Weltweite Impfung gegen Rotavirus-Infektion – eine Bilanz von gesundheitlichem Nutzen und Invaginationsrisiko

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 2/2015

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Rotaviren (RV) sind ubiquitär verbreitet. Sie verursachen zumeist schwer verlaufende Gastroenteritiden. Bis zum dritten Lebensjahr haben sich mehr als 90 %, bis zum 5. Lebensjahr praktisch alle Kinder infiziert (1). Während ihre Inzidenz – global gesehen – in allen Ländern vergleichbar ist, weist der Verlauf der Krankheit große regionale Unterschiede auf. In Entwicklungsländern gehören RV-bedingte Durchfallerkrankungen bei Kindern in den ersten Lebensjahren zu den häufigsten Todesursachen (2). In Industrieländern stehen weniger die seltenen letalen Krankheitsverläufe als vielmehr die stationären Behandlungskosten im Vordergrund (3).

Seit den 1990er Jahren laufen Bemühungen um eine sichere und effektive Impfung gegen Rotavirus-Infektionen. Nachdem der erste orale Impfstoff RotaShield® in den USA 1999 wegen Assoziation mit gehäuften Invaginationen zurückgezogen worden war, kamen 2006 zwei neue orale Lebendvirus-Impfstoffe – Rotarix® und RotaTeq® – auf den Markt. Sie waren zuvor intensiv auf ihre Effektivität und Sicherheit geprüft worden (4;5).

Die Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut hat sich mit der Empfehlung einer generellen Impfung aller Säuglinge im ersten Lebenshalbjahr schwer getan (3). Im Juli 2013 hat sie dann diese Empfehlung ausgesprochen (6).

Trotzdem findet man eine Anmerkung der STIKO, dass „beide RV-Impfstoffe [...] ein möglicherweise geringfügig erhöhtes Risiko für Darminvaginationen (ca. 1–2 zusätzliche Fälle pro 100.000 geimpfte Kinder) innerhalb der ersten Woche nach der ersten RV-Impfung [aufweisen], das mit dem Alter der Impflinge zunimmt“ (7).

Diesem Problem widmet sich das Februarheft 2014 des New England Journal of Medicine mit einem Editorial (8) und mit zwei Publikationen, welche die Ergebnisse neuer Postmarketing-Studien aus den USA vorstellen. Beide Studien vergleichen die verfügbaren Impfstoffe – monovalent RV1 und pentavalent RV5. Eine Kohorten-Studie (9) sammelt die gemeldeten Impfstoffnebenwirkungen (Vaccine Safety Datalink (VSD) des CDC, VSD-Studie) und die andere Studie (10) wertet die Invaginationen großer stationärer und ambulanter Patientengruppen mit Post-Licensure Rapid Immunization Safety Monitoring (PRISM) aus.

Die Ergebnisse der Studien differieren: Die VSD-Studie ermittelte beim RV1 im Unterschied zu RV5 eine stärkere Assoziation zur Invagination, die PRISM-Studie fand diese Assoziation mehr zwischen RV5 und Invagination, weniger dagegen bei RV1. Die Konfidenzintervalle beider Studienergebnisse überlappten sich.

Die Autoren des Editorials ziehen aus beiden Studien folgende Schlüsse:

  • die marginalen Differenzen zwischen beiden Impfstoffen können vernachlässigt werden
  • beide Impfstoffe weisen eine sehr geringe Assoziation einer Invagination zur RV-Impfung auf, in der Größenordnung 1–5 : 100.000
  • die Vorzüge einer RV-Impfung überwiegen bei Weitem das Invaginationsrisiko.

Fazit

Die von der STIKO (Ständige Impfkommission am Robert Koch-Institut, Berlin) seit 2013 empfohlene Rotavirus-Impfung geht – unabhängig vom verwandten Impfstoff – mit einer sehr geringen Erhöhung des Invaginationsrisikos einher. Dieses liegt etwa bei 1–5 zusätzlichen Fällen pro 100.000 Kindern pro Jahr. Eltern müssen über das Invaginationsrisiko aufgeklärt werden. Der Nutzen überwiegt bei Weitem das Risiko.

Interessenkonflikte

Ein Interessenkonflikt wird vom Autor verneint.

Literatur
  1. Parashar UD, Gibson CJ, Bresee JS, Glass RI: Rotavirus and severe childhood diarrhea. Emerg Infect Dis 2006; 12: 304-306.
  2. Tate JE, Burton AH, Boschi-Pinto C et al.: 2008 estimate of worldwide rotavirus-associated mortality in children younger than 5 years before the introduction of universal rotavirus vaccination programmes: a systematic review and meta-analysis. Lancet Infect Dis 2012; 12: 136-141.
  3. Epidemiologie der Rotavirus-Erkrankungen in Deutschland im Zeitraum von 2001 bis 2011. Epidemiol Bull 2012; Nr. 44: 441-449.
  4. EMA: Rotarix®: Europäischer Beurteilungsbericht (EPAR): Scientific discussion:http://www.ema.europa.eu/docs/en_GB/document_library/EPAR_-_Procedural_steps_taken_before_authorisation/human/000639/WC500054590.pdf
  5. Vesikari T, Matson DO, Dennehy P et al.: Safety and efficacy of a pentavalent human-bovine (WC3) reassortant rotavirus vaccine. N Engl J Med 2006; 354: 23-33.
  6. Mitteilung der Ständigen Impfkommission am Robert Koch-Institut (RKI): Empfehlungen der Standigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut, Stand: August 2013. Epidemiol Bull 2013; Nr. 34: 313-344.
  7. Neuerungen in den aktuellen Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) am RKI vom August 2013. Epidemiol Bull 2013; Nr. 35: 345-348.
  8. Glass RI, Parashar UD: Rotavirus vaccines – balancing intussusception risks and health benefits. N Engl J Med 2014; 370: 568-570.
  9. Weintraub ES, Baggs J, Duffy J et al.: Risk of intussusception after monovalent rotavirus vaccination. N Engl J Med 2014; 370: 513-519.
  10. Yih WK, Lieu TA, Kulldorff M et al.: Intussusception risk after rotavirus vaccination in U.S. infants. N Engl J Med 2014; 370: 503-512.