randomized, placebo-controlled dose-comparison trial of haloperidol for psychosis and disruptive behaviors in Alzheimer's disease. Am J Psychiatry 1998; 155: 1512-1520.
  6. Banerjee S: The use of antipsychotic medication for people with dementia: Time for action. A report for the Minister of State for Care Services:http://www.rcpsych.ac.uk/pdf/Antipsychotic%20Bannerjee%20Report.pdf
  7. Ballard C, Hanney ML, Theodoulou M et al.: The dementia antipsychotic withdrawal trial (DART-AD): long-term follow-up of a randomised placebo-controlled trial. Lancet Neurol 2009; 8: 151-157.
  8. Gertz HJ, Stoppe G, Muller-Oerlinghausen B et al.: [Antipsychotics for treatment of neuropsychiatric disorders in dementia]. Nervenarzt 2013; 84: 370-373.
  9. Maust DT, Kim HM, Seyfried LS et al.: Antipsychotics, other psychotropics, and the risk of death in patients with dementia: number needed to harm. JAMA Psychiatry 2015; 72: 438-445.
  10. Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN): S3-Leitlinie "Demenzen":http://www.dgn.org/leitlinien/3176-leitlinie-diagnose-und-therapie-von-demenzen-2016
  11. Jessen F, Spottke A: [Therapy of psychological and behavioral symptoms in dementia]. Nervenarzt 2010; 81: 815-822.
  12. Ballard C, Corbett A: Agitation and aggression in people with Alzheimer's disease. Curr Opin Psychiatry 2013; 26: 252-259.

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