Schwangerschaftserbrechen

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 2/2015

Autoren

Schwangerschaftsbedingte Übelkeit und Erbrechen treten in 50−90 % aller Schwangerschaften auf. Sie sind in milder Form im 1. Trimenon als physiologisch anzusehen (1). Übermäßiges Erbrechen während der Schwangerschaft, die sogenannte Hyperemesis gravidarum, betrifft ca. 0,3−2 % aller Schwangerschaften (2). Die Hyperemesis ist gekennzeichnet durch persistierendes Erbrechen (häufiger als fünfmal am Tag), eine Gewichtsabnahme von mehr als 5 % des Körpergewichts, eine Ketonurie, in extremen Fällen eine Elektrolytverschiebung und Dehydratation (3).

Pathogenese und Risikofaktoren

Die Pathogenese der Emesis und Hyperemesis gravidarum ist letztendlich ungeklärt. Psychologische Störungen werden diskutiert: Stress und emotionale Anspannung, aber auch Somatisierungsstörungen können übermäßiges Erbrechen induzieren (4). Hormonelle Umstellungen, wie hohe humane Choriogonadotropin(hCG)-Produktionen, hohe Östrogen- und Progesteronwerte werden mit vermehrter Übelkeit und Erbrechen in Zusammenhang gebracht (5). Das hCG interagiert mit dem TSH-Rezeptor und stimuliert die Schilddrüse. TSH ist typischerweise in der Frühgravidität supprimiert. Eine Differenzialdiagnose zur Hyperthyreose und zum Morbus Basedow kann anamnestisch und klinisch gestellt werden, in unklaren Fällen durch wiederholte T4- und TSH-Messungen nach der 20. Schwangerschaftswoche (6). Es zeigte sich, dass eine chronische Helicobacter-pylori-Infektion übermäßige Übelkeit und Erbrechen begünstigen kann (7). Daneben gilt eine herabgesetzte gastrointestinale Motilität als möglicher Einflussfaktor auf die Entstehung der Hyperemesis gravidarum (1).

Zusätzliche Risikofaktoren für Hyperemesis sind Adipositas, Mehrlingsgravidität, Trophoblasterkrankungen, Nulliparität und Hyperemesis in der vorherigen Schwangerschaft (8).

Die klinische Symptomatik ist häufig unspezifisch. Die Hyperemesis ist als Ausschlussdiagnose zu sehen. Wichtige Differenzialdiagnosen sind Appendizitis, Gastroenteritis, Hepatitis, metabolische Erkrankungen wie Morbus Addison, Hyperthyreose, Porphyrie und vestibuläre Störungen (8).

Allgemeine Maßnahmen

Die Therapie von schwangerschaftsbedingter Übelkeit und Erbrechen liegt in einem multimodalen Ansatz. Mit Modifikation von Ernährung und Ernährungsverhalten sowie Life-style-Interventionen ist häufig schon eine Verbesserung der Lebensqualität zu erreichen. Hierbei ist zu beachten, dass Nahrung in kleinen Portionen (z. B. sechs- bis achtmal über den Tag verteilt) und langsam eingenommen werden sollte (9). Die Schwangere sollte Hungergefühl vermeiden, denn dies kann wiederum zur Verschlechterung der Übelkeit führen. Mahlzeiten sollten protein- und kohlenhydratreich, aber fett- und säurearm sein. Auf stark gewürzte oder zu süße Speisen sollte verzichtet werden. Getränke sollten vor allem zwischen den Mahlzeiten in kleinen Schlucken eingenommen werden. Besonders gut geeignet erweisen sich kalte, klare Getränke wie Limonaden oder isotonische Getränke, aber auch Pfefferminztee.

Neben der Umstellung des Ernährungsverhaltens sollte auch auf die Vermeidung möglicher Triggerfaktoren wie Gerüche, Hitze, Feuchtigkeit, Lärm u. a. geachtet werden (8).

Durch Akupressur am Handgelenk (Pericardium 6) konnte kein statistisch signifikanter Effekt in der Symptomverbesserung im Vergleich zu Placebo gezeigt werden. Dennoch empfinden viele Betroffene Akupunktur und Akupressur als hilfreich (10). Des Weiteren kann psychologische und psychosomatische Unterstützung zur Symptomlinderung beitragen.

Die Einnahme von Ingwer, z. B. in Form von Tee, konnte im Vergleich zur Einnahme eines Placebos einen positiven Effekt auf Übelkeit und Erbrechen erzielen, ohne unerwünschte Nebenwirkungen beim Feten hervorzurufen (10).

Medikamentöse Therapie

Ein wichtiger Bestandteil ist Pyridoxin (Vitamin B6): Es konnte gezeigt werden, dass durch Einnahme von Pyridoxin die leichte bis mittelgradige Übelkeit verbessert, nicht jedoch das Erbrechen reduziert wird (11). Üblicherweise wird Pyridoxin mit einem weiteren antiemetischen Medikament (Antihistaminikum, Anticholinergikum oder Dopamin-D2-Rezeptor-Antagonisten) kombiniert (8).

Antiemetische Medikamente verringern Übelkeit und Erbrechen in der Frühgravidität. Deshalb kommt die antiemetische Pharmakotherapie in niedriger Dosierung auch in der ambulanten Betreuung zum Einsatz (8). Gängige Antiemetika (Antihistaminika und Prokinetika) zeigten bei begrenzter Anwendungsdauer eine gute Verträglichkeit und ein geringes Nebenwirkungsprofil. Sie sind in Tabelle 1 zusammengefasst (12).

Tabelle 1: Antiemetika und ihre Dosierung (8)

Antihistaminika (mit z. T. anticholinerger Wirkung) wie Dimenhydrinat (z. B. Vomex A®) oder Diphenhydramin (z. B. Emesan®) werden in Deutschland primär zur Behandlung des Schwangerschaftserbrechens eingesetzt. Sie zeigten sich in placebokontrollierten Studien als überlegen (8). Eine vorübergehende Einnahme im 1. Trimenon wird als unbedenklich angesehen. Sie sollten nicht bei drohender Frühgeburt und in den letzten vier Wochen vor der Geburt eingesetzt werden, da ein kontraktionsfördernder Effekt beschrieben ist (13).

Doxylamin, ein Antihistaminikum der 1. Generation und kompetitiver H1-Rezeptorantagonist, gehört zu den Mitteln der Wahl, obwohl es in Deutschland nicht zur Behandlung des Schwangerschaftserbrechens zugelassen ist. In angelsächsischen Ländern wird es in der Regel in der Kombination mit Pyridoxin empfohlen (10).

Der H1-Rezeptorantagonist Meclozin ist Mittel der Wahl, wird aber in Deutschland nicht mehr produziert. Die lange Markterfahrung und mehrere große epidemiologische Studien mit vielen tausend untersuchten Schwangerschaften haben keine teratogene Wirkung gezeigt (14).

Der Dopamin-D2-Rezeptorantagonist Metoclopramid (z. B. Paspertin®) wird aufgrund seiner motilitätsfördernden Wirkung gerne eingesetzt. Eine Studie konnte zeigen, dass sich bei Patientinnen, die Metoclopramid erhielten, Übelkeit und Erbrechen deutlicher verbesserten – verglichen mit der Placebogruppe (15). Auf eine zeitlich begrenzte Einnahme von Metoclopramid ist aufgrund der Gefahr von extrapyramidalen Nebenwirkungen mit Bewegungsstörungen zu achten. Auch können ventrikuläre Arrhythmien und plötzlicher Herztod auftreten. Die EMA hat daher die Zulassung geändert. Die maximalen Dosen wurden auf 30 mg/Tag herabgesetzt. Die Behandlung sollte eine Woche nicht überschreiten. Es ist kontraindiziert bei Verlängerung der QTc-Zeit. Einzelheiten sind in der Drug Safety Mail 2014-21 der AkdÄ und im dazugehörigen Rote-Hand-Brief zu finden: www.akdae.de/Arzneimittelsicherheit/DSM/Archiv/2014-21.html.

Bei Therapieversagen mit den gängigen, bereits aufgeführten Antiemetika kann der selektive 5HT3-Antagonist Ondansetron eingesetzt werden (16). Ondansetron und Metoclopramid sind ähnlich effektiv. Ondansetron ist nebenwirkungsärmer, aber auch wesentlich teurer (17).

Bei Sodbrennen, Reflux oder Helicobacter-pylori-Infektion kann die zusätzliche Gabe eines H2-Rezeptorblockers (z. B. Ranitidin) zur Symptomverbesserung beitragen (18).

Stationäre Therapie

Patientinnen mit schwerer Hyperemesis gravidarum, Elektrolytentgleisung und Dehydratation müssen stationär behandelt werden. Primärmaßnahmen stellen Nahrungskarenz sowie eine suffiziente Flüssigkeitssubstitution dar. Neben Volumengabe mithilfe von elektrolytreicher Lösung (z. B. Ringer-Lactat) sollten Vitamine (insbesondere Vitamin B1 (Thiamin), Vitamin B6 (Pyridoxin) und Vitamin C) und Kohlenhydrate (z. B. mithilfe von Glukoselösung) verabreicht werden (8). Elektrolytentgleisungen werden durch gezielte Substitution der fehlenden Elektrolyte in Form von Infusionen langsam und vorsichtig ausgeglichen. Falls ein langsamer enteraler Nahrungsaufbau nicht möglich ist, kann eine parenterale Ernährung in Erwägung gezogen werden. Wenn die orale Einnahme antiemetischer Medikamente nicht möglich ist, sollte die Gabe intravenös erfolgen. Bei therapierefraktärem Verlauf ist der Einsatz von Kortikosteroiden (z. B. Methylprednisolon oder Hydrocortison) jenseits der 10. Schwangerschaftswoche oft hilfreich. Ein gering erhöhtes Risiko für fetale Malformationen (Lippenspalte) scheint bei Gabe vor der 10. Schwangerschaftswoche zu bestehen (19).

Generell erfolgt die antiemetische Therapie so lange, bis die Patientin mindestens eine Woche asymptomatisch ist, dann kann sie langsam abgesetzt werden.

Prognose für Mutter und Kind

Frauen mit Übelkeit und Erbrechen haben in der Frühgravidität eine niedrigere Abortrate (8). Mit und ohne antiemetische Therapie zeigten Kinder von betroffenen Frauen kein erhöhtes Risiko für angeborene Fehlbildungen (20).

Patientinnen mit Hyperemesis gravidarum dagegen haben durch das starke Erbrechen ein erhöhtes Risiko für ösophageale Komplikationen, Präeklampsie und fetale Wachstumsretardierung (20). Sehr selten kann es zu peripheren Neuropathien durch Vitamin-B6- und -B12-Mangelerscheinungen sowie bei Vitamin B1-Mangel zur Entwicklung einer Wernicke-Enzephalopathie kommen (6;21).

Fazit

Die Pathogenese der Emesis gravidarum ist weitgehend ungeklärt. Mit der Änderung von Ernährungsgewohnheiten und Lebensstil ist in leichten Fällen mit Symptomverbesserung zu rechnen. Alternative Ansätze wie Akupressur und Ingwer können einen positiven Effekt auf die Übelkeit ausüben. Medikamentöse Optionen sind − solange die Hyperemesis nicht zur Dehydratation oder Elektrolytentgleisung geführt hat − ambulant einsetzbar. Bei schweren Fällen der Hyperemesis sind die stationäre Aufnahme und eine intravenöse medikamentöse Therapie indiziert.

Interessenkonflikte

Ein Interessenkonflikt wird von den Autorinnen verneint.

Literatur

Die Zahlen im Text verweisen auf das Literaturverzeichnis, das von den Autorinnen angefordert werden kann.