Thrombozytopenie unter Behandlung mit Saxagliptin

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 3/2016

Autoren

Zusammenfassung

Ein 80 Jahre alter Patient wird bei Thrombozytopenie mit petechialen Einblutungen am gesamten Integument und Epistaxis stationär aufgenommen. Etwa zwei Wochen vorher hatte eine Therapie mit Saxagliptin bei Diabetes mellitus Typ 2 begonnen. Der Patient sprach weder auf eine Substitution mit Thrombozytenkonzentraten noch auf intravenöse Kortikosteroide an. Im weiteren Verlauf entwickelte der Patient pectanginöse Beschwerden, einen Nicht-ST-Hebungsinfarkt (NSTEMI) und eine Sepsis und verstarb.

Abstract

An 80-year-old patient is admitted for thrombocytopenia with petechial bleeding of the whole integument and epistaxis. About two weeks prior, treatment with saxagliptine for diabetes mellitus type 2 had commenced. The patient did not respond to platelet transfusions nor to intravenous corticosteroids. Subsequently the patient developed acute coronary syndrome (NSTEMI) and septicemia and passed away.

Saxagliptin ist ein Dipeptidyl-Peptidase-4-(DPP4)-Inhibitor und wird bei der Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 als orales Antidiabetikum eingesetzt (1). Die Induktion einer Thrombozytopenie ist in der Fachinformation nicht als mögliche Nebenwirkung aufgeführt (1).

Fallbeispiel aus dem Spontanmeldesystem (AkdÄ-Nr. 164126)

Ein 80 Jahre alter Patient wird bei Thrombozytopenie mit petechialen Einblutungen am gesamten Integument und Epistaxis stationär aufgenommen. Etwa zwei Wochen vorher habe eine Therapie mit Saxagliptin bei Diabetes mellitus Typ 2 begonnen. Als weitere Begleiterkrankungen bestehen arterielle Hypertonie und eine bekannte KHK.

Medikation zum Zeitpunkt der Aufnahme

Die Thrombozytopenie wurde bei der Abklärung von akut auftretenden Petechien und Hämatomen vom Hausarzt festgestellt. Bei Krankenhausaufnahme zeigten sich zahlreiche, konfluierende Petechien und Teerstuhl. Die Thrombozytenwerte betrugen 2000/µl, der Hb 8,8 g/dl, und die Leukozyten 17.500/µl.

Die Transfusion eines Thrombozytenkonzentrats führte zu einer akuten Transfusionsreaktion mit Schüttelfrost und Fieber, ohne Anstieg der Thrombozytenwerte. Trotz Kortikosteroidtherapie blieben die Thrombozytenwerte bei < 5000/µl. Im weiteren Verlauf entwickelte der Patient pectanginöse Beschwerden, einen Nicht-ST-Hebungsinfarkt (NSTEMI) und eine Sepsis und verstarb.

Der Fall ist hochgradig verdächtig für das Vorliegen einer medikamenteninduzierten Immunthrombozytopenie. Hierbei bilden das Medikament oder eines seiner Metaboliten zusammen mit einem Protein auf der Thrombozytenmembran ein Neoepitop. Meistens sind die Glykoproteinkomplexe IIb/IIIa oder Ib/IX betroffen (2). Der Patient bildet Antikörper gegen das Neoepitop, die an die medikamentenbeladenen Thrombozyten binden. Dies führt zum schnellen Abbau der Thrombozyten. Medikamenteninduzierte Immunthrombozytopenien treten typischerweise ca. 7–14 Tage nach Beginn der Medikamenteinnahme auf oder akut am gleichen Tag, wenn der Patient durch frühere Einnahme des Medikaments bereits immunisiert ist (3). Die Thrombozytenwerte fallen fast immer auf Werte < 5000/µl. Petechien und Blutungen sind typische Komplikationen.

Die Thrombozytenwerte steigen erst nach Absetzen des Medikaments wieder an, in der Regel dauert dies vier bis fünf Halbwertszeiten des Wirkstoffs. Thrombozytentransfusionen führen nicht zum Anstieg der Thrombozytenwerte, solange Antikörper und Medikament noch zirkulieren.

Der Nachweis der medikamentenabhängigen Antikörper ist in spezialisierten Laboratorien möglich. Die Sensitivität der Labortests ist relativ gering, insbesondere, wenn Metaboliten die Auslöser der Thrombozytopenie sind – bei positivem Antikörpernachweis ist die Diagnose allerdings gesichert.

Patienten mit hohen Titern an Antikörpern gegen Thrombozytenproteine zeigen bei der Transfusion eines Thrombozytenkonzentrates oft Symptome einer febrilen Transfusionsreaktion. Diese werden verursacht durch die Aktivierung von Thrombozyten und die Bildung von Immunkomplexen, durch die Monozyten und Makrophagen aktiviert werden.

Im vorliegenden Fall ist die Thrombozytopenie ca. zwei Wochen nach Beginn von Saxagliptin aufgetreten, sie war schwer und mit Petechien und gastrointestinalen Blutungen assoziiert. Die Thrombozytenwerte sind nach der Transfusion eines Thrombozytenkonzentrats nicht angestiegen und die Transfusion war mit einer Transfusionsreaktion verbunden, wie sie typischerweise bei der Transfusion immunologisch unverträglicher Thrombozytenkonzentrate auftritt.

Zeit des Auftretens, Schwere der Thrombozytopenie, Refraktärität gegenüber der Thrombozytentransfusion und die damit assoziierte Transfusionsreaktion weisen darauf hin, dass bei dem Patienten ursächlich eine Saxagliptin-assoziierte medikamenteninduzierte Immunthrombozytopenie vorlag.

In der Folge ist der Patient an den sekundären Komplikationen verstorben. Der NSTEMI ist sekundär bei Anämie bei koronarer Herzkrankheit aufgetreten, die Sepsis als Komplikation der intensivmedizinischen Behandlung. Die japanische Zulassungsbehörde hat bereits letztes Jahr vor Thrombozytopenien unter dem verwandten Sitagliptin gewarnt und eine Aufnahme dieser Nebenwirkung in die Fachinformation empfohlen (4).

Fazit für die Praxis

Bei einer Thrombozytopenie im zeitlichen Zusammenhang mit einer neu oder wieder begonnenen medikamentösen Therapie ist stets auch an eine medikamenteninduzierte Thrombozytopenie zu denken und die betroffenen Medikamente sofort abzusetzen. Wenn möglich sollte eine Blutprobe des Patienten abgenommen werden, um die Verdachtsdiagnose durch Nachweis der Antikörper zu sichern.

Interessenkonflikte

Ein Interessenkonflikt wird von M. Paulides verneint.

A. Greinacher hat in den letzten fünf Jahren von der Firma BMS Honorare als Referent von Fortbildungsveranstaltungen und von Vorträgen erhalten. Diese standen in keinem Zusammenhang mit dem Medikament Saxagliptin.

Literatur
  1. AstraZeneca GmbH: Fachinformation “Onglyza® 2,5 mg/5 mg Filmtabletten”. Stand: April 2015.
  2. Arnold DM, Nazi I, Warkentin TE et al.: Approach to the Diagnosis and Management of Drug-Induced Immune Thrombocytopenia. Transfus Med Rev 2013; 27: 137-145.
  3. Aster RH, Bougie DW: Drug-induced immune thrombocytopenia. N Engl J Med 2007; 357: 580-587.
  4. Safety news: Sitagliptin: thrombocytopenia. WHO Drug Information 2015; 29: 142.