Pharmakoresistente Epilepsie

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 2/2015

Autorinnen

Bei einer Prävalenz von 0,7–0,8 % erkranken pro Jahr in der westlichen Welt 46 von 100.000 Personen neu an Epilepsie (Elger 2012). Epilepsie ist definiert als andauernde Prädisposition des Gehirns, epileptische Anfälle zu generieren, welche definiert sind als eine transiente, abnorme, hypersynchrone Entladung zerebraler Neurone (Fisher et al. 2005).

Zugelassen sind in Deutschland inzwischen über 20 antikonvulsive Medikamente, welche auf verschiedene Weise die neuronale Erregbarkeit beeinflussen und unterdrücken (Elger 2012). Dennoch wird bei ca. einem Drittel der Patienten keine Anfallsfreiheit erreicht (Pati & Alexopoulos 2010). Eine pharmakoresistente Epilepsie besteht, wenn trotz angemessener Behandlung mit mindestens zwei antikonvulsiven Medikamenten, in Mono- oder auch in Kombinationstherapie, weiterhin epileptische Anfälle jährlich auftreten. „Angemessene Therapie“ bedeutet: Ein geeignetes Medikament wird suffizient dosiert und über eine gewisse Zeit eingenommen (Kwan et al. 2010).

Berg definiert Therapieresistenz so (Berg et al. 2006):

  • Initiale Therapieresistenz: Von Beginn an keine Anfallsfreiheit.
  • Sekundäre Therapieresistenz: Die Therapieresistenz entwickelt sich nach vorerst gutem Ansprechen auf die antikonvulsive Therapie im Verlauf.
  • Wechselhafter Verlauf.

Prädiktoren der Therapieresistenz

Eine pharmakoresistente Epilepsie (PE) tritt besonders auf bei: hoher initialer Anfallsfrequenz, fokalen Anfällen, der Kombination unterschiedlicher Anfallstypen sowie einem Manifestationsalter vor dem ersten oder nach dem zwölften Lebensjahr und Krampfanfällen im Neugeborenenalter. Prognostisch entscheidend ist darüber hinaus die Genese der Anfälle. Im Gegensatz zu genetisch bedingten, wie z. B. der Absenten-Epilepsie, gehen strukturell/metabolisch verursachte Epilepsien selten mit einer Remission einher. Schließlich bedeuten Auffälligkeiten in der zerebralen Bildgebung eine höhere Wahrscheinlichkeit einer Therapieresistenz. Patienten mit kortikaler Dysplasie, Hippocampusatrophie oder -sklerose haben eine Wahrscheinlichkeit von unter 25 %, anfallsfrei zu werden (Wiebe & Jette 2012).

Das Ansprechen auf die zuerst eingeleitete antikonvulsive Therapie ist ferner prognostisch bedeutend. Bewirkt bei Neudiagnose das initiale adäquate Medikament keine Anfallsfreiheit, beträgt die Wahrscheinlichkeit, durch eine alternative Medikation eine Remission zu erreichen lediglich 11 %. Im Vergleich hierzu beträgt diese bei Individuen, welche die Therapie aufgrund von nicht tolerierbaren Nebenwirkungen beendet haben 41–55 % (Kwan 2000).

Ursachen

Differenzialdiagnostisch wichtig ist eine „Pseudoresistenz“: Bei bis zu 30 % der Patienten mit vermeintlicher Therapieresistenz wurde die Diagnose der Epilepsie irrtümlich gestellt (Smith et al. 1999, Pati & Alexopoulos 2010). Zahlreiche beispielsweise toxisch oder metabolisch hervorgerufene Zustände und auch dissoziative Anfälle können als epileptische Anfälle fehlgedeutet werden. Essentiell ist hierbei die Anamnese sowie die Interpretation von EEG-Ableitungen (Wiebe & Jette 2012). Darüber hinaus ist die adäquate Dosierung des Antikonvulsivums von Bedeutung. Bei einem Drittel der Patienten kann eine Dosissteigerung zu Anfallsfreiheit führen (Schmidt & Noachtar 2009, Schmidt 1983).

Bei einem Drittel der Patienten ist aufgrund der unzureichenden Wirkung einer Monotherapie die Kombination verschiedener Medikamente notwendig, wobei Interaktionen der Medikamente mit möglichem Wirkungsverlust beachtet werden sollten (Schmidt & Noachtar 2009). Eine Übersicht der Wechselwirkungen häufig eingesetzter Antikonvulsiva sowie der Interaktionen mit anderen Medikamenten geben die folgenden Tabellen.

Tabelle 1: Wirkung der verschiedenen Antikonvulsiva auf Enzyminduktion und Enzyminhibition (nach Schmidt 2009)

 

Tabelle 2: Wechselwirkungen der Antikonvulsiva (nach Johanessen 2010)

Zu beachten ist außerdem die antikonvulsive Therapie von Patienten im höheren Lebensalter, bei welchen eine veränderte Pharmakokinetik zu einer verlängerten Halbwertszeit sowie zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen führen kann. Bei bestehenden Defiziten im Alter bedeuten selbst geringe Nebenwirkungen bereits eine große Einschränkung, so dass Therapieabbrüche im Vergleich zu jüngeren Patienten häufiger sind (Schmidt & Noachtar 2009). Eine Komedikation bedingt bei klassischen Antikonvulsiva oft Medikamenteninteraktionen mit Wirkungsverlust (Deuschel 2006). Deshalb gilt bei der Auswahl der Antiepileptika im Alter: „Start slow and go slow“. Entgegen den Regeln der Akutneurologie ist hier eine langsame und vorsichtige Eindosierung geboten. Ebenso sollte bei der Änderung einer bestehenden Therapie auf eine überlappende und sehr vorsichtige Umstellung geachtet werden.

Einen weiteren bedeutenden Faktor stellt die Adhärenz (Therapietreue) dar sowie eine adäquate Lebensführung (regelmäßiger Tag-Nacht-Rhythmus, Alkoholabstinenz).

Folgen

Im Vergleich zur übrigen Bevölkerung ist das Risiko vorzeitig zu versterben zwei- bis zehnmal so hoch (Chapel et al. 2003). Die häufigste Todesursache stellt der „plötzliche unerwartete Tod bei Epilepsie“ („sudden unexpected death in epilepsy – SUDEP“) dar (Tomson et al. 2005), welcher mit der Anzahl der iktalen Ereignisse korreliert und für 10–50 % der Todesfälle verantwortlich ist (Tomson et al. 2005). Tödliche Unfälle im Rahmen von epileptischen Anfällen oder Ertrinken sind weitere Ursachen (Pati & Alexopoulos 2010), und auch das Unfallrisiko ist mit einem dreimal so häufigem Vorkommen von Krankenhausaufenthalten im Vergleich zur übrigen Bevölkerung erhöht (Téllez-Zenteno et al. 2008). Pharmakoresistente Epilepsie bedeutet ferner psychosoziale Folgen mit einem erhöhten Risiko von Depression sowie Angst- und psychotischen Erkrankungen (de Boer et al. 2007). Soziale Stigmatisierung, Ausgrenzung sowie Einsamkeit und Schamgefühle in Folge der Erkrankung werden darüber hinaus von 25 % der Patienten berichtet (Bandstra et al. 2008).

Therapeutische Optionen

Im Falle einer pharmakoresistenten Epilepsie existieren verschiedene Behandlungsansätze. Tabelle 3 gibt einen Überblick über mögliche therapeutische Optionen.

Tabelle 3: Überblick über mögliche therapeutische Optionen

Fazit

Die Epilepsie stellt eine häufige neurologische Erkrankung dar, welche zum großen Teil gut medikamentös einstellbar ist. Dennoch leiden ein Drittel der Patienten unter rezidivierenden Krampfanfällen, die sowohl gesundheitliche als auch psychosoziale Folgen nach sich ziehen. Einen wichtigen Aspekt stellt die Diagnose selbst sowie die medikamentöse Therapie dar, um nicht fälschlicherweise eine „Pseudoresistenz“ zu generieren. Im Falle einer pharmakoresistenten Epilepsie existieren verschiedene Therapieansätze, mit denen eine Anfallsfreiheit im weiteren Verlauf möglich werden kann.

Interessenkonflikte

Ein Interessenkonflikt wird von den Autorinnen verneint.

Literatur

Die Literatur kann bei den Autorinnen angefordert werden.