Citalopram zur Behandlung von Unruhe und Agitation bei Alzheimer-Demenz? Riskant und mäßig wirksam

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 1/2015

Autoren

Patienten, die an einer Alzheimer-Demenz erkrankt sind, leiden häufig unter einer psychomotorischen Unruhe, welche sich in einem gesteigerten Bewegungsdrang, aggressiven Verhaltensweisen, aber auch in einer Reizbarkeit und Enthemmung äußert.

Diese Agitation ist häufig schwer zu behandeln und belastet die Umgebung massiv. Häufig werden Antipsychotika verordnet, obwohl deren Wirksamkeit umstritten ist (1) und auch deren Sicherheit kürzlich durch Studien infrage gestellt wurde, da deren Gabe mit einem erhöhtem Sterberisiko der Patienten in Verbindung gebracht wird.

Citalopram, ein Antidepressivum aus der Gruppe der selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), wird bei älteren Personen teilweise als Alternative verwendet. Es gibt bisher aber nur begrenzt Hinweise für seine Wirksamkeit und Sicherheit.

Die S3-Leitlinie „Demenzen“ (2) weist auf die schwache Wirksamkeit von Citalopram bei agitiertem Verhalten von Demenzkranken hin. Gemäß der Leitlinie kann ein Behandlungsversuch dennoch gerechtfertigt sein. Es handelt sich jedoch um eine Off-Label-Behandlung.

Die neue Studie

Das primäre Ziel der „Citalopram for Agitation in Alzheimers Disease-Study“ (CitAD) (3) ist es, die Wirksamkeit von Citalopram bei Patienten mit einer Alzheimer-Erkrankung (ohne eine majore Depression) bei der Behandlung der Agitation zu beurteilen. Die CitAD-Studie wurde als multizentrische, randomisierte, placebokontrollierte, doppelblinde Parallelgruppenstudie durchgeführt. Insgesamt nahmen 186 Patienten aus acht US-amerikanischen und kanadischen akademischen Zentren teil. Die Teilnehmer waren durchschnittlich 78 Jahre alt, 46 % waren Frauen, 65 % waren weiß und nichtspanischer Abstammung. Die meisten Teilnehmer nahmen ein Antidementivum ein: über zwei Drittel einen Cholinesterasehemmer und über 40 % Memantin.

Bei den Probanden bestand seit durchschnittlich fünf Jahren die Diagnose Demenz. Zur Diagnosestellung wurden die Kriterien des National Institute of Neurological and Communication Disorders and Stroke-Alzheimer Disease and Related Disorders Association angewandt. Eingeschlossen wurden Patienten mit einem Punktwert zwischen 5 und 28 im Mini-Mental-Status-Test (MMST; english: Mini Mental State Examination, MMSE), bei denen eine klinisch signifikante Unruhe mit Hilfe des Neuropsychiatrischen Inventars ermittelt werden musste und bei denen ein Arzt eine Medikamentengabe für angemessen hielt.

Über 90 % der Studienteilnehmer schlossen den neunwöchigen Versuch ab. Citalopram wurde, sofern verträglich, von einer Tagesdosis von 10 mg innerhalb von drei Wochen auf 30 mg erhöht. Insgesamt erhielten 78 % der Teilnehmer 30 mg und 15 % 20 mg Citalopram täglich.

Ergebnismessung

Insgesamt wurden zwei primäre Zielparameter zur Ergebnismessung definiert. Die Veränderungen der Agitation wurden mit der 18-Punkte umfassenden NBRS-A (Neurobehaviorale Rating Skala-Agitation) gemessen, wobei höhere Werte mehr Unruhe, Feindseligkeit/Unkooperativität und Enthemmung anzeigen.

Gemessen mit der NBRS-A war nach neunwöchiger Behandlung die Agitation in der Citalopram-Gruppe statistisch signifikant niedriger. Ob die Differenz zur Placebo-Gruppe von 0,9 Punkten auch klinisch bedeutsam ist, wird im Artikel nicht diskutiert.

Ferner wurden die Veränderungen der Agitation bei einer Demenz und das Maß der klinischen Bedeutung dieser Veränderungen mit der mADCS-CGIC (modified Alzheimer Disease Cooperative Study – Clinical Global Impression of Change) gemessen, welche die Agitation in einem Bereich von 1−7 bewertet (1 = deutliche Verbesserung; 7 = Verschlechterung vom Ausgangswert).

Tabelle 1: Citalopram for Agitation in Alzheimer Disease (CitAD) (modif. nach 3)

Porsteinsson und seine Mitarbeiter zeigten, dass es bei 40 % der Teilnehmer, die Citalopram erhielten, zu einer deutlichen Besserung der Agitiertheit in den mADCS-CGIC-Werten kam, während dies nur bei 26 % der mit Placebo behandelten Patienten der Fall war (p = 0,007).

In der sekundären Outcome-Messung zeigte sich im MMST eine statistisch signifikante kognitive Verschlechterung bei den Probanden, die Citalopram einnahmen, so dass nach den neun Wochen ein Unterschied zur Placebo-Gruppe von 1,05 Punkten vorlag (p = 0,03). In der Citalopram-Gruppe kam es häufiger zu Appetitlosigkeit, Durchfall, Fieber, Stürzen und Infektionen der oberen Atemwege sowie zu einer Zunahme von Gangunsicherheiten. Beide Untersuchungsgruppen unterschieden sich nicht in der Notfallgabe von Lorazepam (p = 0,48).

Nachdem die US-Arzneibehörde FDA am 22. August 2011 vor einer dosisabhängigen Verlängerung des QTc-Intervalls unter Citalopram-Gabe gewarnt hatte, wurden EKG-Überwachungen eingeführt. Insgesamt 48 Patienten (24 Citalopram-Fälle und 24 Placebo-Fälle) erhielten ein EKG-Monitoring. Teilnehmer in der Citalopram-Gruppe zeigten einen signifikant höheren Anstieg des QTc-Intervalls im Vergleich zur Placebo-Gruppe, teilweise von mehr als 30 ms, was die Autoren veranlasst, Bedenken in Bezug auf die Gabe von Citalopram in einer Dosis von 30 mg/Tag zu äußern.

Die Studienautoren merken folgende Begrenzungen ihrer Aussagen an: Die Probanden wurden in Studienzentren der USA und Kanada untersucht, so dass sich die Ergebnisse nicht ohne Weiteres auf andere Situationen übertragen lassen. Sie weisen auf die kurze Dauer der Behandlung hin sowie darauf, dass die Wirkung von Citalopram auf andere Demenzformen als der Alzheimer-Demenz sowie bei sehr leichten und sehr schweren Formen der Agitation oder in stationären Situationen nicht untersucht wurde, dass Baseline-Unterschiede im MMST nicht untersucht wurden, dass die Kognition nicht einer umfassenderen diagnostischen Beurteilung unterzogen wurde und dass die Datenerhebung von Patienten fehlt, die nicht an der Studie teilnehmen wollten oder die im Screening als nicht geeignet identifiziert wurden.

Kommentar

Insgesamt konnte die vorliegende Studie signifikante Verbesserungen in Bezug auf die Agitation bei Alzheimer-Patienten nachweisen. An der klinischen Relevanz darf bei den bescheidenen Zahlen gezweifelt werden. So profitierten nur 40 % der Patienten der Citalopram-Gruppe, und auch die Placebo-Gruppe erzielte mit 26 % einen relevanten Anteil an Verbesserungen in den mADCS-CGIC-Werten. Unklar bleibt, warum die Autoren sich für so viele unterschiedliche Messinstrumente zur Untersuchung der Agitation entschieden haben. Das neuropsychiatrische Inventar wurde zum Einschluss der Probanden, jedoch nicht zur Ergebnismessung herangezogen.

Für die Patienten der vorliegenden Untersuchung ergaben sich nachteilige Effekte in Bezug auf die Erhöhung des QTc-Intervalls und ihrer kognitiven Leistungsfähigkeit. Die Anzahl der Probanden reichte in der vorliegenden Studie nicht, um zu prüfen, ob eventuell eine Zieldosis von 20 mg/Tag sich positiv auf die Agitation auswirkt und keine nachteiligen Effekte auf die QTc-Intervalle und die kognitive Leistungsfähigkeit mit sich bringt. Kritisch zu betrachten ist ebenso, dass Personen mit der riesigen Spanne zwischen 5 und 28 Punkten im MMST in die Untersuchung eingeschlossen wurden. In der Interpretation des MMST gelten Personen mit einem Punktwert zwischen 30 und 27 nicht als an Demenz erkrankt. Die Aussagekraft des MMST ist entsprechend der Literatur bezüglich der Sensitivität und der Spezifität beschränkt, insbesondere bei leichteren Demenzausprägungen. Zudem weisen die Autoren darauf hin, dass der Unterschied im MMST zwischen der Citalopram-Gruppe und der Placebo-Gruppe von 1,05 unterhalb der gemäß Studienlage klinisch relevanten Schwelle von 1,4 liegt. Anzumerken sei hier auch, dass Demenzerkrankte im Tagesverlauf häufig fluktuierende Leistungen zeigen. Jedoch hat der Erhalt der kognitiven Leistungsfähigkeit bei Demenzerkrankten oberste Priorität und sollte nicht durch Medikamente nachteilig beeinflusst werden. Die Lorazepam-Gabe verringerte sich mit Hilfe der Citalopram-Gabe nicht. In beiden Untersuchungsgruppen wurde Lorazepam zur Verringerung signifikanter Agitation und von Schlafstörungen eingesetzt.

Fazit

In der CitAD-Studie besserten sich Agitation und Unruhe von Patienten mit Alzheimer-Demenz unter Citalopram statistisch signifikant stärker als unter Placebo. Ob dies auch klinisch relevant ist, muss offen bleiben. Allerdings profitierte auch in der Citalopram-Gruppe nur weniger als die Hälfte der Patienten (40 %; Placebo-Gruppe: 26 %), und die Verbesserung wurde mit signifikant größeren Nebenwirkungen und Risiken erkauft: stärkere Abnahme der kognitiven Leistungen, häufigere Appetitlosigkeit, Durchfall, Fieber, Stürze, Infektionen der oberen Atemwege, Gangunsicherheiten und stärkerer Anstieg des QTc-Intervalls. Zur Behandlung von Agitation und Unruhe bei Patienten mit Alzheimer-Demenz kann Citalopram daher nicht empfohlen werden. Die Behandlung ist ohnehin nicht vorrangig eine medikamentöse, sondern zielt auf eine Kommunikation mit dem Kranken, pflegerische Maßnahmen und Umgebungsfaktoren (1,2). Welche Schwierigkeiten dem entgegenstehen und wie laut der Ruf nach einer medikamentösen Beeinflussung sein kann, setzen wir als bekannt voraus.

Interessenkonflikte

T. Bschor hat in den letzten fünf Jahren Vertragshonorare der Firmen Lilly, BMS, Servier, AstraZeneca und Lundbeck sowie eine Kongressreiseunterstützung der Firmen AstraZeneca und Lundbeck angenommen.

Ein Interessenkonflikt wird von der Autorin M. Schucany verneint.

Literatur
  1. Gertz HJ, Stoppe G, Müller-Oerlinghausen B et al.: Antipsychotika zur Behandlung neuropsychiatrischer Störungen bei Demenz. Nervenarzt 2013; 84: 370-373.
  2. Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN): S3-Leitlinie "Demenzen": www.dgn.org/images/stories/dgn/pdf/s3_leitlinie_demenzen.pdf. Langversion: 23. November 2009. Zuletzt geprüft: 30. September 2014.
  3. Porsteinsson AP, Drye LT, Pollock BG et al.: Effect of citalopram on agitation in Alzheimer disease: the CitAD randomized clinical trial. JAMA 2014; 311: 682-691.