Empirische Antibiotikatherapie in der ersten Stunde der Diagnosestellung reduziert die Mortalität bei schwerer Sepsis und septischem Schock: Ergebnisse eines leitlinienbasierten Leistungsverbesserungsprogramms

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 4/2015

Autor

Spätestens seit den Arbeiten von Kumar et al. (1) ist bekannt, dass die Mortalität bei schwerer Sepsis oder septischem Schock durch eine frühzeitige empirische Antibiotikagabe deutlich reduziert werden kann. In der vorliegenden retrospektiven Analyse (2) wurden im Rahmen der sogenannten „Surviving Sepsis Campaign“ (SSC) die Daten von insgesamt 28.150 Patienten mit schwerer Sepsis und septischem Schock von 165 Intensivstationen in der EU, den USA und Südamerika von Januar 2005 bis Februar 2010 ausgewertet. Es handelt sich damit um die größte bisher erfasste Patientenzahl mit dieser Diagnose.

Die Verzögerung des Beginns einer empirischen Antibiotikatherapie wurde dabei als ein erheblicher Mortalitätsrisikofaktor erkannt. Im Rahmen der Auswertung der SSC-Daten sollte die Relation zwischen dem Zeitpunkt der Antibiotikagabe und der Sterberate untersucht werden. Die Auswertung des Datenmaterials erfolgte retrospektiv.

Insgesamt 17.990 Patienten erhielten nach der Sepsisdiagnose Antibiotika. Die Sterberate lag für die gesamte Kohorte bei 29,7 %. Es fand sich eine statistisch signifikante Abhängigkeit der Sterberate vom Zeitpunkt der ersten Antibiotikagabe. Je mehr Stunden nach Diagnosestellung vergangen waren, desto größer war die Wahrscheinlichkeit, die Sepsis nicht zu überleben. Die Sterberate in der Klinik, angepasst an diverse Parameter wie Sepsis Score, Herkunftsregion des Patienten und andere, stieg eine Stunde nach nicht erfolgter Antibiotikagabe kontinuierlich an.

Die Ergebnisse der Analyse einer derart großen Patientenpopulation mit schwerer Sepsis und septischem Schock zeigt eindeutig, dass eine Verzögerung der erstmaligen Antibiotikagabe mit einer erhöhten Sterblichkeit einhergeht. Zusätzlich gab es für jede weitere Stunde der Verzögerung eine weitere Erhöhung des Sterberisikos. Patienten, die kein Antibiotikum in den ersten sechs Stunden erhielten (n = 457) oder von welchen der Zeitpunkt der Gabe nicht bekannt war (n = 832), oder solche, die schon vor der Sepsis ein Antibiotikum bekommen hatten (n = 8871), wurden nicht in die Auswertung einbezogen. Alle Patienten, die erst nach sechs Stunden ein Antibiotikum erhielten (12 %), wurden in einer Gruppe zusammengefasst. Die Sterberate lag in der Gruppe derjenigen Patienten, die in der ersten Stunde Antibiotika erhielten bei 32 %, fiel dann auf 28,1 % in der zweiten Stunde ab, um danach kontinuierlich auf 39,6 % bei denjenigen Patienten anzusteigen, die Antibiotika erst sechs Stunden nach Diagnosestellung bekommen hatten. Dieser Unterschied war hochsignifikant (p < 0,001).

Der mittlere Sepsis-Schweregrad-Score (SSS) war bei allen Patienten am höchsten in der ersten Stunde. Die Prävalenz nosokomialer Infektionen sinkt in den ersten drei Stunden bei solchen Patienten deutlich ab, die ein Antibiotikum bekommen haben und steigt an, wenn das Antibiotikum erst nach vier Stunden gegeben wurde. Kumar (1) konnte in seiner früheren Studie mit wesentlich geringerer Patientenzahl bereits zeigen, dass das Mortalitätsrisiko in den ersten sechs Stunden ohne Antibiotikagabe pro Stunde um 7,6 % ansteigt. In der vorliegenden Studie ging es nicht um die Kontrolle einer adäquaten Auswahl der Antibiotika, sondern ausschließlich um die Frage des Zeitpunktes der Gabe. Im Rahmen der SSC-Leitlinien wurde jedoch die Verabreichung von Breitspektrum-Antibiotika empfohlen. Auch die Gründe für eine verspätete Antibiotikagabe und die Bewertung eines späteren mikrobiologischen Befundes waren nicht Gegenstand der Untersuchung bzw. Auswertung.

Persönlicher Kommentar des Autors

Der sorglose Umgang mit Antibiotika wird allenthalben zu recht angeprangert. Bakterielle Infektionen, die mit gebräuchlichen Antibiotika nicht mehr behandelbar sind, nehmen weltweit und hierzulande zu. Leider werden Antibiotika sowohl in der Human- als auch in der Tiermedizin häufig falsch und unnötigerweise eingesetzt. Bei schwerer Sepsis und septischem Schock sind sie allerdings durch umgehenden Einsatz auch ohne Erregernachweis lebensrettend. Um uns diese Möglichkeit möglichst lange zu erhalten, sollten wir bei einfachen Infektionen auf sie verzichten oder nur nach Erregernachweis und Resistenztestung einsetzen.

Fazit

Nach den Ergebnissen dieser Studie erscheint es dringend ratsam, sofort nach der Diagnosestellung schwere Sepsis oder septischer Schock Breitspektrum-Antibiotika in adäquater Dosierung (ggf. angepasst an die lokale Resistenzlage) zu verabreichen.

Interessenkonflikte

Ein Interessenkonflikt wird vom Autor verneint.

Literatur
  1. Kumar A, Roberts D, Wood KE et al: Duration of hypotension before initiation of effective antimicrobial therapy is the critical determinant of survival in human septic shock. Crit Care Med 2006; 34:1589–1596.
  2. Ferrer R, Martin-Loeches I, Phillips G et al.: Empiric antibiotic treatment reduces mortality in severe sepsis and septic shock from the first hour: results from a guideline-based performance improvement program. Crit Care Med 2014; 42: 1749-1755.