Arzneimitteltherapiesicherheit wird 10 Jahre alt – als Begriff in der deutschen Sprache

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 3/2015

Autor
  • Prof. Dr. med. Daniel Grandt, Saarbrücken,
    Chefarzt Medizinische Klinik I, Klinikum Saarbrücken gGmbH,
    Vorstandsmitglied der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ),
    dgrandt@klinikum-saarbruecken.de

Die Beiträge in diesem Heft spiegeln das Engagement der Autoren wider und zeigen, wie auch die Aktionspläne des Bundesministeriums für Gesundheit – dargestellt im Artikel von Frau Dr. Dwenger und Herrn Sommer − sowie die Kongresse zur Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) seit 2005, dass wir in dieser Zeit gemeinsam viel erreicht haben. AMTS ist angekommen in der Politik, bei der verfassten Ärzte- und Apothekerschaft und auch als Thema in der Forschungsförderung der Bundesregierung sowie im Innovationsfond. Aber ist AMTS auch angekommen in der Behandlungsrealität und beim Patienten? „Klimaschutz“ und „elektronische Gesundheitskarte“ zeigen uns, dass die Häufigkeit der Benutzung eines Begriffes kein valider Surrogatparameter für die Annäherung an die hinter den Begriffen stehenden Ziele ist. Das gilt auch für AMTS und wir müssen uns fragen, warum erreicht AMTS noch nicht die Patienten in der Fläche? Die Antwort kann man erahnen, wenn man mit dem Taxi durch Berlin fährt: Abkürzungen über Parkplätze von Discountern und durch Spielstraßen, großzügige Definition der grünen Ampelphase und Akzeptieren von Abbiegepfeilen als Hinweis auf eine der möglichen Fahrtrichtungen kennzeichnen den Weg zum Ziel. In der modernen Fehlertheorie wird dies als „Local Rationality Principle“ bezeichnet: Fehler passieren häufig nicht, weil jemand es nicht besser weiß oder kann, sondern weil konkurrierende Ziele nur durch Verletzung von Regeln und Vorsichtsmaßnahmen erreicht werden können. Wer im Krankenhaus oder in der Praxis arbeitet, braucht an dieser Stelle keine weiteren Erklärungen. AMTS wird solange nicht in ausreichendem Umfang den Patienten erreichen, solange Effizienzsteigerung und ökonomische Kenngrößen in der Behandlungsrealität Priorität haben. „Primum nihil nocere“ ist keine neue Idee, bringt aber die notwendige Priorisierung von AMTS auf den Punkt.

Das in der Soziologie als „Authority-Responsibility-Mismatch“ bezeichnete Phänomen beschreibt das zu überwindende Hindernis: Der Arzt ist zwar der Fachmann für Behandlungsprozesse und für das Ergebnis verantwortlich, hat aber nicht die Autorität, die Rahmenbedingungen seines Handelns so festzulegen oder zumindest soweit zu beeinflussen, dass die dem Patienten geschuldete, adäquate und von vermeidbaren Fehlern freie Behandlung gewährleistet werden kann. Damit AMTS den Patienten erreicht, müssen nicht nur Ärzte und Apotheker sich bemühen, sondern auch Korrekturen auf Systemebene erfolgen. AMTS ist nicht eines unter vielen konkurrierenden Zielen, sondern zu gewährleistende Voraussetzung der Behandlung mit Arzneimitteln. Es ist insbesondere die Aufgabe der Ärzte, aber auch die aller anderen am Behandlungsprozess Beteiligten, die notwendigen Voraussetzungen einer sicheren Arzneimitteltherapie zu benennen und einzufordern. Es ist die Aufgabe von Politik, Krankenkassen und Organisationen der Heilberufler, aufmerksam zuzuhören und notwendige Veränderungen auf Systemebene zu bewirken.

Entsprechend seiner Bedeutung sollte AMTS nicht nur implizit, sondern explizit im Sozialgesetzbuch V benannt und verankert werden. Für Maßnahmen zur Gewährleistung von AMTS durch Leistungserbringer ist eine aufwandsentsprechende Finanzierung vorzusehen, und Krankenkassen müssen legitimiert und verpflichtet werden, Versicherte und Leistungserbringer bei der Verbesserung von AMTS zu unterstützen. AMTS als Prävention vermeidbarer Schäden durch Arzneimitteltherapie ist Verbraucherschutz für Patienten im Gesundheitswesen.

Als Ärzte können wir die Hände nicht in den Schoß legen und auf „sicherere Rahmenbedingungen“ warten. Einerseits schulden wir bereits heute dem Patienten eine von vermeidbaren Fehlern freie Therapie, anderseits sind wir diejenigen, die aufzeigen müssen, wie Prozesse und Rahmenbedingungen weiterentwickelt werden sollten, um AMTS zu verbessern. Prozessoptimierung klappt am besten, wenn man den Prozess versteht und wenn alle Beteiligten zusammenarbeiten. Die von Frau Prof. Stingl in diesem Heft dargestellten Daten zu vermeidbaren Nebenwirkungen bei Krankenhausaufnahme unterstreichen die Notwendigkeit tätig zu werden. Die im ARMIN-Projekt für den ambulanten Bereich gemachten Erfahrungen, dargestellt im Artikel von Herrn Dr. Schwenzer, belegen, dass es durchaus möglich ist, AMTS als Thema aufzugreifen und zu verbessern. Die Zusammenarbeit von Arzt und Apotheker ist dabei ein wichtiges Thema.

Ich hoffe, dass Sie aus den in diesem Heft dargestellten Erfahrungen Anregungen und Motivation für Ihre tägliche Arbeit ziehen können, und AMTS in Ihrem täglichen Handeln weiterentwickeln. Oder wie es Mahatma Gandhi formuliert hat, „Wir müssen der Wandel sein, den wir in der Welt zu sehen wünschen.“