Gestationsdiabetes mellitus − Erkennung, Therapie, Nachsorge, Prävention

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 2/2015

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Gestationsdiabetes (GDM, ICD-10: O24.4G) ist definiert als eine Glukosetoleranzstörung, die erstmals in der Schwangerschaft mit einem 75-g-oralen-Glukosetoleranztest (oGTT) unter standardisierten Bedingungen und qualitätsgesicherter Glukosemessung aus venösem Plasma diagnostiziert wird. Eine steigende Prävalenz von GDM wird beobachtet. Im Jahr 2011 wurde Gestationsdiabetes bei 4,4 % der Schwangeren diagnostiziert. Die Pathophysiologie entspricht größtenteils der eines Typ-2-Diabetes, die Ursache konnte noch nicht gänzlich festgestellt werden. Es wird angenommen, dass eine präkonzeptionell herabgesetzte Insulinsensitivität durch eine ab der 20. Schwangerschaftswoche physiologisch zunehmende Insulinresistenz verstärkt wird und durch die endogene Insulinsekretion nicht mehr kompensiert werden kann. Ernährung und Bewegung der Frauen spielen neben einer genetischen Disposition eine wichtige Rolle bei der Entstehung, ebenso wie ein veränderter Hormonhaushalt. Aufgrund der metabolischen Veränderungen und dem Vorliegen von gleichen Risikofaktoren wie für den Typ-2-Diabetes, wird der GDM auch als ein Prä-Typ-2-Diabetes angesehen. Zu den Risikofaktoren zählen u. a. Alter, Übergewicht, GDM in vorangegangenen Schwangerschaften, körperliche Inaktivität und Typ-2-Diabetes in der erstgradigen Verwandtschaft.

Entscheidend ist eine frühzeitige Erkennung und Behandlung, da Komplikationen wie rezidivierende Harnwegsinfekte, hohes Risiko für Candida-lnfektionen, Frühgeburt, Fehlbildungen beim Kind, Geburtskomplikationen wie die Schulterdystokie oder eine bleibende Stoffwechselstörung bei der Mutter die Folge sein können. Gestationsdiabetikerinnen haben darüber hinaus ein Risiko von 40 %, bei einer weiteren Schwangerschaft erneut Gestationsdiabetes zu entwickeln. Kinder, die intrauterin erhöhten Glukosewerten ausgesetzt sind, haben außerdem ein erhöhtes Risiko für Typ-2-Diabetes und Adipositas.

Jede fünfte Schwangere mit GDM muss Insulin zuführen. Frauen mit einem Insulin-behandelten, Autoantikörper-negativen Gestationsdiabetes haben laut der prospektiven Deutschen Gestationsdiabetes-Studie ein Risiko von 61 %, innerhalb von drei Jahren postpartal einen Typ 2 Diabetes zu entwickeln. Das Risiko ist damit 7- bis 10-fach erhöht gegenüber glukosetoleranten schwangeren Frauen. In einer weiteren Schwangerschaft liegt das Wiederholungsrisiko bei bis zu 50 %. Dabei erhöht die Ethnizität wie Asien oder Lateinamerika das Risiko auf bis zu 84 %. Eine frühzeitige Diagnose wird angestrebt. Gestationsdiabetikerinnen sind Risikoschwangere und sollten in einer Klinik entbinden, die diabetologisch erfahren ist.

Screening und Diagnostik

Ein Screening zwischen der 24. und 28. Schwangerschaftswoche soll eine rechtzeitige Diagnose erleichtern, da die meisten Frauen keine typischen Symptome zeigen. Lange war der Glukosetoleranztest eine empfohlene Selbstzahlerleistung, wodurch viele Gestationsdiabetikerinnen unentdeckt blieben. Im März 2012 wurde vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) der 50-g-Glukose-Screeningtest in die Mutterschaftsrichtlinien aufgenommen. Seither werden die Kosten für diesen Test von den Krankenkassen übernommen. Bei diesem Screeningtest wird die Plasmaglukosekonzentration eine Stunde nach oraler Gabe von 50 g Glukoselösung bestimmt. Der Test ist unabhängig vom Zeitpunkt der letzten Mahlzeit und muss nicht nüchtern erfolgen. Ein Blutglukosewert von ≥ 135 mg/dl (7,5 mmol/l) gilt als positives Screening und erfordert einen anschließenden diagnostischen 75-g-oGTT. Bei einem Ergebnis von 201 mg/dl (11,1 mmol/l) und höher entfällt der 75-g-oGTT. Die Diagnose GDM wird bei dem 75-g-oGTT bereits bei einem erhöhten Blutzuckerwert gestellt. Der bisher im Rahmen der Schwangerenvorsorge häufig durchgeführte Uringlukosetest wird nicht empfohlen, auch eine reine Nüchtern-Blutglukosebestimmung als genereller Screeningtest ist wegen der geringen Spezifität ungeeignet. Zur Diagnostik werden ausschließlich Blutglukosewerte aus dem venösem Plasma oder aus dem venösem Vollblut mit Umrechnung in venöse Plasmawerte eingesetzt. Die kapilläre Bestimmung aus dem Handmessgerät ist wegen Ungenauigkeiten abzulehnen.

Therapie

Die Einstellung und Betreuung der Schwangerschaftsdiabetikerinnen sollte grundsätzlich von Diabetologen und Gynäkologen vorgenommen werden. Das Therapieziel ist eine Normalisierung der Blutglukosewerte ohne Ketose oder Hypoglykämien und eine empfohlene, am Ausgangs-BMI orientierte Gewichtszunahme in der Schwangerschaft, um ein normales Wachstum des Fetus zu gewährleisten. In etwa 85 % der Fälle reicht die diätetische Behandlung des Schwangerschaftsdiabetes aus, um die Blutzuckernormalisierung zu erzielen. Eine individuelle Ernährungsberatung ist daher notwendig. Die empfohlene Nährstoffverteilung sieht 40−50 % Kohlenhydrate, 20 % Proteine und 30−35 % Fett vor. Vor allem die postprandialen Glukosewerte können unter Reduktion der Kohlenhydrate gesenkt werden. Diese Basistherapie wird in der Regel über einen Zeitraum von zwei Wochen durchgeführt, unter Berücksichtigung von Blutzuckerselbstkontrollen und biometrischen Daten von Fetus und der Schwangeren selbst. Können durch diese Maßnahmen die Stoffwechselziele nicht erreicht werden, wird eine Insulintherapie begonnen. Orale Antidiabetika sind in der Schwangerschaft in Deutschland nicht zugelassen. In manchen Fällen kann ein Insulintherapiebeginn auch sofort notwendig sein. Von entscheidender Bedeutung für die Qualität der Behandlung ist die Teilnahme an einer Schulung in einem Diabetologischen Zentrum oder einer Schwerpunktpraxis, in der die Patientinnen sowohl bezüglich einer Ernährungsumstellung als auch hinsichtlich der Messung mit den Handmessgeräten zu Hause geschult werden. Die Zielwerte für die Blutzuckereinstellung sind 65 bis 95 mg/dl nüchtern, weniger als 140 mg/dl eine Stunde und unter 120 mg/dl zwei Stunden postprandial. Große Bedeutung hat in diesem Zusammenhang auch die Bewegungstherapie. Empfohlen werden in jedem Fall ein zügiger Spaziergang von mindestens 30 Minuten Dauer dreimal in der Woche. Die Therapie des Schwangerschaftsdiabetes wird nicht nur durch Messungen der Stoffwechselwerte und über die Gewichtsentwicklung der Schwangeren kontrolliert, sondern auch durch regelmäßige Ultraschallmessungen des Kindes.

Nachsorge

In den meisten Fällen bildet sich die Glukosetoleranzstörung nach der Entbindung zurück, das erhöhte Risiko für Typ-2-Diabetes bleibt aber bestehen. Es wird daher sechs bis zwölf Wochen post partum ein 75-g-oGTT empfohlen. Dieser sollte unabhängig vom Stillen durchgeführt werden. Weitere postpartale Kontrollen der Glukosetoleranz sind erforderlich: Bei einer normalen Glukosetoleranz post partum sollten Kontrollen alle zwei bis drei Jahre durchgeführt werden. Liegt bereits eine gestörte Glukosetoleranz vor, wie IFG (impaired fasting glucose) oder IGT (impaired glucose tolerance), sollte eine Diabetesdiagnostik jährlich erfolgen. Bei einer weiteren Schwangerschaft ist eine Hyperglykämiediagnostik bereits bei der Erstvorstellung im ersten Trimester notwendig.

Prävention

Regelmäßiger Sport vermindert das Risiko für GDM. Liegen keine Kontraindikationen vor, wie u. a. vorzeitige Wehen, Blutdruckanstieg oder Blutungen, kann der Sport in der Schwangerschaft fortgesetzt oder auch begonnen werden. Aus gesellschaftlicher Sicht ist es besonders wichtig, sowohl primär präventive als auch sekundär präventive Konzepte zu entwickeln, um die Volkskrankheit Typ-2-Diabetes einzudämmen. In der prospektiven Deutschen Gestationsdiabetes-Studie konnten Wissenschaftler des Helmholtz Zentrums München und der Forschergruppe Diabetes der Technischen Universität München unter der Direktion von Frau Prof. Dr. Anette-Gabriele Ziegler zeigen, dass Frauen mit GDM, die ihr Kind stillen, auf lange Sicht ein um 40 % verringertes Risiko haben, an Typ-2-Diabetes zu erkranken. Ziel der Forschergruppe ist nun, die Mechanismen zu untersuchen, die für den protektiven Langzeiteffekt des Stillens bei dieser Risikogruppe verantwortlich sind. Einen Forschungsschwerpunkt bildet dabei, inwieweit das Stillen bei Frauen mit Gestationsdiabetes langfristig deren Metabolismus („Metabolomics“) und die beta-Zellfunktion verändert und darüber möglicherweise zu einem erniedrigten Typ-2-Diabetes-Risiko post partum führt. In der Praxis wird eine Lebensstilmodifikation angestrebt. Langfristig sollten die Patientinnen nach der Schwangerschaft auf eine ausgewogene Ernährung, auf regelmäßige Bewegung und eine Normalisierung ihres Körpergewichtes achten, um ihr Risiko für Typ-2-Diabetes zu reduzieren. Aufgrund der fehlenden Sekundärprävention von Typ-2-Diabetes nach Gestationsdiabetes initiierte das Institut für Diabetesforschung die PINGUIN-Studie (postpartale Intervention bei Gestationsdiabetikerinnen unter Insulintherapie): www.pinguin-studie.de. Bei der PINGUIN-Studie handelt es sich um eine monozentrische, randomisierte, placebokontrollierte Doppelblindstudie. Die Gesamtdauer der Studie beträgt drei Jahre, die Behandlung erfolgt mit Vildagliptin (in Deutschland nicht mehr auf dem Markt wegen gescheiterter Preisverhandlungen) oder Placebo über zwei Jahre mit anschließender Nachbeobachtung über ein Jahr. In halbjährlichen Abständen werden oGTTs und eine Reihe anderer Untersuchungen bei den Teilnehmerinnen durchgeführt. Mit dieser Sekundärprävention soll die Progression zum Typ-2-Diabetes bei Patientinnen nach insulinbehandeltem Gestationsdiabetes aufgehalten und die Langzeitprognose positiv beeinflusst werden.

Fazit

Der 50-g-Screening-oGTT zwischen der 24. und 28. Schwangerschaftswoche ermöglicht eine rechtzeitige Diagnose. Der Test kann unabhängig von der letzten Mahlzeit der Patientin durchgeführt werden. Der diagnostische 75-g-oGTT schließt sich bei auffälligem Test an. Generell ist eine Blutglukosebestimmung aus dem venösen Plasma notwendig, die Bestimmung kapillar aus dem Handmessgerät ist diagnostisch zu ungenau. Die Kosten werden von den Krankenkassen getragen. Bei der Diagnose Gestationsdiabetes sollte die Patientin an eine diabetologische Schwerpunktpraxis überwiesen werden und auch in einer diabetologisch erfahrenen Klinik entbinden.

Interessenkonflikte

Ein Interessenkonflikt wird von der Autorin verneint.

Literatur

Die Literatur kann bei der Autorin angefordert werden.