Der einheitliche patientenbezogene Medikationsplan als Grundlage zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 3/2015

Autor
  • Dr. med. Amin-Farid Aly, Berlin, AkdÄ, Referent Arzneimitteltherapiesicherheit

Warum brauchen wir einen Medikationsplan?

Dass Patienten, die mehrere unterschiedliche Medikamente am Tag einnehmen müssen, einen Medikationsplan führen sollten, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Dennoch zeigen Untersuchungen, dass nur etwa 25 % aller Patienten, für die ein Überblick über die Arzneimitteltherapie notwendig wäre, auch einen Medikationsplan haben und dieser oft nur veraltete oder unvollständige Informationen zur Arzneimitteltherapie enthält (1). Eine gute Dokumentation der Arzneimitteltherapie ist jedoch die Grundvoraussetzung, um eine optimale Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) zu erreichen.

Nach dem Willen des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) sollen daher gesetzlich Versicherte ab Oktober 2016 einen Anspruch auf einen Medikationsplan haben, wenn sie mehr als fünf Arzneimittel einnehmen.

Trotzdem bleibt die Frage: Wo liegen die Hürden zu einer verbesserten Arzneimitteldokumentation? Gesetzliche Vorgaben allein werden diese Probleme nicht beseitigen können.

Es gibt hauptsächlich drei Punkte, die den Überblick zur aktuellen Medikation eines Patienten erschweren:

  1. Unterschiedliche Ärzte, die Arzneimittel verordnen:
    Patienten werden von verschiedenen Ärzten gleichzeitig behandelt, die unterschiedliche Arzneimittel einsetzen können. Darüber hinaus können die Patienten sich auch selbst Arzneimittel kaufen.
  2. Hürden beim intersektoralen Übergang (2):
    Im stationären Bereich werden andere Arzneimittel verabreicht als im ambulanten Bereich. Dies liegt zum einem daran, dass jedes Krankenhaus eigene Hauslisten führt, und zum anderen an der Preispolitik der pharmazeutischen Industrie. Durch Rabattverträge im ambulanten Bereich wird die Situation hinsichtlich der Wirkstoffnamen zusätzlich verkompliziert. Der Hausarzt kennt die Handelsnamen der Arzneimittel, die der Patienten ausgehändigt bekommt, in der Regel nicht.
  3. Eine genaue Arzneimittelanamnese ist zeitaufwendig und die Möglichkeiten zur Aktualisierung bestehender Information fehlen, sodass Dokumente immer wieder neu angelegt werden müssen.

Die Niederlande haben das Potenzial eines Medikationsplans bereits seit Längerem erkannt. Ein einheitlicher Medikationsplan ist dort für Patienten seit einigen Jahren in der Praxis implementiert. Für Apotheken ist es verpflichtend, in enger Abstimmung mit dem behandelnden Hausarzt, einen aktuellen Medikationsplan für Patienten zur Verfügung zu stellen. Um den Austausch von Daten zu ermöglichen, wird in den Niederlanden auch auf die Einheitlichkeit des Medikationsplans geachtet. Da es strukturelle Unterschiede zum deutschen Gesundheitssystem gibt, ist der Ansatz der Niederlande in Deutschland jedoch nicht einfach zu übernehmen. Die niederländischen Versicherten haben beispielsweise eine sogenannte „Hausapotheke“. Dieser Ansatz wäre in Deutschland nicht umsetzbar, weil hier die Wahlfreiheit als wichtiges Gut angesehen wird.

Abstimmungsprozess Medikationsplan

Zur Verbesserung der AMTS hat das BMG im Rahmen des Aktionsplans zur Verbesserung der AMTS in Deutschland (3) eine Koordinierungsgruppe berufen. In diesem Gremium war man sich schnell einig, dass ein Medikationsplan für den Patienten konzipiert werden muss, der die oben genannten Hürden überwindet, Patienten, Ärzten und Apothekern aber die notwendige Information zur aktuellen Medikation zur Verfügung stellen kann.

Im Rahmen des Aktionsplans wurden dazu in den Jahren 2011 bis 2013 drei Themenworkshops mit allen am Medikationsprozess beteiligten Gruppen durchgeführt (Ärzte, Apotheker, Patienten, Pflegende, Bundesoberbehörden, Vertreter von stationären und niedergelassenen medizinischen Einrichtungen; siehe Tabelle 1), um einen Konsens zu den Inhalten und der Struktur eines einheitlichen patientenbezogenen Medikationsplan zu erreichen.

Tabelle 1: Liste der Beteiligten am Abstimmungsprozess zum patientenorientierten Medikationsplan

Struktur und Inhalte

Zunächst wurde der grundlegende Datensatz (Abbildung 1) des Medikationsplans konsentiert. Dieser enthält neben den Basisinformationen zum Patienten und ausstellenden Arzt oder Apotheker den Namen des Wirkstoffs und des Fertigarzneimittels, Angaben zur Dosierung, die Darreichungsform und die Wirkstärke. Darüber hinaus enthält der Medikationsplan optional Informationen für den Patienten zum Grund seiner Therapie, zum Behandlungszeitraum und ggf. zur Lagerung sowie Anwendungshinweise.

Abbildung 1: Notwendige Daten des patientenbezogenen Medikationsplans, wie sie von den beteiligten Anwendern (siehe Tabelle 1) festgelegt wurden

Die in den Workshops erarbeiteten Konzepte versuchen die alltäglichen Hürden, die sich bei der Erstellung eines Medikationsplans auftun, zu überwinden. Aus diesen Anforderungen wurde die Struktur des Medikationsplans erarbeitet: ein Papierausdruck mit zweidimensionalem Barcode für die elektronische Nutzung der Inhalte.

Mit der Papierform wurde für den Plan ein Medium gewählt, welches für den Patienten möglichst einfach anzuwenden ist. Die Verwendung eines Barcodes am oberen rechten Rand des Dokumentes erlaubt eine schnelle Aktualisierung und die Überwindung des Medienbruches (Papier – elektronische Verarbeitung der Medikationsdaten im Verwaltungssystem der Praxis oder Apotheke).

Mit dem Ziel ein einheitliches Aussehen des Medikationsplans (Abbildung 2) und auch die Übertragbarkeit der Informationen in verschiedene Systeme zu gewährleisten, wurde aus den in den Workshops genannten Anforderungen eine Spezifikation erarbeitet, die den Aufbau und die Verwendung der einzelnen Datenfelder sowie das genaue Aussehen des Medikationsplans detailliert beschreibt (4).

Der resultierende, einheitliche und patientenbezogene Medikationsplan stellt aber auch einen Kompromiss dar. Nicht alle Wünsche zu Informationen, die für eine Arzneimitteltherapie relevant wären, konnten erfüllt werden, ohne das Format des Medikationsplans zu überfrachten.

Abbildung 2: Beispiel für den Medikationsplan einer Patientin mit Bluthochdruck, Hypercholesterin, Diabetes und spontanen Herzrhythmusstörungen

Der Medikationsplan ist kein Ersatz für eine Patientenakte oder eine Dauerdokumentation. So werden keine bereits abgesetzten Arzneimittel aufgelistet und auch die strukturierte Erfassung von Allergien und Diagnosen ist nicht vorgesehen. Wichtige Informationen, die nicht zu den vorgegebenen Feldern passen, können als Freitext in einem gesonderten Feld aufgeführt werden.

Anwendungsfälle

Anhand der Spezifikation können die Hersteller von Praxis-, Krankenhaus- und Apothekenverwaltungssystemen den Medikationsplan als Softwaremodul „Medikationsplan“ in ihre Strukturen integrieren. Damit wird das Erstellen, Einlesen und Überarbeiten der aktuellen Medikation eines Patienten wesentlich erleichtert.

Beim Erstellen eines Medikationsplans wird der Arzt oder Apotheker durch seine Software unterstützt. Das Modul zum Medikationsplan interagiert hierzu mit dem Softwaresystem des Anwenders und nutzt die Medikationsdaten, soweit diese in der Dokumentation des Arztes bzw. des Apothekers vorhanden sind, um automatisch einen Vorschlag für einen Medikationsplan zu erstellen. Diesen Vorschlag oder vorläufigen Medikationsplan kann dann der Anwender entsprechend der tatsächlich eingenommenen Arzneimittel ergänzen oder Arzneimittel entfernen, die der Patient nicht mehr einnimmt. Apotheker können hier beispielsweise vom Patienten gekaufte Selbstmedikation ergänzen und dem Patienten dann den aktualisierten Medikationsplan mitgeben. Hierdurch wird der Arzt ergänzend über die Selbstmedikation des Patienten informiert.

Wenn der Patient mit einem standardisierten Medikationsplan in die Praxis, Krankenausnotaufnahme oder in die Apotheke kommt, wird eine schnelle Übertragung der auf dem Medikationsplan verfügbaren Informationen durch den aufgedruckten Barcode, der alle Informationen zur Medikation, zum Patienten und zur Anwendung oder Sicherheitshinweisen enthält, möglich. Der Barcode ist hier eine Art Einlesehilfe, die das Abschreiben eines Medikationsplans beschleunigt.

Darüber hinaus übergibt der Barcode dem Softwaresystem anders als beim reinen Abschreiben eines Medikationsplans die Informationen zur Medikation in strukturierter Form. Dies bedeutet, dass dem Softwaresystem auch mitgeteilt wird, welcher Text ein Wirkstoff ist, welcher eine Darreichungsform und welcher die Wirkstärke. Das Softwaresystem kann dann die Information auch in der richtigen Schublade ablegen. Wenn nur Freitext eingegeben würde, könnte ein Softwaresystem anders als ein Mensch sich diese Information nicht „dazu-denken“.

Welche Hürden sind noch zu überwinden?

Erfolgreich implementiert wurde der Medikationsplan inzwischen von verschiedenen Softwareherstellern aus dem ambulanten und stationären Bereich sowie von Softwareherstellern für Apothekenverwaltungssysteme. Leider ist der Markt für Softwaresysteme im ärztlichen Bereich sehr heterogen und zersplittert, sodass die Integration des einheitlichen patientenbezogenen Medikationsplans in alle Softwaresysteme noch etwas Zeit beanspruchen wird. Hilfreich ist hier der vom Gesetzgeber angedachte Anspruch des Patienten mit mehr als drei gleichzeitig verordneten Arzneimitteln auf einen Medikationsplan (5), weil er den Herstellern zeigt, dass ein Medikationsplan ein wichtiger Baustein zur Verbesserung der AMTS ist und somit auch Bestandteil der Software sein muss, damit Ärzte und Apotheker bei der Zusammenstellung eines Medikationsplans die notwendige Unterstützung ihrer Systeme erhalten. Eine standardisierte Prüfung der von den Softwareherstellern zukünftig angebotenen Module zum Medikationsplan wäre sinnvoll, um eine ausreichende Austauschbarkeit von Daten zu gewährleisten.

Ein weitere Hürde sind die Kataloge, aus denen die Informationen zur Arzneimitteltherapie kommen (z. B. Darreichungsformen, Wirkstärken, Wirkstoffname). Diese Kataloge wurden ursprünglich für Zwecke der Abrechnung oder aufgrund von logistischen Anforderungen (Pharmazentralnummer) entwickelt. So ist die Darreichungsform als für den Patienten schwer verständliche Kombination aus drei Buchstaben hinterlegt. Hier wird es eine wichtige Aufgabe sein, Anforderungen für die entsprechenden Kataloge von Seiten der medizinischen und pharmazeutischen Anwender zu formulieren, sodass entsprechende Kataloge für den Medikationsplan ausgewählt bzw. erarbeitet werden, die zukünftig auch einen Informationsaustausch auf europäischer Ebene ermöglichen.

Fazit

Patienten, die mehrere unterschiedliche Arzneimittel einnehmen, sollten einen Medikationsplan führen. Das Vorhandensein der Information zu den Arzneimitteln, die ein Patient einnimmt, ist die Grundlage für die intellektuelle oder elektronische AMTS-Prüfung und damit Voraussetzung zur Verbesserung der AMTS.

Literatur
  1. Low M, Stegmaier C, Ziegler H et al.: [Epidemiological investigations of the chances of preventing, recognizing early and optimally treating chronic diseases in an elderly population (ESTHER study)]. Dtsch Med Wochenschr 2004; 129: 2643-2647.
  2. Kripalani S, LeFevre F, Phillips CO et al.: Deficits in communication and information transfer between hospital-based and primary care physicians: implications for patient safety and continuity of care. JAMA 2007; 297: 831-841.
  3. Bundesministerium für Gesundheit: Aktionsplan 2013–2015 des Bundesministeriums für Gesundheit zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) in Deutschland. 04.06.2013:https://www.akdae.de/AMTS/Aktionsplan/Aktionsplan-2013-2015/index.html
  4. Koordinierungsgruppe zur Umsetzung und Fortschreibung des Aktionsplans zur Verbesserung der Arzneimitteltherapie in Deutschland: Spezifikation für einen patientenbezogenen Medikationsplan. Version 2.0 vom 15.12.2013:http://www.akdae.de/AMTS/Medikationsplan/docs/Medikationsplan_aktualisiert.pdf
  5. Bundesministerium für Gesundheit: Gesetztentwurf der Bundesregierung. Entwurf eines Gesetzes für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen. 27.05.2015:http://www.bmg.bund.de/fileadmin/dateien/Downloads/E/eHealth/150527_Gesetzentwurf_E-Health.pdf