Sollen Dialysepatienten mit Vorhofflimmern antikoaguliert werden?

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 4/2015

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Bei Patienten mit normaler Nierenfunktion und Vorhofflimmern ist der präventive Nutzen der Antikoagulation groß und unbestritten. Gilt dies aber auch für Dialysepatienten? Die Untersuchungen zum Nutzen der Statine bei Dialysepatienten haben eindeutig gezeigt, dass das, was für „normale“ Patienten gilt, für Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz (end stage renal failure, ESRF) nicht zu gelten braucht (1).

Eine Arbeitsgruppe um Shah et al. (2) stellte nun die Frage neu, ob bei dialysebedürftigen ESRF-Patienten mit Vorhofflimmern eine Antikoagulation sinnvoll ist. Sie gehen davon aus, dass Dialysepatienten ohnehin einem Blutungsrisiko unterliegen, einmal wegen des allgemein erhöhten Risikos bei ESRF, zum anderen wegen der Heparingabe bei der Hämodialyse. Sie führten eine retrospektive Kohortenstudie an 1626 Patienten durch, die über 65 Jahre alt und dialysebedürftig waren sowie Vorhofflimmern aufwiesen. Die Daten bezogen sie aus einem Datenpool des kanadischen Gesundheitssystems. Eine Angabe, wie viele Patienten hiervon eine Peritoneal- und wie viele eine Hämodialyse erhielten, wird nicht gemacht. Auch Angaben zur Frage, wie gut oder schlecht die Patienten mit Warfarin eingestellt waren, finden sich nicht. So hätte ja beispielsweise die Frage interessiert, wie viele Patienten eine Selbstkontrolle durchführten.

756 Patienten hatten Warfarin bekommen. Dieses wird in den USA verordnet und entspricht in etwa unserem Phenprocoumon (Marcumar®). Die andere Gruppe (870 Patienten) hatte keine Antikoagulation erhalten. Bekanntlich haben Dialysepatienten und gar solche mit Vorhofflimmern meist viele weitere Diagnosen wie Diabetes, Koronare Herzkrankheit, Herzinsuffizienz u. a. Hier war eine Differenz zwischen den beiden Gruppen nicht feststellbar. Die Ergebnisse zeigen die Tabellen 1 und 2.

Tabelle 1: Ergebnisse der Studie nach (2): SchlaganfälleTabelle 2: Ergebnisse der Studie nach (2): Blutungen

Die Ergebnisse sprechen für sich. Die Autoren werteten sechs andere Arbeiten zu diesem Thema aus, von denen nur bei einer eine positive Warfarin-Wirkung gesehen wurde. Als Pluspunkte ihrer eigenen Studie nennen sie die Größe ihres Datenmaterials. Da die Zahlen aus einem großen Pool des kanadischen Gesundheitssystems (also aus dem Alltag, nicht einer Studie) stammen, geben sie die klinische Wirklichkeit nach Meinung der Autoren gut wieder. Als Begrenzung der Aussage ihrer Studie sehen sie die allgemeinen Probleme einer retrospektiven Kohortenstudie an und insbesondere die Unklarheit, wie valide die aus dem Datenpool entnommenen Daten sind.

Wie üblich wird die Arbeit in demselben Heft kommentiert (3). Hier werden noch einmal die Grenzen von Kohortenstudien herausgestellt. Der große Nutzen der Antikoagulation bei Nierengesunden und bei Nierenkranken mit einer Restfunktion (GFR > 30 ml/min) wird hervorgehoben. An den vorliegenden Ergebnissen kommen aber auch die sehr skeptischen Kommentatoren nicht vorbei. Sie fordern prospektive randomisierte Studien. Immerhin sehen sie in der Arbeit von Shah et al. (2) einen „Beitrag“ zu der Schlussfolgerung, dass die Antikoagulation bei Dialysepatienten mehr schaden als nützen könnte.

Fazit

Nach einer retrospektiven Kohortenstudie mit großem Zahlenmaterial, das aus Routineaufzeichnungen des kanadischen Gesundheitssystems stammt, kommen kanadische Autoren zu folgendem Schluss: Eine Antikoagulation mit Warfarin (entspricht in etwa Phenprocoumon) vermindert bei Dialysepatienten mit Vorhofflimmern das Risiko eines Schlaganfalles nicht. Es erhöht aber das Risiko einer bedeutsamen Blutung. Prospektive Daten sind wünschenswert.

Interessenkonflikte

Ein Interessenkonflikt wird vom Autor verneint.

Literatur
  1. Strippoli GF, Craig JC: Sunset for statins after AURORA? N Engl J Med 2009; 360: 1455–1457.
  2. Shah M, Avgil Tsadok M, Jackevicius CA et al.: Warfarin use and the risk for stroke and bleeding in patients with atrial fibrillation undergoing dialysis. Circulation 2014; 129: 1196-1203.
  3. Granger CB, Chertow GM: A pint of sweat will save a gallon of blood: a call for randomized trials of anticoagulation in end-stage renal disease. Circulation 2014; 129: 1190-1192.