Der Aktionsplan zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit (AP-AMTS)

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 3/2015

Autoren

Einführung

Die Anwendung von Arzneimitteln stellt im ärztlichen therapeutischen Instrumentarium in sehr vielen Fällen die wesentliche Option bei der Behandlung von Erkrankungen dar. Jedoch weist die Anwendung von Arzneimitteln auch immer relevante Risiken auf. Infolge dessen wird in allen entwickelten Industrienationen ein nicht unerheblicher Teil der internistischen Krankenhausaufnahmen durch auf Medikationsfehler beruhende unerwünschte Arzneimittelereignisse (UAE) verursacht, von denen viele bei Befolgung anerkannter Verschreibungsregeln vermeidbar wären. Als Medikationsfehler wird in diesem Zusammenhang der nicht bestimmungsgemäße Gebrauch eines Arzneimittels angesehen, der keinen anerkannten Off-Label-Use darstellt.

Angeregt durch Erfahrungen im Ausland, wie z. B. der amerikanischen Initiative „To Err Is Human – Building a Safer Health System“ wurden auch in Deutschland vor etwa zehn Jahren erste Überlegungen dazu angestellt, wie es auf nationaler Ebene gelingen kann, in relevantem Ausmaß zur Vermeidung von Medikationsfehlern und zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) beizutragen. Als ein erster Meilenstein ist insofern der 1. Kongress für Patientensicherheit bei medikamentöser Therapie (19. und 20. April 2005 in Saarbrücken) anzusehen. Im darauf folgenden Jahr fand das Thema auch Eingang in die politische Diskussion. Am 11. September 2006 fand im Bundesministerium für Gesundheit (BMG) unter Beteiligung der damaligen Bundesministerin für Gesundheit, Ulla Schmidt, ein Gespräch mit Vertretern der Bundesärztekammer statt. Im Ergebnis bestand Übereinstimmung, dass Medikationsfehler ein relevantes Problem in der medizinischen Praxis darstellen und deshalb bis etwa Mitte 2007 ein Gesamtkonzept zur Verbesserung der AMTS erarbeitet werden sollte.

Da für die Verbesserung der AMTS in Deutschland keine gesetzlich geregelte, fachbehördliche Zuständigkeit existiert, wie sie im Bereich der Pharmakovigilanz auf Grund des Arzneimittelgesetzes vorhanden ist, war es notwendig, dass die Vertreter der Heilberufe (z. B. Ärzte, Apotheker, Pflegekräfte) unter Einbindung von Patientenvertretern mit Unterstützung des BMG die Initiative ergreifen, um die Voraussetzungen für eine substantielle Verbesserung der AMTS in Deutschland zu schaffen.

Erste Aktionspläne

In der Folge wurde unter der fachlichen Führung der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) der Aktionsplan 2008/2009 zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit erarbeitet. Dieser wurde im Rahmen des 2. Kongress für Patientensicherheit bei medikamentöser Therapie (29. und 30. November 2007 in Bonn) vorgestellt und enthielt 49 Maßnahmen mit folgenden thematischen Schwerpunkten:

  • Etablierung einer verbesserten Sicherheitskultur in den Fachkreisen unter Einbeziehung der Patientinnen und Patienten
  • Verbesserung der Informationen über Arzneimittel
  • Schwerpunktorientierte Entwicklung und Einsatz von Strategien zur Risikovermeidung bei der Anwendung von Arzneimitteln
  • Förderung der Forschung auf dem Gebiet der AMTS
  • Organisation eines kontinuierlichen Prozesses zur Umsetzung und Fortschreibung des Aktionsplans

Zur begleitenden Umsetzung des Aktionsplans wurde bei der AkdÄ eine Koordinierungsgruppe eingesetzt. Diesem Gremium gehören Vertreter der ÄkdÄ, der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA), der Bundesvereinigung Deutscher Krankenhausapotheker (ADKA), des Deutschen Pflegerates, des Aktionsbündnisses für Patientensicherheit, der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG e. V.), von Patientenverbänden sowie des BMG an. Es wird vom BMG finanziell gefördert und berät etwa drei- bis viermal jährlich den Stand der Umsetzung des Aktionsplans sowie damit in Verbindung stehende Aspekte.

Der Aktionsplan 2008/2009 zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit konnte insgesamt erfolgreich umgesetzt werden. Zu Beginn des Jahres 2010 waren von den 49 beinhalteten Maßnahmen 31 abgeschlossen, neun begonnen und nur acht Maßnahmen waren hinsichtlich ihrer Umsetzung noch offen; die Umsetzung einer Maßnahme konnte wegen des auf EU-Ebene erzielten Arbeitsfortschrittes entfallen. Zu den abgeschlossenen Maßnahmen zählten u. a. die Erarbeitung eines Patientenmerkblatts mit Tipps für eine sichere Arzneimitteltherapie, die öffentlich zugängliche Bereitstellung wissenschaftlicher Daten zur Arzneimitteltherapie in Schwangerschaft und Stillzeit im Internet, die Veröffentlichung einer Datenbank des PEI im Internet zu UAW nach Impfungen sowie die Etablierung eines neuen Forschungsschwerpunktes AMTS im Rahmen der Ressortforschung des BMG.

Im zweiten Halbjahr 2009 wurde mit vorbereitenden Maßnahmen zur Fortschreibung des Aktionsplans begonnen. Nach Abstimmung des von der Koordinierungsgruppe übermittelten Entwurfs im BMG erfolgte eine Anhörung der relevanten Verbände und Institutionen. Schließlich konnte der Aktionsplan 2010/2012 zur Verbesserung der AMTS im Rahmen des 3. Kongresses für Patientensicherheit bei medikamentöser Therapie (19. und 20. Juni 2010 in Berlin) vorgestellt werden. Dieser Aktionsplan enthielt unter den gleichen thematischen Schwerpunkten wie beim ersten Aktionsplan 59 Maßnahmen. Zu den Höhepunkten seiner Umsetzung zählt der Druck und die Verteilung des o. g. Patientenmerkblatts über öffentliche Apotheken, die Verbandszeitschrift des Sozialverbandes VdK und Krankenhäuser im Dezember 2010 in einer Auflage von ca. fünf Millionen Exemplaren. Ein entsprechendes Poster wurde dem Deutschen Ärzteblatt und den Standeszeitschriften der Apothekerschaft beigefügt; darüber hinaus wurde jeder öffentlichen Apotheke ein solches Poster zur Verfügung gestellt.

Der dritte Aktionsplan wurde im Rahmen des 4. Kongresses für Patientensicherheit bei medikamentöser Therapie am 14. Juni 2013 vorgestellt, umfasst 39 Maßnahmen und soll bis Ende 2015 umgesetzt werden.

Forschung zur Arzneimitteltherapiesicherheit

Bei der Verbesserung der AMTS stellt die entsprechende Forschung eine der wesentlichen Aktivitäten dar. Das BMG hat seit der Erarbeitung des ersten Aktionsplans etwa 5,6 Millionen Euro für Forschungsprojekte im Bereich der AMTS zur Verfügung gestellt. Mit diesen Mitteln sind Arbeiten in wichtigen Teilaspekten der AMTS gefördert worden. Dazu zählen u. a. die Erarbeitung und Testung des bundeseinheitlichen Medikationsplans, Projekte zur Erfassung und Auswertung von Medikationsfehlern und Untersuchungen zur AMTS in Alten- und Pflegeheimen, im Bereich der sektorübergreifenden Versorgung, im Bereich onkologischer Patienten sowie in Krankenhäusern. Weitere Projekte befinden sich in der Vorbereitung.

Jedoch reichen die Mittel aus der Ressortforschung des BMG allein nicht aus, um den Forschungsbedarf im Bereich der AMTS adäquat abzudecken. Im Rahmen der Umsetzung des Aktionsplans 2010/2012 zur Verbesserung der AMTS hat die Koordinierungsgruppe ein Memorandum zur Entwicklung der Forschung auf dem Gebiet der AMTS erarbeitet. Das BMG hat dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) das Memorandum übermittelt mit der Bitte, die Einrichtung eines Förderschwerpunktes zur AMTS im Rahmen des vom BMBF und vom BMG gemeinsam getragenen „Rahmenprogramm Gesundheitsforschung“ zu prüfen. Die AMTS ist inzwischen als Themenbereich der Versorgungsforschung im „Rahmenprogramm Gesundheitsforschung“ genannt. Damit ist eine Förderung von Forschungsprojekten zur AMTS auf diesem Wege möglich.

Im Rahmen des im Jahr 2012 durchgeführten Programms des BMBF hat die Bundesregierung seinerzeit 18 Millionen Euro zur Förderung der Versorgungsforschung bereitgestellt. Von den 32 zur Förderung vorgeschlagenen Projekten bezogen sich neun auf AMTS-relevante Themen.

Bundeseinheitlicher Medikationsplan

Schwerpunkt des aktuellen, bis zum Jahr 2015 geltenden Aktionsplans ist die Erarbeitung eines bundeseinheitlichen Medikationsplans. Dazu wurde zunächst eine entsprechende Spezifikation geschaffen, welche Inhalt und Struktur des Medikationsplans beschreibt. Zur Vorbereitung der Einführung des Medikationsplans hat das BMG zwei grundlegende Projekte gefördert:

Mit der Untersuchung der Nutzbarkeit des Medikationsplans zur Optimierung der Spezifikation und Definition des Referenzmodells konnte nachgewiesen werden, dass der in dem Medikationsplan enthaltene 2D-Barcode die auf dem Medikationsplan enthaltenen Informationen zu den verschriebenen Arzneimittel zuverlässig in das Transportformat und von da zurück in den am Bildschirm ablesbaren Klartext umwandelt. Es konnte gezeigt werden, dass auf dem Medikationsplan keine zusätzlichen Datenfelder benötigt werden.

Ferner hat das BMG ein Projekt zu den grundlegenden Voraussetzungen für die elektronische Abbildung von Arzneimitteldaten im Hinblick auf den Medikationsplan gefördert. Ziel dieses Projektes war es, einen Überblick über den Status Quo der technischen Möglichkeiten der Medikationsplanerstellung mit der Apothekensoftware zu erhalten. In diesem Rahmen wurden Probleme bei der elektronischen Abbildung von Arzneimitteldaten zur Erstellung bzw. Aktualisierung eines Medikationsplans identifiziert und Lösungsvorschläge erarbeitet.

Schließlich hat das BMG im Herbst 2014 in Umsetzung des aktuellen Aktionsplans die Mittel für drei Projekte zur Erprobung der Akzeptanz und der Praktikabilität des Medikationsplans einschließlich eines Lesbarkeitstests bereitgestellt. Diese Projekte sollen spätestens Ende des Jahres 2017 abgeschlossen sein und dazu dienen, die Spezifikation zum Medikationsplan auf der Basis praktischer Erfahrungen weiter zu optimieren.

Forschungsprojekte zur Untersuchung von Medikationsfehlern

Ebenfalls im Herbst 2014 hat das BMG Mittel für einen weiteren Schwerpunkt des aktuellen Aktionsplans bereitgestellt. Im Rahmen von zwei Projekten soll das Problem der Medikationsfehler adäquat adressiert werden:

Das Projekt des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) trägt den Titel „Medikationsfehler bei Krankenhausnotaufnahme und im nationalen Spontanmeldungssystem“ und beschäftigt sich mit dem Ausmaß und der Häufigkeit von Medikationsfehlern in der ambulanten und stationären Krankenhausversorgung. Das Projekt wird Anfang 2018 abgeschlossen sein.

Das Projekt der AkdÄ stellt eine Machbarkeitsstudie zur systematischen Erfassung von Medikationsfehler auf Grundlage von ärztlichen Meldungen im Rahmen eines erweiterten Spontanmeldesystems dar; es hat eine Laufzeit von drei Jahren.

Ausblick

Mit Beginn des Jahres 2015 ist bereits wieder an eine Fortschreibung des Aktionsplans über das Jahr 2015 hinaus zu denken. Darüber hinaus ist es auch an der Zeit, darüber nachzudenken, wie Erkenntnisse aus den Aktionsplänen weiterhin in verbindliche Regelungen umgesetzt werden können, um in Deutschland eine flächendeckende Implementierung und damit eine spürbare Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit zu erreichen. In Vorbereitung ist ein Gesetz des BMG für die sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen (Entwurf zum E-Health-Gesetz), in dessen Rahmen u. a. geplant ist, dass bestimmte Patientengruppen künftig Anspruch auf Ausstellung eines Medikationsplans haben sollen. Jenseits solcher, ggf. vom Gesetz- oder Verordnungsgeber zu treffenden Regelungen bleibt es jedoch dabei, dass bei der Erreichung dieses Ziels insbesondere die Vertreter der Heilberufe in ihrer täglichen Berufsausübung, jedoch auch die Patienten, Pflegekräfte sowie ggf. pflegende Angehörigen den größten Teil dazu beisteuern können, die Arzneimitteltherapiesicherheit spürbar zu verbessern.