Codein und Pankreatitis

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 4/2016

Autoren

Zusammenfassung

Berichtet wird über eine wenig bekannte unerwünschte Arzneimittelwirkung von Codein: Auslösung einer biliären Pankreatitis durch Codein bei Z. n. Cholezystektomie.

Abstract

We report on a less known side-effect of codeine: triggering of biliary pancreatitis by codeine after cholecystectomy.

Codein hat die Eigenschaften eines Opiatagonisten. Es wirkt zentralnervös analgetisch und antitussiv über supraspinale Opiatrezeptoren. Codein-Tropfen werden oral verabreicht, wobei die maximale Plasmakonzentration nach ca. einer Stunde erreicht ist. Codein kann wie andere Morphinderivate die Kontraktilität intestinaler Muskulatur erhöhen und zu Spasmen an intestinalen Sphinkteren führen. Dies gilt auch für den Verschlussmuskel von Gallen -und Bauchspeicheldrüsengang, den Sphinkter Oddi (1).

Codein-Tropfen sind in Deutschland zur symptomatischen Behandlung von Reizhusten zugelassen. Codein wurde als Antitussivum 2014 in 7,3 Mio DDD eingesetzt, dies bedeutet eine Verminderung um 24,3 % gegenüber dem Vorjahr (2).

Der AkdÄ wurde folgender Fall berichtet: Eine 72-jährige Patientin entwickelte innerhalb einer halben Stunde nach Einnahme von 20 Tropfen Codein-Lösung akute Schmerzen, die von thorakal zunächst in den Oberbauch wanderten und in den Rücken ausstrahlten. Sie wurde deswegen in einem Krankenhaus vorstellig, wo man eine akute Pankreatitis diagnostizierte und die Patientin für zwei Tage stationär behandelte. Die Lipase war auf maximal das Siebenfache, das CRP als unspezifischer Entzündungsmarker auf das Vierfache der Norm erhöht. Parallel stiegen die Transaminasen auf das Vierzigfache der oberen Normgrenze. Demgegenüber waren Gamma-GT und alkalische Phosphatase nur gering erhöht (bis fünffach). Das Bilirubin zeigte einen nicht signifikanten Anstieg innerhalb der Normgrenze. Alle beschriebenen Veränderungen waren am Ende des stationären Verlaufes deutlich rückläufig. Als einziges bildgebendes Verfahren wurde zweimal eine Abdomen-Sonographie durchgeführt. Am ersten Behandlungstag zeigte sich hierbei eine Erweiterung des Ductus hepatocholedochus auf 12 mm und eine Erweiterung der intrahepatischen Gallenwege. Bei Entlassung war dieser Befund nicht mehr zu erheben. Pathologische Befunde an der Bauchspeicheldrüse wurden sonographisch nicht nachgewiesen. Die Patientin wurde nach zwei Tagen gegen ärztlichen Rat entlassen. Ob sie zu diesem Zeitpunkt beschwerdefrei war, geht aus dem Bericht nicht hervor. Aus der Vorgeschichte ist zu berichten, dass die Patientin frühere Einnahmen von Codein vertragen hat. Diese Codein-Einnahmen lagen aber vor einer Cholezystektomie, die fünf Monate vor der aktuellen Erkrankung erfolgte. Die Indikation zur Cholezystektomie wird nicht mitgeteilt. Ob die aktuelle Einnahme von Codein-Tropfen auf eigene Initiative erfolgte (aus eigenen Medikamentenbeständen) oder aufgrund einer aktuellen ärztlichen Verordnung, geht aus den Unterlagen nicht hervor.

In der Fachinformation (1) wird darauf hingewiesen, dass Codein bei Zustand nach Cholezystektomie mit Vorsicht eingesetzt werden solle, da es infolge eines Spasmus des Sphinkter Oddi zu herzinfarktähnlichen Symptomen und einer Verschlechterung einer vorbestehenden Pankreatitis kommen kann. Darüber hinaus wird „Pankreatitis“ als Nebenwirkung mit unbekannter Häufigkeit aufgeführt.

Der pathophysiologische Mechanismus der Entwicklung einer akuten Pankreatitis nach Codein-Einnahme ist ein Spasmus des Sphinkter Oddi mit Aufstau von Galle und Pankreassekret. Eine Neigung dieses Verschlussmuskels zu Fehlfunktionen oder Spasmen begünstigt diese Arzneimittelnebenwirkung. Die Entwicklung dieser prädisponierten Sphinkter-Oddi-Dysfunktion wird durch eine Cholezystektomie begünstigt. Auf diesem lange bekannten Mechanismus ist der Warnhinweis in der Fachinformation zurückzuführen. In der Fachinformation wird auf eine mögliche „Verschlechterung einer vorbestehenden Pankreatitis“ hingewiesen. Klinisch hat es in dem dargestellten Fall vor der Codein-Einnahme keinen Hinweis auf eine Pankreatitis gegeben. Der zeitliche Ablauf spricht dafür, dass Codein an einem nach Cholezystektomie prädisponiertem Sphinkter zu einer Druckerhöhung mit konsekutiver Pankreatitis ohne vorbestehende Entzündung des Organs geführt hat.

Codein gehört zu der sogenannten Klasse-1-Gruppe von Substanzen, die eine Pankreatitis auslösen können. Dies bedeutet, dass in mindestens einem dokumentierten Fall eine Reexposition zur erneuten Pankreatitis geführt hat und andere Ursachen einer akuten Bauchspeicheldrüsenentzündung ausgeschlossen wurden (3–5). Es handelt sich um ein sehr seltenes Ereignis, dass durch einen Zustand nach Cholezystektomie begünstigt wird (6).

Einschränkend ist zu diesem Fallbericht zu bemerken, dass insbesondere eine biliäre Ursache der Pankreatitis nicht mit größtmöglicher Sicherheit ausgeschlossen wurde (7). Die am Aufnahmetag beschriebene Erweiterung der Gallenwege ist mit einer Sphinkter-Oddi-Dysfunktion vereinbar, könnte aber auch Ausdruck einer mechanischen Abflussbehinderung durch ein Konkrement/Sludge gewesen sein. Eine Bilirubin-Erhöhung als weiterer Marker einer mechanischen Obstruktion bestand nicht, jedoch eine deutliche Erhöhung der Transaminasen. Die Differenzialdiagnose einer Choledocholithiasis als Ursache der Pankreatitis ist bedenkenswert, da die Cholezystektomie erst fünf Monate zurücklag (eine symptomatische Cholezystolithiasis ist die häufigste Indikation zur Cholezystektomie, in diesem konkreten Fall wurde jedoch der Anlass der Gallenblasenentfernung nicht beschrieben). Angesichts der am Aufnahmetag erweiterten Gallenwege hätte eine orale Endosonographie oder eine MRCP weitgehende Sicherheit zum Ausschluss bzw. Nachweis einer Choledocholithiasis gegeben.

Fazit für die Praxis

Codein kann in seltenen Fällen über einen Spasmus des Sphinkter Oddi und insbesondere bei Zustand nach Cholezystektomie eine akute Pankreatitis auslösen.

Verdachtsfälle einer Pankreatitis im Zusammenhang mit einer Therapie mit Codein sollten der AkdÄ gemeldet werden (http://www.akdae.de/Arzneimittelsicherheit/UAW-Meldung/index.html).

Interessenkonflikte

Ein Interessenkonflikt wird von beiden Autoren verneint.

Literatur
  1. Hexal AG: Fachinformation "Codeintropfen HEXAL® 0,5 mg/Tropfen. Lösung zum Einnehmen". Stand: Juli 2015.
  2. Schwabe U, Paffrath D (Hrsg.): Arzneiverordnungs-Report 2015. Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag, 2015.
  3. Hung WY, Abreu LO: Contemporary review of drug-induced pancreatitis: A different perspective. World J Gastrointest Pathophysiol 2014; 5: 405-415.
  4. Badalov N, Baradarian R, Iswara K et al.: Drug-induced acute pancreatitis: an evidence-based review. Clin Gastroenterol Hepatol 2007; 5: 648-661.
  5. Hastier P, Demarquay JF, Maes B et al.: Acute pancreatitis induced by codeine-acetaminophen association: a case report with positive rechallenge. Pancreas 1996; 13: 324-326.
  6. Turkmen S, Buyukhatipoglu H, Suner A et al.: Prior cholecystectomy predisposes to acute pancreatitis in codeine-prescribed patients. Int J Crit Illn Inj Sci 2015; 5: 114-115.
  7. Elta GH: Sphincter of Oddi dysfunction and bile duct microlithiasis in acute idiopathic pancreatitis. World J Gastroenterol 2008; 14: 1023-1026.