Die Trigeminusneuralgie – der Stand der Therapie heute

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 2/2015

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Klinik

Die Trigeminusneuralgie ist eine seltene und vermutlich zu häufig diagnostizierte Störung, die bei betroffenen Patienten zu einer dramatischen Reduktion der Lebensqualität führen kann. Klinisch zeichnet sie sich durch blitzartig einschießende, sehr kurze und intensive Schmerzattacken im Versorgungsgebiet eines oder mehrerer Trigeminusäste aus. Die Attacken dauern typischerweise wenige Sekunden, selten bis zu zwei Minuten. Sie werden häufig durch Sprechen, andere Mundbewegungen oder Berührung im Versorgungsgebiet des Nervus trigeminus ausgelöst, können aber auch spontan auftreten. Am häufigsten sind der 2. und 3. Trigeminusast betroffen, die Schmerzen strahlen dann in die Wange bzw. in das Kinn aus. Zwischen den Attacken besteht meist Schmerzfreiheit, bei längerem Verlauf kann jedoch ein dumpfer Schmerz persistieren. Während der Attacken können häufig Kontraktionen der ipsilateralen Gesichtsmuskulatur beobachtet werden, daher auch die Bezeichnung „Tic douloureux“. Bei der klassischen Trigeminusneuralgie ist der neurologische Befund ansonsten unauffällig. Ein episodischer Verlauf ist typisch, Phasen mit hoher Attackenfrequenz können von längeren beschwerdefreien Intervallen abgelöst werden. Insgesamt neigt die Störung jedoch zu einer Progredienz der Frequenz und Intensität der Attacken.

Pathophysiologie

Die „klassische Trigeminusneuralgie“ ist der Prototyp einer durch eine neurovaskuläre Kompression verursachten paroxysmalen Störung. Dabei wird angenommen, dass ein Blutgefäß – zumeist eine Kleinhirnarterie – durch Druck auf den Trigeminusnerv am Austritt aus dem Hirnstamm eine fokale Demyelinisierung verursacht, die zu unphysiologischen Aktionspotenzialen führt. Der einzige sicher belegte Risikofaktor ist ein höheres Lebensalter. In etwa 15 % der Fälle liegt eine „symptomatische Trigeminusneuralgie“ vor, der ein Tumor im Kleinhirnbrückenwinkel, eine Multiple Sklerose oder ein lakunärer Hirnstamminfarkt zugrunde liegt.

Diagnose

Die Diagnose beruht auf der typischen Anamnese. Warnsymptome, die auf eine symptomatische Trigeminusneuralgie hinweisen können, sind ein sensibles Defizit im Gesicht, eine einseitige Hyperakusis oder vestibuläre Störung, Manifestation vor dem 50. Lebensjahr, bilaterale Schmerzattacken, Dauerschmerzen bereits in der frühen Erkrankungsphase und mangelndes Ansprechen auf eine adäquate medikamentöse Therapie. Bei diesen Symptomen sollte eine zerebrale MRT mit Dünnschichtung des Hirnstamms durchgeführt werden. Bei der klassischen Trigeminusneuralgie ist eine zerebrale Bildgebung dagegen nicht zwingend erforderlich.

Therapie

Insgesamt ist die Datenlage der medikamentösen und invasiven Therapie der Trigeminusneuralgie unbefriedigend (1;2). Es liegen nur sehr wenige kontrollierte Studien vor, die zudem methodische Mängel aufweisen. Die Bewertung der invasiven Therapien ist im Wesentlichen auf Fallserien angewiesen. Initial wird stets eine prophylaktische Pharmakotherapie eingeleitet, die langfristig eingenommen wird und in Phasen der Exazerbation angepasst werden muss.

Medikamentöse Therapie

Carbamazepin hat die beste Datenbasis, ist als einziges Präparat in Deutschland zur Behandlung der Trigeminusneuralgie zugelassen und sollte daher zunächst verordnet werden. Die Aufdosierung erfolgt langsam mit einem retardierten Präparat (Einnahme zweimal täglich), bis die gewünschte Reduktion der Attacken oder die Nebenwirkungsgrenze erreicht ist. Oft ist eine Tagesdosis von 600–800 mg zunächst ausreichend. Bei 70 % der Patienten führt Carbamazepin initial zu einem Sistieren der Attacken (2). Zentral-nervöse Nebenwirkungen (Schwindel, Benommenheit, Gangataxie) können insbesondere bei älteren Patienten die Therapie mit Carbamazepin limitieren. Seltener sind allergische Hautreaktionen, Blutbildveränderungen und Hepatotoxizität Grund für ein Absetzen. Wichtig ist es auch, die pharmakologischen Interaktionen von Carbamazepin zu beachten, das als Enzyminduktor zum Beispiel den hepatischen Abbau von Vitamin-K-Antagonisten beschleunigt.

Wenn Carbamazepin prinzipiell wirksam ist, aber nicht vertragen wird, bietet sich ein Wechsel auf Oxcarbazepin (Apydan® extent, Trileptal®, Generika) an. Dieses ist ein Derivat des Carbamazepins mit vergleichbarer Wirkung und bietet den Vorteil geringerer zentralnervöser Nebenwirkungen und pharmakologischer Interaktionen. Allerdings erfolgt die Therapie off-label und es muss die häufige Entwicklung einer Hyponatriämie unter Oxcarbazepin beachtet werden. Die Umstellung kann im Verhältnis Carbamazepin: Oxcarbazepin von 1 : 1,5 erfolgen, bei sehr hoher Dosierung empfiehlt es sich, zunächst 1 : 1 umzustellen und dann anzupassen.

Kleine, singuläre Studien sprechen dafür, dass die Wirksamkeit des Myotonolytikums Tizanidin (Sirdalud®) und des Neuroleptikums Pimozid (Orap®) der des Carbamazepins ebenbürtig ist (3). Weitere Antiepileptika, die sich als wirksam erwiesen haben, sind Lamotrigin, Gabapentin und Pregabalin. Außerdem können Baclofen, Clonazepam, Opioide und die Antiepileptika Phenytoin und Topiramat eingesetzt werden. Nicht alle der genannten Stoffe sind für die Behandlung von Neuralgien und neuropathischen Schmerzen zugelassen. Daher empfiehlt es sich, die Fachinformation zu beachten und gegebenenfalls zu prüfen, ob die Voraussetzungen für den off-label-use gegeben sind. Erfahrungsgemäß sind nichtsteroidale Antirheumatika bei der Trigeminusneuralgie unwirksam.

Bei einer Exazerbation der Trigeminusneuralgie kann eine rasche Intensivierung der medikamentösen Therapie erforderlich werden. Dabei müssen häufig auch temporäre Nebenwirkungen in Kauf genommen werden, die von den meisten Patienten um den Preis der raschen Linderung toleriert werden. Für eine schnelle Aufdosierung von Carbamazepin bietet sich die Applikation als Saft an, der rasch resorbiert wird. Alternativ kann eine intravenöse Applikation von Phenytoin erfolgen. Phenytoin ist allerdings aufgrund seines Nebenwirkungsprofils zur Dauertherapie weniger geeignet und sollte nach klinischer Besserung möglichst abgesetzt oder durch ein anderes Präparat ersetzt werden. Gelegentlich können Phasen der Exazerbation nur mit einer Polypharmakotherapie beherrscht werden.

Invasive Therapie

Die Wirksamkeit einer initial zufriedenstellenden medikamentösen Behandlung kann im Verlauf nachlassen, so dass eine invasive Therapie erforderlich wird. Die Vielzahl von beschriebenen operativen und destruierenden Verfahren zur Therapie der Trigeminusneuralgie erscheint auf den ersten Blick verwirrend. Es ist daher sinnvoll, diese Therapien in zwei Gruppen einzuteilen: ablative und nichtablative Verfahren.

Die ablativen Verfahren sind minimalinvasiv, können in Kurznarkose durchgeführt werden und sind mit einem sehr geringen periprozeduralen Risiko behaftet. Neben der Thermokoagulation stehen die Glyzerinrhizolyse als chemisches und der Ballonkatheter als mechanisches Verfahren zur Verfügung. Der Zugang erfolgt in Kurznarkose unter Durchleuchtungskontrolle perkutan mit einer Nadel über das Foramen ovale. Der wesentliche Nachteil der ablativen Verfahren ist, dass sie eine irreversible Läsion des Nervus trigeminus in Kauf nehmen und bei etwa der Hälfte der Patienten zu einer Sensibilitätsstörung im Gesicht führen, die mit dauerhaften Parästhesien einhergehen kann. Die Anaesthesia dolorosa ist eine relevante Komplikation, die bei 4 % der perkutanen Eingriffe auftritt und sich durch dauerhafte, sehr intensive, brennende Schmerzen im Bereich der fazialen Sensibilitätsstörung auszeichnet. Wenn eine sensible Störung der Kornea vorliegt, ist zusätzlich das Risiko einer Keratitis erhöht. Als alternatives ablatives Verfahren kann der Nervus trigeminus in einer einmaligen Sitzung an der Eintrittszone in den Hirnstamm mittels Gamma-Knife bestrahlt werden. Im Gegensatz zu den oben beschriebenen perkutanen Verfahren führt die stereotaktische Bestrahlung erst nach einer Latenz von mehreren Wochen zu einer Reduktion der Schmerzattacken. Sensible Störungen und die gefürchtete Anaesthesia dolorosa treten vermutlich ebenso häufig wie bei den perkutanen Verfahren auf.

Das einzige nichtablative Verfahren, die mikrovaskuläre Dekompression des Nervus trigeminus, erhält die anatomische und meist auch die funktionale Integrität des Nervus trigeminus. Das Risiko einer Sensibilitätsstörung ist daher mit 5–10 % deutlich geringer als bei den ablativen Verfahren (4). Bei dieser Operation wird ein Blutgefäß aufgesucht, das Kontakt zum Nervus trigeminus hat, und zwischen dem Gefäß und dem Nerven ein Teflon-Schwämmchen oder anderes Material fixiert. Der entscheidende Nachteil ist, dass es sich um eine neurochirurgische Operation im Kleinhirnbückenwinkel mit einer Mortalitätsrate von bis zu 0,5 % handelt. Relevante Komplikationen sind intrakranielle Hämatome, Hirninfarkte und Liquorrhö, die bei bis zu 4 % der Operationen auftreten. Eine ipsilaterale Hörstörung ist mit bis zu 10 % die häufigste permanente Komplikation (1).

Einen direkten Vergleich der Wirksamkeit invasiver Verfahren erlaubt die Studienlage nicht. Beobachtungsstudien sprechen aber dafür, dass die mikrovaskuläre Dekompression die höchste Erfolgsquote hinsichtlich Reduktion von Schmerzen hat und dass die Wirkung länger anhält als bei den ablativen Verfahren. Die Rate der beschwerdefreien Patienten beträgt nach einem Jahr über 80 %, nach drei Jahren 75 % und nach fünf Jahren 73 %. Bei den ablativen Verfahren sind nach drei Jahren dagegen nur noch 52–64 % der behandelten Patienten beschwerdefrei (1).

Fazit

Die Initiierung einer Therapie der Trigeminusneuralgie ist einfach, da zunächst Carbamazepin als Medikament der ersten Wahl eingesetzt wird, alternativ Oxcarbazepin. Bei einem Versagen der medikamentösen Therapie der ersten Wahl stehen zahlreiche Alternativen mit geringerer Evidenz zur Verfügung. Invasive Verfahren sind indiziert, wenn die Attacken konservativ nicht mehr beherrschbar sind. Die Vor- und Nachteile der verschiedenen Techniken müssen individuell mit dem Patienten abgewogen werden. Das am wenigsten invasive Verfahren ist die stereotaktische Bestrahlung, das wirksamste die mikrovaskuläre Dekompression des Nervus trigeminus.

Interessenkonflikte

Der Autor ist Mitgründer der pharmakritischen Initiative „NeurologyFirst“.

Literatur
  1. Gronseth G, Cruccu G, Alksne J et al.: Practice parameter: the diagnostic evaluation and treatment of trigeminal neuralgia (an evidence-based review): report of the Quality Standards Subcommittee of the American Academy of Neurology and the European Federation of Neurological Societies. Neurology 2008; 71: 1183-1190.
  2. Zakrzewska JM, Linskey ME: Trigeminal neuralgia. BMJ 2014; 348: g474.
  3. Zhang J, Yang M, Zhou M et al.: Non-antiepileptic drugs for trigeminal neuralgia. Cochrane Database Syst Rev 2013; 12: CD004029.
  4. Zakrzewska JM, Coakham HB: Microvascular decompression for trigeminal neuralgia: update. Curr Opin Neurol 2012; 25: 296-301.