Was bringen Hormone in der Menopause – und was nicht?

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 2/2016

Autor

Zusammenfassung

Die früher breitest verordneten weiblichen Hormone zur Therapie von klimakterischen Beschwerden sind seit zehn Jahren in die Kritik geraten. Eine neuere Langzeitstudie bestätigt jetzt noch einmal – abgesehen von der Besserung der akuten Beschwerden – die weitgehende Nutzlosigkeit einer langfristigen Verordnung von Hormonen im Hinblick auf die Prophylaxe schwerwiegender Erkrankungen wie Herzinfarkt, Darmkrebs oder Depression. Auch die prophylaktische Wirkung gegen Osteoporose ist unsicher.

Abstract

Female hormones have been previously broadly prescribed for the treatment of climacteric symptoms, but this practice has been heavily criticized in the past decade. A recent long-term trial confirms once more the futility of a prolonged substitution of hormones in regard to the prophylaxis of severe conditions such as myocardial infarction, colorectal carcinoma or depression, excluding the improvement of acute climacteric symptoms. The alledged prophylactic effect against osteoporosis remains unclear.

Die Zeit ist noch nicht so lange her, als es praktisch zum guten Ton gehörte, im Klimakterium (Menopause) Hormone verordnet zu bekommen. Sie sollten gegen vieles gut sein, Osteoporose, Herzinfarkt und Depression verhüten und allgemein zum Wohlbefinden beitragen. Die unbehandelte Menopause bzw. Postmenopause galt vielen ärztlichen Meinungsbildnern als ein potenziell krankhafter Zustand. Und diese Meinung wurde von der Pharmaindustrie tatkräftig unterstützt. Im Deutschen Ärzteblatt von 1992 wurde noch eine Empfehlung eines „Züricher Gesprächskreises“ weitergegeben, wonach „eine Substitution mit Östrogenen und Gestagenen aus prophylaktischen und therapeutischen Erwägungen anzuraten“ sei (1). Der Begriff „Substitution“, also Ersatz, suggerierte, dass es sich beim Klimakterium ähnlich wie beim Diabetes um ein krankhaftes Mangelsyndrom handelte, dem man mit Hormonersatz beikommen könne. Kritische Beiträge, wie sie z. B. schon 1995 im „arznei-telegramm“ erschienen (2), die auch auf die Gefahren einer Hormonbehandlung (und nicht einer „Substitution“) hinwiesen, wurden in der Fachpresse bekämpft oder schlicht unterdrückt. Im Jahr 2002 warnte das BfArM auf der Basis der ersten Ergebnisse großer ausländischer unabhängig finanzierter Studien wie z. B. der WHI-Studie (Women‘s Health Initiative), dass bei einer Hormonbehandlung über vier Jahre der zu erwartende Schaden den Nutzen übertreffe (3). Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft publizierte dann 2003 eine Therapieempfehlung mit dem Titel „Empfehlungen zur Therapie mit Östrogenen/Östrogen-Gestagen-Kombinationen im Klimakterium – Risiko-Nutzenabwägung“ (4). Dies war die erste deutsche Leitlinie, die aufgrund der tatsächlich vorhandenen seriösen Studien mit den bis dahin allgemein anerkannten Gründen und angeblichen Notwendigkeiten für eine Hormontherapie gründlich aufräumte. Heftigste Reaktionen und Beschimpfungen durch die deutschen frauenärztlichen Berufsverbände und Meinungsbildner waren die Folge. Erst Jahre später kam dann eine evidenzbasierte Leitlinie der Fachgesellschaft heraus, die aber wesentlich auf der Therapieempfehlung der AkdÄ gründete (5).

Wie kam dieser Wechsel der ärztlichen Auffassungen zustande? Vor zwölf Jahren war etwas Unglaubliches geschehen, womit sich die Ärzteschaft aber lange Zeit nicht abfinden konnte. In der sogenannten HERS-II-Studie wurde gezeigt, dass bei Frauen im Klimakterium, die gleichzeitig an einer Erkrankung der Herzkranzgefäße litten, eine Hormonbehandlung (es handelte sich um das Kombinationspräparat Clinopax®) über fast sieben Jahre weder gefährliche Herz-Kreislauf-Ereignisse wie z. B. Herzinfarkt noch andere zu erwartende gravierende Störungen verhinderte (6;7). In die zur gleichen Zeit publizierte WHI-Studie wurden Frauen aufgenommen, die keine Herzerkrankung hatten und ihre Gebärmutter noch besaßen. Diese Studie war auf 8,5 Jahre geplant, musste aber nach 5,2 Jahren abgebrochen werden, da unter der Hormonbehandlung die Zahl der Brustkrebserkrankungen im Vergleich zu der Gruppe, die nur Placebo erhalten hatte, in nicht weiter vertretbarem Umfang angestiegen war. Diese Grenze und damit das Kriterium für die Entscheidung zum Studienabbruch war schon vorher festgelegt worden. Die Gesamtnutzen-Schaden-Bilanz war somit negativ (8). Zwei Jahre später wurden die Ergebnisse einer anderen WHI-Studie (WHI 2) mit geändertem Studienprotokoll publiziert: An dieser Studie hatten nur Frauen teilgenommen, denen die Gebärmutter zuvor aus verschiedenen Gründen entfernt worden war. Sie erhielten nur Östrogene ohne Gestagenzusatz (letzterer könnte bei Frauen ohne Gebärmutter bekanntlich ein erhöhtes Risiko darstellen): Auch hier zeigten sich keine der unterstellten und propagierten positiven Hormonwirkungen (9).

Warum berichten wir nochmals in der Rückschau über diese Ergebnisse? Der Grund ist, dass Ende 2013 die Ergebnisse einer besonders wichtigen Fortsetzung der WHI-Studien veröffentlicht wurden. Die Teilnehmerinnen an diesen beiden großen Studien sind nämlich über insgesamt 13 Jahre, genauer bis zum 30. September 2010 kontinuierlich beobachtet und untersucht worden (10). Das Resultat war, dass die Hormontherapie im Vergleich zu Placebo den Frauen keinerlei Nutzen brachte. Es ergab sich keine Verminderung des Risikos für Herz-Kreislauf-Ereignisse, Brustkrebs, Gebärmutterkrebs, Darmkrebs oder Hüftfrakturen. Dies galt für alle Altersstufen (50–79 Jahre). Diese Ergebnisse decken sich weitgehend mit denen einer Metaanalyse von Studien bis zum Februar 2012 (11): Die Autoren fanden u. a. eine Erhöhung des Demenzrisikos nach vierjähriger Medikation bei älteren Frauen sowie eine signifikante Reduktion des Frakturrisikos freilich erst nach einer durchschnittlichen Behandlungszeit von 5,6 Jahren und mehr.

Es steht jetzt eindeutig fest, dass die Hormonbehandlung bei den infrage stehenden Frauengruppen kaum irgend einen statistisch fassbaren prophylaktischen Nutzen zeigt, wohl aber mit der Erhöhung der bekannten Risiken (Thrombose, Schlaganfall, Brustkrebs) verbunden ist, wobei das kardiovaskuläre Risiko bereits im ersten Jahr erhöht ist. Dies bedeutet nicht, dass bei sehr ausgeprägten klimakterischen Beschwerden nicht für eine begrenzte Zeit auch Hormone eine sinnvolle Therapiemöglichkeit sind – sie sollten aber nicht für unbegrenzte Zeit eingenommen werden – und de facto schiebt die Behandlung dann nur die Zeit der tatsächlichen Menopause (mit voraussichtlich gleichen oder ähnlichen Beschwerden) etwas hinaus.

Fazit für die Praxis

Jede Frau, die Hormone einnehmen will, sollte zuvor von ihrem Arzt oder ihrer Ärztin eine eingehende Aufklärung über den tatsächlich zu erwartenden Nutzen und die damit verbundenen Risiken einfordern. Die Indikation „Prävention der Osteoporose“ kann nur dann im Einzelfall gerechtfertigt sein, wenn andere hierfür infrage kommende Maßnahmen medikamentöser und nichtmedikamentöser Art nicht zur Anwendung kommen können.

Interessenkonflikte

Ein Interessenkonflikt wird vom Autor verneint.

Literatur
  1. Kuhl H: Substitutionstherapie mit Oestrogenen und Gestagenen. Dtsch Arztebl 1992; 89: A 1028.
  2. Mühlhauser I, Kimmerle R, Berger M: Langzeittherapie mit Sexualhormonen zur Krankheitsverhütung und Lebensverlängerung in der Postmenopause. Offene Fragen und Kontroversen unter besonderer Berücksichtigung des Diabetes mellitus. arznei-telegramm 1995; Heft 4 (Sonderbeilage): 37-44.
  3. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte: Brustkrebs- und Herz-Kreislaufrisiko bei Frauen nach den Wechseljahren unter Behandlung mit kombinierten Arzneimitteln zur Hormonersatztherapie erhöht – neue Studie veröffentlicht. Pressemitteilung vom 12. Juli 2002.
  4. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: Hormontherapie im Klimakterium – Empfehlungen zur Therapie mit Östrogenen/Östrogen-Gestagen-Kombinationen im Klimakterium – Nutzen-Risikoabwägung. Arzneiverordnung in der Praxis, Band 30, Sonderheft 2 (Therapieempfehlungen), August 2003.
  5. Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) (herausgebende Fachgesellschaft), Deutsche Krebsgesellschaft (DKG), Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) et al.: Hormontherapie in der Peri- und Postmenopause (HT). Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) 2009; AWMF-Leitlinien-Register Nr. 015/062.
  6. Grady D, Herrington D, Bittner V et al.: Cardiovascular disease outcomes during 6.8 years of hormone therapy: Heart and Estrogen/progestin Replacement Study follow-up (HERS II). JAMA 2002; 288: 49-57.
  7. Hulley S, Furberg C, Barrett-Connor E et al.: Noncardiovascular disease outcomes during 6.8 years of hormone therapy: Heart and Estrogen/progestin Replacement Study follow-up (HERS II). JAMA 2002; 288: 58-66.
  8. Rossouw JE, Anderson GL, Prentice RL et al.: Risks and benefits of estrogen plus progestin in healthy postmenopausal women: principal results From the Women's Health Initiative randomized controlled trial. JAMA 2002; 288: 321-333.
  9. Anderson GL, Limacher M, Assaf AR et al.: Effects of conjugated equine estrogen in postmenopausal women with hysterectomy: the Women's Health Initiative randomized controlled trial. JAMA 2004; 291: 1701-1712.
  10. Manson JE, Chlebowski RT, Stefanick ML et al.: Menopausal hormone therapy and health outcomes during the intervention and extended poststopping phases of the Women's Health Initiative randomized trials. JAMA 2013; 310: 1353-1368.
  11. Marjoribanks J, Farquhar C, Roberts H, Lethaby A: Long term hormone therapy for perimenopausal and postmenopausal women. Cochrane Database Syst Rev 2012; Issue 7: CD004143.