Die Reisediarrhoe – was gibt es Neues?

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 4/2015

Autor

Eine Autorengruppe (1), die bereits in vergangenen Jahren die vorhandenen Daten zur Reisediarrhoe zusammengestellt hatte, arbeitete die zwischen 2012 und 2014 zu diesem Thema neu erschienenen Arbeiten auf. Es waren 2976 (!) Artikel, von denen 37 in diese neue Zusammenfassung eingingen.

Weltweit gehen die Erkrankungszahlen zurück. Sie sind dem Einkommen der Menschen eines Landes invers korreliert. Teilt man die Welt in solche Regionen mit einer Erkrankungsinzidenz von < 8 %, 8–20 % und > 20 %, so ergibt sich, dass die USA und weite Teile Europas in die Gruppe 1 fallen. In Gruppe 2 sind weite Teile Südamerikas, die Balkanländer, China und viele Länder der ehemaligen UDSSR zu finden. In Gruppe 3 fallen einige südamerikanische Länder, ganz Mittelamerika sowie weite Teile Afrikas und Asiens. Definiert ist das Leiden als eine Durchfallerkrankung, die am Ort der Reise auftritt und mit mehr als drei durchfälligen Stühlen/24 Stunden einhergeht. Das Risiko ist bei Kindern und Jugendlichen erhöht. Immunsupprimierte Patienten scheinen nicht häufiger an akuter Reisediarrhoe zu erkranken. Allerdings treten chronische Infektionen durch Lamblien und Amöben bei ihnen vermehrt auf. Patienten mit chronisch entzündlicher Darmerkrankung haben darüber hinaus eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, einen infektgetriggerten Erkrankungsschub zu erleiden. Wenn auch die Masse der Infektionen folgenlos ausheilt, ist ein postinfektiöses Reizdarmsyndrom mit 3–17 % häufig, bei schwer verlaufender Reisediarrhoe sogar bis 30 % (2). Diese Spannbreite könnte mit dem Erreger zusammenhängen, aber auf dieses Problem gehen die Autoren nicht näher ein. Bei einiger Mühe seitens des Mikrobiologen lässt sich in 50–94 % der Fälle der Erreger identifizieren. Deren Häufigkeit gibt Tabelle 1 wieder.

Tabelle 1: Häufigkeit der Erreger

Man erkennt, dass die verschiedenen E. coli-Stämme zusammen mit den Salmonellen und Shigellen den höchsten Anteil an den Erregern haben (Ausnahme Südost-Asien). Insofern kann kaum verwundern, dass Ciprofloxacin in vielen Ländern als Mittel der Wahl gilt, nicht aber in Südostasien, wo Azithromycin bevorzugt wird.

Wie kann sich der Reisende schützen? Die alte Regel der britischen Kolonialoffiziere „boil it, cook it, peel it or forget it“ ist zweifellos die beste Anweisung, doch kaum einer hält sich daran. Immerhin sollten besondere Gefahrenquellen wie Salatbuffets und Eiswürfel in Getränken gemieden werden. Einer medikamentösen Prophylaxe mit Ciprofloxacin (oder Azithromycin in Südostasien) stehen die UAW dieser Substanzen und die durch sie bewirkte Resistenzentwicklung entgegen. Die Wirksamkeit der medikamentösen Prophylaxe wird auf 90 % geschätzt. Sie sollte aber nicht länger als zwei bis drei Wochen dauern. Sie kann indiziert sein bei besonders gegenüber einer Dehydratation gefährdeten Menschen wie insulinabhängigen Diabetikern und Menschen, die wiederholte Transitorische ischämische Attacken (TIA) durchgemacht haben. Auch kann sie erwogen werden bei Personen, die sich nur kurz in einem hoch gefährdeten Gebiet aufhalten und unter keinen Umständen für Tage ausfallen können, z. B. Künstler mit geplanten Auftritten. Gegen das Rotavirus kann man impfen (3), gegen Noroviren bisher leider nicht.

Zur („blinden“) Behandlung wird Ciprofloxacin 1–2 x tgl. 500 mg oder Azithromycin für drei Tage je 500 mg oder einmalig 1000 mg empfohlen. In den USA ist Wismut-Subsalicylat sehr beliebt, ist aber deutlich weniger wirksam. Wichtig ist der Flüssigkeitsersatz, insbesondere bei kleinen Kindern und älteren Personen. Eine Besserung unter antibiotischer Behandlung sollte schon am zweiten Tage einsetzen. Symptomatisch kann Loperamid gegeben werden, das aber nie als alleinige Medikation eingesetzt werden sollte, da man die Retention von Toxinen im Darm durch Toxinbildner befürchtet. Gegen den Brechreiz kann Ondansetron, Promethazin, Metoclopramid (MCP) oder Domperidon versucht werden. Domperidon und MCP werden als Dauermedikation in der Summe nicht mehr als positiv bewertet.

Von einer komplizierten Reisediarrhoe spricht man, wenn Fieber und/oder blutiger Stuhl auftreten. Als Ursache kommen Shigellen, Salmonellen, Campylobacter und Yersinien infrage. Auch Infektionen mit Noroviren können Fieber bewirken. In diesen Fällen sind die genaue bakteriologische Untersuchung des Stuhls und ein Test auf Noroviren angezeigt. Der Mikrobiologe sollte nicht mit der Anforderung „Untersuchung auf pathogene Keime“ abgespeist werden, vielmehr ist eine genaue Information des Kollegen über das Krankheitsbild, dessen Dauer und den vermuteten Ort der Ansteckung erforderlich. Hält die Erkrankung mehr als 14 Tage an, ist an Protozoen wie Giardia, Cryptosporidium oder Amöben zu denken und der Fall mit dem Mikrobiologen zu besprechen.

Fazit

Die Reisediarrhoe ist in vielen Ländern noch sehr häufig. Der Masse der Infektionen liegt E. coli zugrunde, außer in Südostasien, wo Campylobacter eine große Rolle spielt. Folglich ist die Behandlung mit Ciprofloxacin, in Südostasien mit Azithromycin angezeigt. Zur Linderung der Symptome sind Loperamid und Antiemetika geeignet. Die beste vorbeugende Maßnahme („boil it, cook it, peel it or forget it“) wird eher selten eingehalten, immerhin sollten die stärksten Gefahrenquellen wie Salatbuffets und Eiswürfel in Getränken gemieden werden. Eine medikamentöse Prophylaxe ist nur in besonderen Fällen indiziert. Komplizierte Fälle (Fieber, blutiger Stuhl, Dauer über 14 Tage) sollten mit dem Mikrobiologen besprochen werden.

Interessenkonflikte

Ein Interessenkonflikt wird vom Autor verneint.

Literatur
  1. Steffen R, Hill DR, DuPont HL: Traveler's diarrhea: a clinical review. JAMA 2015; 313: 71-80.
  2. Layer P, Andresen V, Pehl C et al.: S3-Leitlinie Reizdarmsyndrom: Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie. Gemeinsame Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und der Deutschen Gesellschaft für Neurogastroenterologie und Motilität (DGNM). Z Gastroenterol 2011; 49: 237–293.
  3. Schneeweiß B: Orale Impfung gegen Rotaviren wird in England in den Impfkalender aufgenommen. Arzneiverordnung in der Praxis (AVP) 2013; 40: 160.