Haarausfall in der Praxis – was tun?

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 1/2015

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Der Verlust von Haaren ist für Männer und Frauen emotional belastend, da kräftige und dichte Haare für Gesundheit und Jugend stehen, Haarlosigkeit dagegen für Krankheit und Alter. Der Fachbegriff für die Beschäftigung mit Haarwuchsbiologie und deren Störungen lautet Trichologie.

Eine adäquate ärztliche Untersuchung beim Symptom Haarausfall umfasst folgende Aspekte:

  • Anamnese (Fieber, Medikamente, Heparingabe?)
  • Klinische Inspektion (Alopezie? Entzündung?)
  • Klinischer Zugtest (Haare vermehrt und leicht ausziehbar?)
  • Trichodermatoskopie (Inspektion der Haare und Kopfhaut mit Dermatoskop)
  • Trichogramm (mikroskopische Haarwurzelanalyse)
  • Blutuntersuchungen (je nach Konstellation, nicht obligat).

Die häufigsten Ursachen für Haarverlust sind Effluvium und diffuse Alopezie, androgenetische Alopezie bei Männern und Frauen, Alopecia areata, Folliculitis decalvans (Folliculitits mit Entzündung einhergehende Alopezie).

Effluvium und diffuse Alopezie

Der deutsche Begriff Haarausfall kann sowohl verstärkten täglichen Haarwechsel (Effluvium) meinen, als auch die sichtbare Haarlosigkeit (Alopezie). Das Wachstum eines Haares im Haarfollikel verläuft in Zyklen, bestehend aus mehrjähriger Wachstumsphase (Anagen), kurzer Follikel-Rückbauphase (Katagen) und zwei- bis viermonatiger Ruhephase (Telogen). Danach fällt das Haar aus, um nach einigen Wochen wieder neu aus dem Follikel zu wachsen. Der Haarfollikel durchläuft immer wieder alternierend Phasen des Wachstums und der Ruhe (1). Dadurch ergibt sich im Normalfall ein täglicher Haarausfall von etwa 60 bis 100 Haaren.

Normalerweise wachsen die etwa 100.000 Kopfhaarfollikel völlig unabhängig voneinander. Innerliche oder äußerliche Einflussfaktoren können allerdings Haarfollikel durch vorzeitigen Übergang vom Anagen ins Telogen synchronisieren und so nach zwei bis vier Monaten einen spürbar stärkeren Haarausfall auslösen. Zu diesen Einflussfaktoren gehören u. a. Hormone, Wachstumsfaktoren, Medikamente und Jahreszeiten. Viele Menschen weisen periodisch verstärkte Haarwechsel auf, einige davon sind auch jahreszeitlich synchronisiert: Vor allem im Herbst bemerken viele Frauen verstärkten Haarausfall (2).

Wenn über Haarverlust geklagt wird, ist anamnestisch nach körperlich belastenden Situationen wie z. B. länger dauernden schweren Erkrankungen zu fragen. Wichtig ist auch die Frage nach Medikamenten. So ist zum Beispiel Haarausfall zwei bis vier Monate nach Heparingabe keine Seltenheit. Natürlich sollte bei Frauen immer nach gynäkologischen Faktoren wie das An- oder Absetzen hormoneller Kontrazeptiva gefragt werden. Physiologisch bedingt ist das postpartale Effluvium zwei bis vier Monate nach der Geburt eines Kindes. Durch den Geburtsstress und die starke hormonelle Umstellung treten kurz nach der Geburt gleichzeitig viele Haare vom Anagen in das Telogen über. Nach Beendigung des Telogens fallen sie gleichzeitig aus. Die Störung reguliert sich in der Regel von selbst wieder.

Wichtig sind bei Haarausfall also Ereignisse, die vor zwei bis vier Monaten einen vermehrten Übergang aus der Wachstums- in die Ruhephase induziert haben könnten. Auf diesen Zeitraum sollte die Anamnese fokussiert werden.

Eine häufige Ursache für Haarausfall bei Frauen ist Eisenmangel. Daher sollte dies immer mit untersucht werden. Auf alle anderen Bestimmungen, wie z. B. den Zinkspiegel im Serum, kann in unserer Lebenswelt getrost verzichtet werden. Dies bedeutet auch, dass „Nahrungsergänzungsmittel“ bei Haarausfall überflüssig und nutzlos sind.

Labordiagnostisch auszuschließen sind bei Effluvium unbekannter Ursache auch eine Schilddrüsenüberfunktion und eine Syphilis (Tab. 1). Bei extrem toxischen Einflüssen, z. B. durch aggressive Chemotherapie, ist die Schädigung der Haare so stark, dass sie innerhalb von ein bis drei Wochen ausfallen können. Zu Beginn einer starken Chemotherapie werden alle metabolisch aktiven Haarfollikel im Anagenstadium, also etwa 80 % der Kopfhaare, so intensiv geschädigt, dass sie nach ein bis zwei Wochen in der Wurzel abbrechen. Nach etwa vier Wochen sind nur noch die bereits metabolisch inaktiven Telogenhaare in der Kopfhaut verblieben. Leider werden auch diese Haare in den nächsten Monaten ausfallen, so dass der Kopf völlig kahl wird. Nach Beendigung der Chemotherapie erholen sich die Haarfollikel allerdings rasch wieder, so dass bereits nach einigen Wochen ein kräftiges Wiederwachstum der Haare einsetzt. In seltenen Fällen verändern sich nach einer Chemotherapie die Haarfarbe und die Haarstruktur. Dabei sind sowohl Frauen beschrieben, bei denen glattes Haar lockig wurde, als auch umgekehrt.

Tabelle 1: Mögliche Ursachen diffuser Effluvien und Alopezien

Häufig gefragt und wichtig: Der Kopf sollte mindestens ein- bis zweimal pro Woche gewaschen werden, durchaus auch täglich. Dabei normale Shampoos verwenden, „Baby-Shampoos“ reinigen zu schlecht. Haarfärbungen beeinflussen das Haarwachstum nicht.

Androgenetische Alopezie bei Männern

Ursächlich für die androgenetische Alopezie des Mannes ist ein Zusammenspiel von Genen und Androgenen (3–5). Die Gene definieren dabei, wann welcher Kopfhaarfollikel wie stark gegen Androgene empfindlich wird (6). Das entscheidende Androgen beim männlichen Haarausfall ist das Dihydrotestosteron (DHT), das aus Testosteron mit Hilfe der 5-alpha-Reduktase Typ II entsteht. Unter dem Einfluss des Androgens DHT resultiert eine Miniaturisierung der genetisch prädisponierten Haarfollikel und somit auch der Haare (6). Das typische Erscheinungsbild der androgenetischen Alopezie des Mannes reicht von Geheimratsecken bis zur Vollglatze.

Zur Behandlung der androgenetischen Alopezie des Mannes gibt es nur zwei Wirkstoffe, die sich in gut kontrollierten, wissenschaftlichen Studien bewiesen haben: Die Finasterid 1 mg Tablette (Propecia® und Generika) und die 5-prozentige Minoxidil-Lösung (Regaine® 5% Männer, Alopexy®) bzw. der 5-prozentige Minoxidil-Schaum (Regaine® Männer Schaum).

Finasterid hemmt selektiv das Enzym 5a-Reduktase Typ II und senkt somit die Serumkonzentration von Dihydrotestosteron um 70 %. Die Wirksamkeit von Finasterid wurde in großen Multicenterstudien nachgewiesen (7; 8). Eine weitere Studie belegte, dass Finasterid auch bei Männern zwischen 40 und 60 Jahren wirksam ist (9). Für Ärzte und Patienten verwirrend und ärgerlich ist die zumeist im Internet von Laien geführte Diskussion um Finasterid-Nebenwirkungen. Hierbei sind zu nennen:

  • das „Post-Finasterid-Syndrom“ mit Depression und Antriebslosigkeit nach Absetzen von Finasterid
  • das Auftreten höher maligner Prostatakarzinome
  • das Auftreten von Mammakarzinomen bei Männern
  • Unfruchtbarkeit bei Männern.

Keiner dieser Aspekte ist wissenschaftlich belegt, die Verunsicherung der Patienten aber leider Realität.

Eine Behandlungsalternative zu Finasterid ist das topisch anzuwendende 5-prozentige Minoxidil (10). Der Wirkansatz von Minoxidil am Haarfollikel ist pleiotrop. Unter anderem wird z. B. die Expression des Vascular Endothelial Growth Factor, VEGF, erhöht, was die Durchblutung an der Haarwurzel verstärkt (11).

In zwei Studien, die die Wirksamkeit von Finasterid 1 mg Tablette und 5-prozentiger Minoxidil-Lösung bei der androgenetischen Alopezie des Mannes verglichen haben, erwiesen sich beide Mittel als etwa gleich gut wirksam (12; 13). Sowohl Finasterid als auch Minoxidil sind in der Lage, den Haarausfall bei etwa 90 % der Behandelten zu stoppen. Bei etwa 50 % der Behandelten kommt es sogar zu einer sichtbaren Verdichtung der Haare. Die maximale Verdichtung wird bei Minoxidil bereits nach sechs Monaten erreicht, bei Finasterid oft erst nach 24 Monaten. Die Wirkung hält so lange an, wie das jeweilige Medikament kontinuierlich verwandt wird.
Alle anderen Präparate sind bei der androgenetischen Alopezie des Mannes wirkungslos, die Werbung in den Medien ist irreführend.

Androgenetische Alopezie bei Frauen

Wie bei den Männern ist auch bei Frauen die Ausbildung der androgenetischen Alopezie von genetischen Faktoren abhängig. Hierzu zählen vor allem der auf dem X-Chromosom kodierte Androgen-Rezeptor, aber auch Gene, die die Aktivität von Enzymen wie z. B. der 5-alpha-Reduktase oder der Aromatase steuern (14). Man schätzt, dass etwa 20–30 % aller Frauen zur androgenetischen Alopezie neigen (15; 16). Bei etwa 10 % der Frauen ist diese genetische Veranlagung so stark, dass sie bereits im Alter von 20 bis 30 Jahren eine deutlich sichtbare Haarlichtung aufweisen. In den Wechseljahren findet dann eine Hormonumstellung statt, die die androgenetische Alopezie weiter akzeleriert: Die Östrogenspiegel sinken, die Androgene gewinnen an Einfluss. Bei vielen Frauen mit mittelgradiger genetischer Veranlagung ist es diese Hormonumstellung, die schließlich die androgenetische Alopezie bemerkbar macht.

Zugrunde liegt der Lichtung der Kopfhaare eine Miniaturisierung der betroffenen Haarfollikel. Im Gegensatz zu den Männern sind bei den Frauen jedoch meist nicht alle Haarfollikel einer Kopfregion betroffen, sondern nur einige. Daher kommt es bei ihnen nicht zur völligen Kahlheit, sondern zur diffusen Ausdünnung der Haare im Mittelscheitelbereich. Die Diagnose ist in der Regel leicht. Typisch ist vor allem das weibliche Haarlichtungsmuster im Mittelscheitelbereich. Bei jüngeren Frauen mit ausgeprägter androgenetischer Alopezie sollte immer eine gynäkologische Untersuchung mit Bestimmung der Östrogene und Androgene im Serum durchgeführt werden. Diese Untersuchungen sind vor allem dann notwendig, wenn neben der Alopezie auch Zyklusunregelmäßigkeiten und Hirsutismus-Zeichen vorliegen (17). Andererseits sind die Sexualhormone bei Abwesenheit dieser Kofaktoren fast immer normal. Denn der Grund der Haarfollikel-Miniaturisierung sind fast nie zu hohe Serum-Androgenspiegel, sondern eine genetisch festgelegte Überempfindlichkeit bestimmter Kopfhaarfollikel auf Androgene.
Wie bei den Männern, sind alle angepriesenen anderen Mittel gegen Haarausfall ohne wissenschaftlich validen Wirknachweis.

Was hilft nun? Bei Alopezie mit Hyperandrogenämie sind systemisch gegebene Antiandrogene wie z. B. Cyproteronacetat, Chlormadinonacetat oder Dienogest hilfreich. Hierfür zugelassene Fertigpräparate sind z. B. Diane-35®, Neo-Eunomin® oder Valette®. Alle Präparate haben auch kontrazeptive Eigenschaften, da bei der Gabe von Antiandrogenen eine Schwangerschaft unbedingt vermieden werden muss. Obwohl randomisierte, placebokontrollierte Studien mit relevanten Endpunkten auch bei diesen Präparaten fehlen, ist ein Nutzen durch die Androgenrezeptor-Blockade und die Östrogen-induzierte SHBG-Erhöhung (SHBG: Sexualhormon bindendes Globulin) plausibel und als „Proof-of-Principle“ belegt worden (18).

Die insgesamt wirksamste Substanz gegen die androgenetische Alopezie der Frau ist die 2-prozentige Minoxidil-Lösung (Regaine® Frauen), wie zahlreiche, gut kontrollierte klinische Studien (19–22) und ein aktuelles Cochrane-Review (23) belegen. Die gute Wirkung von Minoxidil erklärt sich unter anderem aus einer Verbesserung der Mikrozirkulation im Bereich der dermalen Papille (11) sowie durch verschiedene andere haarwuchsstimulierende Effekte (24). Mit der zweimal täglichen Anwendung von 2-prozentiger Minoxidil-Lösung kann die Progression der androgenetischen Alopezie bei den meisten Frauen gestoppt werden; etwa 50 % der Frauen beobachten sogar eine Zunahme der Haardichte. Bei Frauen dunklen Typs kann es zu verstärkter Hypertrichose auf der Stirn und im Gesicht kommen (25). Andere seltene Nebenwirkungen der äußerlichen Minoxidil-Anwendung sind Juckreiz und Rötung der Kopfhaut. Eine Blutdrucksenkung ist bei topischer Anwendung nicht zu befürchten. Die 2-prozentige Minoxidil-Lösung ist in Deutschland seit 2005 rezeptfrei in Apotheken erhältlich. Da Minoxidil schwierig in Lösung zu bringen ist und weitere Wirkstoffe unwirksam sind, wird von magistralen Rezepturen abgeraten.

Alopecia areata

Die Alopecia areata manifestiert sich durch zunächst etwa kreisrunde, völlig haarlose Areale. Bei stärkerem Befall kann es zur Ausbreitung und Konfluenz der haarlosen Bereiche kommen. Extremformen sind die Alopecia areata totalis mit völliger Haarlosigkeit und die Alopecia areata universalis, bei der auch sämtliche Körperhaare fehlen.

Histologisch fällt eine dichte Infiltration von T-Lymphozyten an der Haarzwiebel auf. Bei der Alopecia areata handelt es sich um eine T-zellulär vermittelte Autoimmunerkrankung mit dem Zielorgan Haarfollikel (26). Da keine Vernarbung der Haarfollikel eintritt, ist der Haarverlust im Prinzip reversibel. Bei Erstmanifestation kommt es bei etwa jedem dritten Patienten zur Spontanremission innerhalb von sechs Monaten; nach einem Jahr ist sogar jeder zweite Patient wieder erscheinungsfrei. Allerdings kommt es auch mit hoher Wahrscheinlichkeit in den folgenden Jahren immer wieder zu Rezidiven (27). Die Auslöser eines Erkrankungsschubes sind nicht bekannt. Daher sind Hormonanalysen, toxikologische Untersuchungen und internistische Durchuntersuchungen nicht sinnvoll. Auch psychische Belastungen sind nicht nachweisbar ursächlich. Schwere Verlaufsformen der Alopecia areata, die oft schon im Kindesalter auftreten, sind häufig mit einem Atopie-Syndrom assoziiert. Bis zu 40 % der von Alopecia areata betroffenen Kinder haben Neurodermitis, Heuschnupfen oder allergisches Asthma. Auch finden sich bei ihnen oft die charakteristischen Nagelveränderungen wie Tüpfel- und Sandpapiernägel. Durch die genetische Veranlagung haben Patienten mit Alopecia areata ein erhöhtes Risiko, an anderen Autoimmunerkrankungen wie zum Beispiel Autoimmunthyreoiditis oder Vitiligo zu erkranken.

Die Diagnose einer Alopecia areata ist relativ einfach: Es finden sich haarlose Areale ohne Entzündung oder Schuppung. Differenzialdiagnostisch sollte bei Kindern an eine Mikrosporie (Pilzinfektion) gedacht werden, vor allem wenn sich eine feine, kleieartige Schuppung auf dem Bezirk mit abgebrochenen Haarstummeln zeigt (28). Bei Jugendlichen und Erwachsenen mit kleinfleckiger Verteilung sollte ggf. eine Alopecia specifica bei Lues II mittels serologischer Suchreaktion ausgeschlossen werden. Eine vor allem bei Kindern wichtige Differenzialdiagnose der Alopecia areata ist die Trichotillomanie, das zwanghafte Ausreißen der Haare. Hier zeigen sich allerdings immer kräftige Haarstoppeln im Alopezie-Herd.

Die Therapie der Alopecia areata ist sehr einfach bei kleinen, erst kurz bestehenden Arealen, und oft frustran bei längeren, ausgeprägten Verläufen (29). Im ersteren Fall kommt es sowieso meist zur Spontanremission (egal, was der Arzt macht), im zweiten Fall hilft oft nichts. Zahlreiche nur mäßig wirksame Therapien wurden beschrieben, wie z. B. der topische Einsatz von Kortikosteroid-Externa, Calcineurin-Inhibitoren, Psoralen-UVA-Bestrahlungen oder Bestrahlungen mit UVB-Licht (Excimer-Laser), sowie die systemische Gabe von Kortikosteroiden, Fumarsäure, Sulfasalazin oder sogar Ciclosporin (29; 30).

Aufgrund des Mangels evidenzbasiert wirksamer Medikamente geben wir gerne für etwa drei Monate Zink-Präparate, da sie möglicherweise positive immunmodulatorische Eigenschaften haben und in der Regel keine Nebenwirkungen hervorrufen (z. B. Zink Verla® 2 x 20 mg/Tag, Unizink® 2 x 50 mg/Tag). Topische oder systemische Kortikosteroide werden von uns wegen mangelnder Wirksamkeit kaum noch verwendet.

Die derzeit wohl wirksamste Therapie der ausgeprägten Alopecia areata, die in jedem Fall versucht werden sollte, ist die Induktion eines allergischen Kopfekzems mittels des Kontaktallergens Diphencyprone, DCP (27; 29–31). Das nicht als Medikament zugelassene DCP wird im Rahmen eines „individuellen Heilversuches“ einmal pro Woche vom Arzt in die Kopfhaut gerieben, so dass ein mildes Kontaktekzem entsteht. Eine Übersicht der Dermatologen und Zentren, die diese Behandlung anbieten, findet man im Internet unter www.trichocare.de. Der Wirkmechanismus der DCP-Therapie beruht wahrscheinlich auf einer Suppression der gegen die Haarfollikel gerichteten Lymphozyten durch Zytokine der DCP-generierten Lymphozyten (29; 30). An Nebenwirkungen können überschießende Ekzeme auftreten, teils sogar mit Lymphknotenschwellungen, Nässen und Blasenbildung. Bei dunkel pigmentierten Menschen sind Hyper- und Hypopigmentierungen möglich. Mittels DCP lässt sich bei etwa einem Drittel der Patienten ein Wiederwachstum der Haare erreichen. Allerdings muss damit gerechnet werden, dass die topische Immuntherapie nur so lange wirkt, wie sie angewendet wird. Aufgrund ihrer potenziellen Nebenwirkungen sollte die DCP-Therapie nur von speziell geschulten Ärzten eingesetzt werden. Bei Therapieerfolg wird die Behandlung über Monate hinweg langsam ausgeschlichen. Manche Patienten können dann über Jahre in Remission und damit erscheinungsfrei bleiben.

Folliculitis decalvans

Vernarbende Alopezien sind eine heterogene Gruppe von Erkrankungen unterschiedlicher Ätiologie (32; 33). Eine der hartnäckigsten ist die Folliculitis decalvans, die sowohl Männer als auch Frauen betreffen kann (34). Es handelt sich um ein fatales Zusammenspiel zwischen entzündungsauslösenden Staphylokokken und einer übertrieben starken Entzündungsantwort. Die Behandlung der Folliculitis decalvans ist langwierig und schwierig. Als Basistherapie steht im Vordergrund, die Staphylokokken zu beseitigen und die Entzündung zurückzudrängen. Wichtig ist die tägliche Kopfwäsche mit keimvermindernden Shampoos wie z. B. Stieprox® oder Kertyol®. Danach muss die Kopfhautoberfläche ganz trocken gefönt werden, damit den Staphylokokken der Boden zur Vermehrung entzogen wird. Einer Publikation von Powell et al. (34) folgend, bevorzugen wir folgendes Schema: Systemisch Clindamycin (300 – 0 – 300 mg) und Rifampicin (300 – 0 – 300 mg) über sechs bis zwölf Wochen. Danach sind alle Patienten erscheinungsfrei, zum Teil über viele Monate (34; 35). Bei etwa der Hälfte der Behandelten kommt es zu Rezidiven, die erneuter Therapie bedürfen. Ein Teil der Patienten muss die Therapie wegen gastrointestinaler Nebenwirkungen abbrechen (35).

Um Rezidive zu vermeiden, müssen möglichst alle Büschelhaarfollikel operativ aus der Kopfhaut entfernt werden, da sie wie ein Docht Staphylokokken in die Kopfhaut ziehen.

Lichen ruber follicularis

Beim Lichen ruber (über Lichen planus/ruber berichteten wir in: Arzneiverordnung in der Praxis 2013; 40 (2): 39-41) der Kopfhaut kommt es unterhalb der epidermalen und follikulären Basalmembranzone zur dichten Ansammlung von T-Lymphozyten, die vor allem dem CD4-positiven T-Helfer-Typ angehören (36; 37). Die Erkrankung ist meist asymptomatisch und besteht oft bereits seit Jahren, ehe sie bemerkt wird. Der Verlauf ist chronisch. Nur selten zeigen sich am übrigen Integument weitere Ausprägungen des Lichen ruber wie z. B. die intensiv juckenden, polygonalen Papeln und Knötchen am Handgelenk. Mund- und Genitalschleimhäute können ebenfalls betroffen sein. An ihnen zeigt sich besonders die typische netzförmige Zeichnung des Lichen ruber (Wickham-Phänomen). Vom Graham-Lasseur-Little-Syndrom spricht man, wenn neben einem follikulären Lichen ruber am Integument und der Kopfhaut auch dystrophische Veränderungen der Finger- und Fußnägel vorliegen.

Insgesamt sind die therapeutischen Erfolge beim Lichen ruber follicularis selbst bei Verwendung starker topischer Kortikosteroide oft unbefriedigend.

Frontal fibrosierende Alopezie

Der Australier Steven Kossard beschrieb 1994 ein Krankheitsbild, das er Postmenopausal Frontal Fibrosing Alopecia nannte (38). Die fast nur bei älteren Frauen vorkommende Erkrankung wird als Variante des Lichen ruber follicularis angesehen (39). Pathogenetisch relevant ist auch hier eine Zerstörung von Haarfollikeln der Kopfhaut und Augenbrauen durch T-Lymphozyten.

Schleichend über Jahre kommt es zu einem symmetrischen Zurückweichen der Stirn-Haar-Grenze sowie des seitlichen Haaransatzes in der Schläfenregion. Die freigelegte Haut ist blass-atrophisch und grenzt sich meist klar von der durch Sonne gealterten Stirnhaut ab. Auf den ersten Blick erinnert der Haarverlust an eine androgenetische Alopezie des Mannes. Am Haaransatz zeigen sich oft perifollikuläre Erytheme. Fast immer findet man eine Rarefizierung der Augenbrauen.

Eine sicher wirksame Therapie ist nicht bekannt. Allerdings erscheint ein Therapieversuch mit örtlich angewendeten Kortikosteroiden und Calcineurin-Inhibitoren gerechtfertigt, um die Haare in der entzündlichen Progressionszone zu schützen.

Fazit

Verschiedene Formen des Haarverlustes bei Männern und Frauen können klinisch gut unterschieden werden. Die androgenetische Alopezie manifestiert sich meist in geschlechtstypischer Verteilung; die Alopecia areata ist ein auffälliger, schnell entstandener fleckförmiger Haarverlust, der teils reversibel ist; die Folliculitis decalvans zeigt narbige Alopezie mit entzündlichen Papeln, Pusteln und Krusten im Randbereich; der Lichen ruber weist peripapilläre Rötung und Schuppenkrause auf; und die postmenopausale frontal fibrosierende Alopezie nach Kossard zeigt eine typische bandartige Alopezie am Haaransatz und den Verlust der Augenbrauen.

Bei der Verordnung von Arzneimitteln in den hier genannten Indikationen ist zu beachten, dass Arzneimittel, die zur Verbesserung des Haarwuchses dienen, gemäß § 34 Abs. 1 SGB V nicht zu Lasten der GKV verordnet werden dürfen. Ferner sollte aus Haftungsgründen bei der Verordnung der Zulassungsstatus des jeweiligen Arzneimittels gemäß Fachinformation beachtet werden.

Interessenkonflikte

Der Autor hat Vortragshonorare der Firmen MSD, Pfizer, Johnson & Johnson, Jenapharm/Bayer und Pierre Fabre erhalten.

Literatur

Der vorliegende Text ist die gekürzte Form einer längeren Darstellung. Diese und auch das Literaturverzeichnis können beim Autor angefordert werden.