Der psychiatrische Notfall

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 2/2015

Autor

Psychiatrische Notfälle kommen in den verschiedenen medizinischen Disziplinen sehr häufig vor und stellen insbesondere für das psychiatrisch unerfahrene medizinische Personal eine große Herausforderung dar. Der folgende Artikel beschäftigt sich mit häufigen psychiatrischen Notfallsituationen und deren Beherrschung in Situationen, in denen eine adäquate psychiatrische Infrastruktur und Kompetenz nicht unmittelbar zur Verfügung stehen, wie zum Beispiel in Arztpraxen oder in Krankenhäusern ohne psychiatrische Abteilung.

Delir

Das Delir ist ein Krankheitssyndrom, welches sich durch die Symptome Bewusstseinsstörung, Störung der Orientierung und anderer kognitiver Funktionen auszeichnet, die typischerweise plötzlich auftreten und im Laufe des Tages mitunter deutlich fluktuieren können. Die Ursachen eines Delirs sind mannigfaltig und können häufig nicht sicher ergründet werden. Zu den wichtigsten Ursachen zählen Entzug oder Intoxikation von verschiedensten Substanzen oder Medikamenten, Infektionskrankheiten, endokrine oder metabolische Entgleisungen, zerebrale Raumforderungen, Ischämien, Exsikkose, Hypoxien oder postoperative Zustände. Ein aufgetretenes Delir muss schnellstmöglich einer stationären Behandlung zugeführt werden. Diese besteht idealerweise in der Beseitigung der zum Delir führenden Ursache; wenn dies nicht möglich oder die Ursache nicht erkennbar ist, aus nichtmedikamentösen und medikamentösen Maßnahmen. Zu Ersteren zählen neben einer ausreichenden Flüssigkeitssubstitution Hilfen bei der Reorientierung und Förderung eines normalen Tag-Nacht-Rhythmus (sichtbares Aufstellen einer Uhr, regelmäßige Rückmeldung über die Tageszeit, Versuch des Einhaltens von normalen Schlafzeiten) und frühe körperliche und kognitive Rehabilitationsmaßnahmen (Mobilisierung, kognitives Training). Bezüglich der medikamentösen Therapieoptionen existieren nach wie vor keine zugelassenen Medikamente, die Therapieentscheidung orientiert sich daher an der aktuellen Expertenmeinung. Zwei Medikamentengruppen kommen für die Delirbehandlung infrage: Neuroleptika und Benzodiazepine. Letztere können nur bei einem Delir aufgrund eines Substanzentzuges empfohlen werden, nicht bei einer anderen Genese (1). Bei der neuroleptischen Therapie existieren zum Haloperidol die meisten positiven Studien und Fallberichte, so dass es als Therapie der Wahl angesehen werden muss, zumal es ein günstiges Nebenwirkungsprofil aufweist, solange die Dosis nicht zu hoch angesetzt wird. Als Tagesdosis zu Beginn empfiehlt sich eine Gabe von 3 x 1 mg, die Gesamttagesdosis sollte 10 mg nicht überschreiten. Wenn möglich, ist eine orale Gabe zu bevorzugen; sollte eine intravenöse Gabe erfolgen müssen, verweist der Hersteller auf die Empfehlung zum Herz-Kreislauf-Monitoring, was aber gerade bei einem deliranten Patienten nur selten möglich sein wird. Neben dem Haloperidol gibt es noch positive Berichte von Olanzapin, Quetiapin und Risperidon, so dass auch diese als Therapieoption bei der Delirbehandlung gelten können.

Angst

Angst ist kein Syndrom oder eine Krankheitsentität, sondern ein Symptom, hinter dem sich viele verschiedene psychiatrische Erkrankungen verbergen können. Sehr häufig stellen sich Patienten in der Allgemeinarztpraxis oder der Rettungsstelle eines Allgemeinkrankenhauses vor, ohne dass die zugrunde liegende Erkrankung sofort offensichtlich ist. Die wichtigsten Differenzialdiagnosen sind hier in Kürze dargestellt. Bei der Depression äußert sich die Angst vorwiegend in einer psychomotorischen Unruhe oder als hypochondrische Sorge, an einer schweren Krankheit zu leiden, geht aber typischerweise einher mit niedergedrückter Stimmung, Schlaflosigkeit und Antriebsstörungen. Bei einer psychotischen Störung kann sich die Angst hinter einem feindseligen und misstrauischem Auftreten verbergen, erst nach näherer Exploration ergeben sich Hinweise auf die ängstliche Gewissheit, verfolgt, mit dem Tode bedroht oder auf andere Art beeinträchtigt zu werden. In der Notsituation ist die Überprüfung der Glaubhaftigkeit der Angaben oft schwierig und diese sollten nicht pauschal als unwahr abgetan werden. Häufig ergeben sich jedoch Hinweise auf eine Erkrankung durch das Vorhandensein anderer Symptome wie das Beklagen von Stimmenhören oder dem Gefühl, dass die Gedanken des Patienten von außen gelesen werden könnten. Beim Substanzabusus kann die Angst Ausdruck einer beginnenden vegetativen Entzugssymptomatik sein oder aber die Intoxikationswirkung der Substanz selbst. Auslöser können Halluzinogene, Ampethaminderivate, Cannabinoide u. v. a. sein. Hinweise hierfür ergeben sich aus der Anamnese und einem Urinschnelltest der wichtigsten Substanzgruppen. Auch das bereits beschriebene Delir oder die Demenz können sich zunächst mit Angstsymptomen präsentieren. Diese sind vorwiegend Ausdruck des Erlebens einer bedrohlichen Fremdheit der Umgebung, ausgelöst durch die kognitiven Störungen dieser Erkrankungen. Hier können die Untersuchung und, wenn erhältlich, eine Fremdanamnese gute Hinweise auf den Ursprung der Symptomatik liefern. Schließlich ist die große Gruppe der Angsterkrankungen natürlich Grund für Angstsymptome. Eine Exploration lässt im Falle der spezifischen Phobien (wie z. B. Agoraphobie) Hinweise auf einen Auslöser zu. Im Falle einer Panikstörung lassen sich typischerweise keine Auslöser eruieren, sondern die Angst tritt anfallsartig ohne erkennbaren Grund auf und wird vom Patienten daher als sehr bedrohlich erlebt. Nicht selten sind Angsterkrankungen auch komorbide Störungen neben internistischen Erkrankungen wie z. B. COPD oder Herzinsuffizienz, die es manchmal schwer machen, sie einer eigenen Angsterkrankung zuzuordnen, weil sie als akute Verschlechterung der internistischen Erkrankung gewertet werden.

Als therapeutische Intervention sollte eine medikamentöse Behandlung sehr zurückhaltend eingesetzt werden. Für den Fall einer Entscheidung für eine Notfallmedikation ist Lorazepam das Mittel der Wahl. Als Dosis ist 1 mg zu empfehlen, bei Menschen über 65 Jahren 0,5 mg. Selbst wenn man sich über die Ursache der Angst nicht genau im Klaren ist, so schadet man dem Patienten dadurch nicht, außer bei einer schweren Alkoholintoxikation, die sich aber leicht diagnostizieren lässt. In jedem Fall muss der Patient darauf hingewiesen werden, dass die Medikation wegen der Abhängigkeitsgefahr nicht als Dauertherapie zu verstehen und eine rasche fachärztliche Diagnostik anzustreben ist.

Suizidalität

Die Einschätzung einer Suizidgefahr gehört zu den schwierigsten und gleichzeitig wichtigsten ärztlichen Entscheidungen überhaupt. Das Akutmanagement der Suizidalität gliedert sich in drei Bereiche: 1. Fragen zur Evaluation der Suizidalität, 2. Anamnese, 3. Intervention.

Als einziges gut antisuizidales Akutmedikament ist das Lorazepam in Gebrauch, welches eine rasch einsetzende Entlastung bewirken kann. Als Dosis ist 1 mg zu empfehlen, bei Menschen über 65 Jahren 0,5 mg. In jedem Fall muss der Patient darauf hingewiesen werden, dass die Medikation wegen der Abhängigkeitsgefahr nicht als Dauertherapie zu verstehen und eine rasche fachärztliche Diagnostik anzustreben ist (2).

  1. Suizidgedanken sollten offen erfragt werden; die Befürchtung, durch die Frage solche erst zu induzieren, ist unzutreffend. Es sollte ferner erfragt werden, ob der Patient einen Grund angeben kann, warum er Lebensüberdrussgedanken hat (manchmal kann er dies gar nicht). Außerdem sollte erfragt werden, wie konkret sich der Patient ein Suizidszenario bereits ausgemalt hat, dies wäre ein Hinweis auf eine erhöhte Suizidgefahr. Schließlich ist es hilfreich zu erfahren, ob und mit welcher Erkrankung der Patient bereits in psychiatrischer Behandlung ist.
  2. Um die Suizidalität abschätzen zu können, bedarf es außerdem einiger anamnestischer Informationen. Gab es in der Vorgeschichte bereits einen Suizidversuch? Wie ernsthaft war dieser (Planung so, dass Patient nicht damit rechnen konnte, rechtzeitig gefunden zu werden; schwere Verletzungen, die eine intensivmedizinische Behandlung notwendig machten)? Haben Suizide bereits im familiären oder sonstigem persönlichem Umfeld stattgefunden?
  3. Als einfache therapeutische Intervention sollten einige Grundregeln beachtet werden: Garantieren Sie eine ungeteilte Aufmerksamkeit (ruhiger Ort, keine Pieper oder Telefon, Blickkontakt aufnehmen, zugewandte Körperhaltung). Wiederholen Sie die vom Patienten dargestellte Emotion (Bsp. „Das hat sie traurig gemacht, sie fühlen sich schon lange verzweifelt.“). Kennzeichnen Sie das vom Patienten Dargestellte als verständlich und nachvollziehbar (Bsp. „Das hätte mich auch geängstigt.“). Diese Maßnahmen dienen dazu, den Patienten zunehmend in die Lage zu versetzen, ein Therapiebündnis einzugehen und Ihren weiteren vorgeschlagenen Maßnahmen zuzustimmen. Sollten nach diesen Maßnahmen Zweifel bestehen, wie die Suizidalität einzuschätzen ist, sollte eine fachärztliche Vorstellung erfolgen. Wenn der Patient nicht in zuverlässiger Begleitung ist, sollte ein Krankentransport erfolgen.
    Als einziges gut antisuizidales Akutmedikament ist das Lorazepam in Gebrauch, welches eine rasch einsetzende Entlastung bewirken kann. Als Dosis ist 1 mg zu empfehlen, bei Menschen über 65 Jahren 0,5 mg. In jedem Fall muss der Patient darauf hingewiesen werden, dass die Medikation wegen der Abhängigkeitsgefahr nicht als Dauertherapie zu verstehen und eine rasche fachärztliche Diagnostik anzustreben ist (2).

Fazit

Psychiatrische Notfallsituationen sind häufig und bedeuten für Ärzte und medizinisches Personal eine hohe Herausforderung. Meist präsentieren sich zunächst Symptome, wie z. B. Angst, Suizidgedanken oder Desorientierung, die nicht sofort einer Krankheitsentität zugeordnet werden können. Auch mit nichtmedikamentösen Maßnahmen kann viel zu diagnostischer Einschätzung und Stabilisierung getan werden. Als potenzielles Notfallmedikament ist das Lorazepam für viele Notfallsituationen geeignet, es sollte jedoch aufgrund der Suchtgefahr nur der Notfallgabe vorbehalten sein und die Indikation streng überprüft werden.

Interessenkonflikte

Ein Interessenkonflikt wird vom Autor verneint.

Literatur
  1. National Collaborating Centre for Acute and Chronic Conditions. Delirium: diagnosis, prevention and management. National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE), Clinical guideline No.103; London 2010.
  2. Neu P: Akutpsychiatrie. 2. Aufl., Stuttgart: Schattauer GmbH – Verlag für Medizin und Naturwissenschaften, 2011.