Preise, Form und Farbe: Fallstricke zwischen Verordnung und Einnahme von Arzneimitteln

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 1/2015

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Seit Jahren ist die Tendenz im Gesundheitswesen unverkennbar, dass andere Akteure immer mehr ökonomische und regulatorische „Ringe“ um die eigentlichen Leistungserbringer legen und deren Verhältnis zu den Patienten dadurch zunehmend überlagert ist. Die Ökonomisierung des Gesundheitswesens hat auch zusätzliche Komplikationen bei der Pharmakotherapie zur Folge. Zum einen bedeutet „verordnet“ ohnehin noch lange nicht „vom Patienten eingenommen“. Mancher Hausbesuch hat schon beachtliche Mengen verordneter, aber nie eingenommener Arzneimittel zutage gefördert (1). Zum anderen erschwert die zunehmende bürokratische Regulierung den Arbeitsalltag der Leistungserbringer, ist aber dennoch weiterhin die Hauptwaffe des Gesetzgebers, um bei steigenden Kosten die wählerwirksame Verheißung einer uneingeschränkten Versorgung aufrechtzuerhalten. Viele Arzneimittel sind unter diesen Verhältnissen zu erwünschten Billigartikeln geworden, nicht ohne Folgen für die Einnahmetreue der Patienten. Hier soll dargestellt werden:

  • wie überhaupt der Preis eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels zustande kommt
  • wie die ärztliche Verordnung in der Apotheke beliefert werden muss
  • welche Auswirkungen auf die Einnahmetreue bei Rabattarzneimitteln bekannt sind.

Preise verschreibungspflichtiger Arzneimittel

Der Preis eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels ergibt sich aus dem Einkaufspreis der Apotheke, plus Aufschlag von 3 % zur Abgeltung der apothekerlichen Beschaffungs- und Lagerkosten, plus einem preisunabhängigen Festzuschlag von 8,35 Euro als Apothekenhonorar, plus 0,16 Euro für die Finanzierung des Apothekennotdienstfonds, plus 19 % Mehrwertsteuer (§ 3 Arzneimittelpreisverordnung). Dieser Preis wird durch die Apotheke auf der ärztlichen Verordnung festgehalten, und dies ist auch der Preis, der von der Apotheke auf die Packung aufgeklebt wird. Dies wäre auch der Preis, den ein Privatversicherter zahlt, jedoch nicht die GKV (siehe Tabelle 1). Bei GKV-Verordnungen wird für den Kassenpreis hiervon die in der Apotheke bereits entrichtete Zuzahlung des Patienten abgezogen, ferner wird das Apothekenhonorar von 8,35 Euro vermindert um einen Abschlag zugunsten der GKV in Höhe von derzeit 1,80 Euro (§ 130 SGB V), 2015 voraussichtlich 1,77 Euro. Außerdem erhält die GKV einen Abschlag von 6 % auf den Herstellerabgabepreis (§ 130a SGB V). Bei patentgeschützten Arzneimitteln, nicht bei Generika, ist dieser Abschlag ab 01.04.2014 auf 7 % gestiegen. Hierbei fungieren die Apotheken aber nur als Inkassostelle, denn diesen 6 %- bzw. 7%-Abschlag erhalten sie später vom Hersteller über den Umweg der Apothekenrechenzentren wieder zurück. An diesem Punkt endet freilich die Preistransparenz für die Fachkreise, denn die GKV erhält nun noch Geld aus den mit den einzelnen Herstellern ausgehandelten Rabattverträgen (§ 130a Abs. 8 SGB V), deren Konditionen nicht offengelegt werden. Die Laufzeit der Rabattverträge beträgt zwei Jahre (Art. 1, Abs. 16 Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz, AMNOG).

Tabelle 1: Beispielhafte Preisberechnung von verschreibungspflichtigen patentgeschützten Arzneimitteln zu 20 €, 50 € und 100 € nach Großhandelsarzneimittelpreisverordnung, Arzneimittelpreisverordnung und SGB V für privatversicherte (PKV) und gesetzlich versicherte (GKV) Patienten

Rabattverträge der GKV mit Pharmaherstellern

Die Apotheken müssen bei der Belieferung der Verordnung die Pharmazentralnummer (PZN) der einzelnen Arzneimittel auf das Rezeptblatt aufdrucken. Mit dieser können die Krankenkassen bzw. deren Subunternehmer den Vorgang den Herstellern und Wirkstoffen zuordnen und damit die Rabattsummen berechnen, die sie von den Herstellern einfordern. Die Arzneimittelrabatte für die GKV stiegen von insgesamt 2,1 Milliarden Euro im Jahre 2012 auf 2,8 Milliarden Euro im Jahre 2013 (2). Gerüchte besagen seit geraumer Zeit, dass für bestimmte Arzneimittel sogar ein negativer Preis existiert, also die GKV nicht nur nichts bezahlt, sondern für ein bestimmtes Arzneimittel von Herstellern entlohnt wird. Dies würde bedeuten, dass sich Hersteller auf diesem Wege ihre Marktteilnahme bei bestimmten rabattierten Arzneimitteln erkaufen.

Rabattierte Fertigarzneimittel dominieren ganz klar die ärztlichen Verordnungen. Der Anteil der Rabattarzneimittel an den verordneten Generika zulasten der GKV stieg von 27,59 % im Jahre 2007 auf 73,20 % im Jahre 2012 an und betrug im ersten Halbjahr 2013 69,02 % (3).

Erstattungsbeträge zwischen Pharmaherstellern und GKV

Die Rabattverträge werden nur für patentfreie Wirkstoffe abgeschlossen. Für neue Wirkstoffe werden seit Februar 2013 aufgrund des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG) sogenannte Erstattungsbeträge zwischen Hersteller und GKV ausgehandelt, so dass der GKV-Preis teilweise bis zu 30 % niedriger liegt als der Listenpreis (4). Erstattungsbeträge gelten stets für jene Wirkstoffe, die nach einer Nutzenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss keiner Festbetragsgruppe zugeordnet werden können (§ 130b SBV V). Ein Zusammenhang zwischen Nutzen und Höhe des Erstattungsbetrages ist bisher nicht erkennbar.

Importarzneimittel

Nach § 129 SGB V muss bei ärztlichen Verordnungen ein importiertes Arzneimittel immer dann abgegeben werden, wenn der Preis 15 % oder mindestens 15 Euro geringer ist als das Bezugsarzneimittel. Besteht jedoch ein Rabattvertrag mit der GKV, dann hat stets ein Rabattarzneimittel den Vorrang vor einem Import und ebenso muss stets vor einem Preisvergleich bei importierten patentgeschützten Arzneimitteln ein möglicher Erstattungsbetrag mit der GKV berücksichtigt werden.

Belieferung ärztlicher Verordnungen

Auf ärztlichen Verordnungen ist die Angabe eines bestimmten Generikums immer dann irrelevant für den abgebenden Apotheker, wenn für den enthaltenen Wirkstoff zwischen einer der gesetzlichen Krankenkassen und dem Hersteller des Arzneimittels ein Rabattvertrag nach § 130a SGB V abgeschlossen wurde, denn dann muss stets das rabattierte Arzneimittel abgegeben werden. Hiervon sind in der Praxis nur zwei Ausnahmen anzutreffen:

  • der verordnende Arzt markiert das „Aut idem“-Feld auf dem Verordnungsblatt
  • der abgebende Apotheker macht begründete Bedenken gegen die Abgabe des Rabattarzneimittels geltend (siehe unten).

Die eigentlich bestehende dritte Möglichkeit, dass der Patient für ein teureres indikations- und wirkstoffgleiches Arzneimittel auf dem Wege der Bezahlung und Kostenerstattung optiert, ist in der Praxis kaum anzutreffen, denn nach Art. 1, Ziffer 1 AMNOG sind bei der Kostenerstattung die der Krankenkasse entgangenen Rabatte und Mehrkosten zu berücksichtigen.

Pharmazeutische Bedenken

Von der Abgabe eines Rabattarzneimittels kann durch den Apotheker dann abgewichen werden, wenn bei der Abgabe Bedenken bestehen. Dies ergibt sich zwangsläufig aus § 129 SBG V. Dieser verlangt für die praktische Durchführung einen Rahmenvertrag zwischen dem Spitzenverband Bund der GKV und dem Deutschen Apotheker Verband. Der Rahmenvertrag benennt die Fälle, in denen von der Abgabe eines Rabattarzneimittels durch den Apotheker abgewichen werden kann:

  • bei Nichtverfügbarkeit in dringenden Fällen (Notfall, Akutversorgung)
  • bei „sonstigen Bedenken“, die laut Apothekenbetriebsordnung § 17 Abs. 5 die Abgabe des verordneten Arzneimittels an den Patienten verhindern.

In diesen Fällen muss ein wirkstoffgleiches, preisgünstiges Arzneimittel abgegeben werden oder ein entsprechendes Importarzneimittel. Zusätzlich muss auf dem Verordnungsblatt eine stichwortartige Begründung durch den abgebenden Apotheker angegeben werden und die sogenannte Sonder-PZN 2567024 aufgedruckt werden.

Bedenken bestehen in der Apothekenpraxis beispielsweise, weil:

  • aufgrund eines vollständig anderen Erscheinungsbildes des neuen Rabattarzneimittels bei der Abgabe trotz erklärender Rücksprache mit dem Patienten gravierende Zweifel über die Einnahmetreue bestehen
  • die galenische Form des Rabattarzneimittels ungeeignet ist, z. B. wenn ein Rabattvertrag nur Hartkapseln umfasst, aber keine suspendierbaren Tabletten, so dass Patienten mit Schluckbeschwerden Probleme bei der Einnahme bekommen
  • die Teilbarkeit von Tabletten nicht gegeben ist, weil eine Tablette beispielsweise keine Bruchrille, sondern nur eine sogenannte „Schmuckrille“ zur Oberflächengestaltung aufweist und betagte Patienten die verordnete Teildosis gar nicht sicher und reproduzierbar zubereiten können
  • die Sondengängigkeit eines Rabattarzneimittels nicht gewährleistet ist.

Einnahmetreue und Rabattarzneimittel

Wenn die Rabattverträge auslaufen und neue Verträge zwischen GKV und Pharmaherstellern gültig werden, dann wechseln auch die Arzneimittel, die an den Patienten abgegeben werden. Welche Auswirkungen haben veränderte Packungen, Farbe und Form der Tabletten auf die Einnahmetreue der Patienten?

Bei acht verschiedenen generischen Antiepileptika (Carbamazepin, Carbamazepin retard, Ethosuximid, Lamotrigin, Phenytoin, Valproinsäure, Gabapentin, Zonisamid) wurde untersucht, ob bei mindestens zwei Wiederholungsverordnungen, die einem Therapieabbruch von fünf Tagen Dauer vorausgingen, Farbe und/oder Form des Arzneimittels übereinstimmte oder nicht übereinstimmte. Das Quotenverhältnis (Odds Ratio) betrug bei dem Faktor „Farbe“ 1,27, beim Faktor „Form“ 1,47. In der Subgruppe der Patienten mit Krampfaktivität betrug beim Faktor „Farbe“ das Quotenverhältnis 1,53 (5). Die Chance, einen Therapieabbruch durch Farb- und/oder Formwechsel des Arzneimittels zu erleiden, war demnach nicht etwa gleich hoch wie ohne Farb- oder Formwechsel (odds ratio = 1), sondern deutlich erhöht.

Ein Zusammenhang besteht offenbar zwischen der Verunsicherung der Patienten bzw. der Verwechslung der Rabattarzneimittel auf der einen Seite und der Zahl der verordneten Rabattarzneimittel auf der anderen Seite: Bei der höchstverordneten Zahl (6−11) waren mehr als 70,3 % der Patienten verunsichert, bei der niedrigstverordnete Anzahl (0−1) waren es nur 53,7 %. Ähnliche Zahlen ergeben sich bei Verwechslungen (16,9 % vs. 34,6 %) (6).

Rabattarzneimittel bedeuten also zweifellos eine weitere Verkomplizierung der Arzneitherapie, denn die Therapietreue der Patienten kann ohnehin nicht als gegeben angesehen werden und beträgt ungefähr nur 50−70 % (7–9). Nur 25 % von 2512 untersuchten deutschen Patienten wurden als therapietreu klassifiziert (9). Auf die fortbestehenden Komplikationen mit Rabattarzneimitteln in der Praxis deutet seit einigen Jahren auch der erhöhte Aufwand für pharmazeutisches Personal in den Apotheken hin. Betriebswirtschaftliche Berechnungen ergeben für das Jahr 2011 einen ungefähr 38 % höheren Personaleinsatz im Bereich der Rabattarzneimittel in öffentlichen Apotheken als dies aufgrund der Kennzahlen für nichtrabattierte Arzneimittel zu erwarten gewesen wäre (10).

Offenbar ist die Therapietreue auch unterschiedlich ausgeprägt je nach Arzneitherapie. So lauteten bei einer Untersuchung von 167.907 chronischen Patienten die Anteile der therapietreuen Patienten 66 % (orale Antidiabetika), 63 % (Angiotensin II-Rezeptor-Antagonisten), 57 % (Statine), 56 % (Bisphosphonate), 47 % (Prostaglandinanaloga-Augentropfen) bzw. 28 % (Urologika bei Miktionsbeschwerden) (11).

Es besteht also die berechtigte Befürchtung, dass die Wirksamkeit der Arzneitherapie ganz entscheidend gemindert wird durch alltägliche Faktoren, die üblicherweise gar nicht beachtet werden.

Fazit

Preise für verschreibungspflichtige Arzneimittel sind staatlich festgelegt. Apotheken werden pro Arzneimittelpackung unabhängig vom Preis durch ein Festhonorar von 8,35 Euro minus GKV-Abschlag von 1,80 Euro entlohnt. Rund 70 % der verordneten Generika sind Rabattarzneimittel. Die Höhe des Rabatts der Pharmahersteller für die GKV ist im Einzelfall unbekannt, für die gesamte GKV betrugen die Rabatte im Jahre 2013 2,8 Milliarden Euro. Farb- und Formwechsel von Arzneimitteln infolge eines Wechsels des Rabattvertrages bedeuten eine erhöhte Chance, einen Therapieabbruch zu erleiden. Bestehen bei der Abgabe des verordneten Rabattarzneimittels in der Apotheke begründete, dokumentierbare Zweifel an der Therapietreue des Patienten, kann auf ein wirkstoffgleiches Rabattarzneimittel ausgewichen werden.

Dank

Für die Berechnungen in Tabelle 1 danke ich Herrn Dipl.-Math. Uwe Hüsgen, Essen.

Interessenkonflikte

Ein Interessenkonflikt wird vom Autor verneint.

Literatur
  1. Höffler D: Zum Problem der Therapietreue. Arzneiverordnung in der Praxis (AVP) 2006; 33: 10-12.
  2. Bundesministerium für Gesundheit: Vorläufige Finanzergebnisse 2013 - Gute Ausgangsbasis für die Finanzierungsreform der gesetzlichen Krankenversicherung:Pressemitteilung Nr. 12
  3. Hüsgen U: Rabattbegünstigte Arzneimittel. Deutsche Apotheker Zeitung 2013; 153 (38): 34-39.
  4. AMNOG-Rabatte für neue Arzneimittel: Wie viel spart die GKV? blitz-a-t vom 31. Januar 2013.
  5. Kesselheim AS, Misono AS, Shrank WH et al.: Variations in pill appearance of antiepileptic drugs and the risk of nonadherence. JAMA Intern Med 2013; 173: 202-208.
  6. Gröber-Gratz D, Gulich M: Die medikamentöse Therapie in der hausarztlichen Versorgung unter dem Aspekt der Rabattverträge der Krankenkassen - Patientensurvey. Z Evid Fortbild Qual Gesundhwes 2010; 104: 99-105.
  7. Horne R, Weinman J: Patients' beliefs about prescribed medicines and their role in adherence to treatment in chronic physical illness. J Psychosom Res 1999; 47: 555-567.
  8. Cutler DM, Everett W: Thinking outside the pillbox – medication adherence as a priority for health care reform. N Engl J Med 2010; 362: 1553-1555.
  9. Glombiewski JA, Nestoriuc Y, Rief W et al.: Medication adherence in the general population. PLoS One 2012; 7: e50537.
  10. Hüsgen U: Aufwand honorieren! Rabattbegünstigte Arzneimittel verursachen erhöhten Beratungsbedarf. Deutsche Apotheker Zeitung 2012; 153 (8): 24-32.
  11. Yeaw J, Benner JS, Walt JG et al.: Comparing adherence and persistence across 6 chronic medication classes. J Manag Care Pharm 2009; 15: 728-740.