Der Aktionsplan zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit – ein Impulsgeber im Gesundheitswesen

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 3/2021

Autorinnen

Zusammenfassung

Der seit 2008 zum vierten Mal in Folge fortgeschriebene „Aktionsplan zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit in Deutschland“ (Aktionsplan AMTS) setzt im Hinblick auf die sichere Arzneimitteltherapie regelmäßig Impulse zur Weiterentwicklung im Gesundheitswesen. Die im Verlauf der Jahre gesetzten Themenschwerpunkte zeigen ihre Reichweite und Effekte auch über die Umsetzung der einzelnen Maßnahmen hinaus, etwa hinsichtlich regulatorischer Ansätze, im Bereich der Aus-, Weiter- und Fortbildung oder auf dem Gebiet der AMTS-Forschung. Die Koordinierungsgruppe AMTS organisiert die Planung und Umsetzung der Maßnahmen. Auf ihren Sitzungen wird die Umsetzung der AMTS-Maßnahmen regelmäßig analysiert, diskutiert und evaluiert. Aus den Aktionsplänen AMTS hervorgegangene praxisnahe AMTS-Werkzeuge sollen die evidenzbasierte Therapieentscheidung in der Routineversorgung unterstützen und zur Sicherheit der Arzneimitteltherapie beitragen.

Fortschreibung des Aktionsplans AMTS

Anfang des Jahres wurde der „Aktionsplan 2021–2024 des Bundesministeriums für Gesundheit zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit in Deutschland“ (Aktionsplan AMTS 2021–2024) veröffentlicht (1). Bereits im Jahr 2007 hat das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) den ersten Aktionsplan AMTS ins Leben gerufen und die Koordinierungsgruppe AMTS bei der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) eingerichtet. Ziel des gebündelten Maßnahmenpaketes ist es, die Sicherheit der Arzneimitteltherapie im Gesamtprozess zu verbessern.

Mit jeder Arzneimitteltherapie sind potenzielle Risiken verbunden, wenn schädliche Wirkungen etwa aufgrund von unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) oder Medikationsfehlern – also grundsätzlich vermeidbare Risiken – auftreten. Nicht selten wenden Patienten fünf oder mehr ärztlich verordnete Arzneimittel gleichzeitig an, wodurch das Risiko für das Auftreten von Medikationsfehlern erhöht ist. Insbesondere bei älteren Patienten mit Multimedikation können sich Medikationsfehler auch in Krankheitssymptomen äußern (2;3).

Aus dem Blickwinkel der „Arzneimitteltherapiesicherheit“ (AMTS) wird die Sicherheit des gesamten Medikationsprozesses betrachtet: von der ärztlichen Verordnungsentscheidung über die Abgabe der Arzneimittel durch Apotheker sowie die Anwendung durch Patienten bis hin zur regelmäßigen Therapiebeobachtung, beispielsweise durch Pflegende. Insofern übernehmen alle am Medikationsprozess Beteiligten in gewisser Weise Verantwortung für eine sichere Arzneimitteltherapie.

Definitionen zu Pharmakovigilanz und Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) (4)

Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS)

AMTS ist die Gesamtheit der Maßnahmen zur Gewährleistung eines optimalen Medikationsprozesses mit dem Ziel, Medikationsfehler und damit vermeidbare Risiken für den Patienten bei der Arzneimitteltherapie zu verringern.

Medikationsfehler

Ein Medikationsfehler ist ein Abweichen von dem für den Patienten optimalen Medikationsprozess, das zu einer grundsätzlich vermeidbaren Schädigung des Patienten führt oder führen könnte. Medikationsfehler können jeden Schritt des Medikationsprozesses betreffen und von jedem am Medikationsprozess Beteiligten, insbesondere von Ärzten, Apothekern oder anderen Angehörigen eines Gesundheitsberufes sowie von Patienten, deren Angehörigen oder Dritten verursacht werden.

Medikationsprozess

Der Medikationsprozess beinhaltet alle Stufen der Arzneimitteltherapie und umfasst im Wesentlichen folgende Schritte: Arzneimittelanamnese – Verordnung/Verschreiben – Patienteninformation – Selbstmedikation – Verteilung/Abgabe – Anwendung (Applikation/Einnahme) – Dokumentation – Therapie-Überwachung/AMTS-Prüfung – Kommunikation/Abstimmung – Ergebnisbewertung.

Gesellschaftliche Entwicklungen, etwa im Hinblick auf den demographischen Wandel, den wissenschaftlich technischen Fortschritt im Bereich der Arzneimitteltherapie und nicht zuletzt gesundheitsökonomische Aspekte führen dazu, dass die Verbesserung der AMTS einen hohen gesundheitspolitischen Stellenwert erlangt. Dies kommt auch mit dem nun veröffentlichten fünften Aktionsplan AMTS des BMG für den Zeitraum 2021–2024 zum Ausdruck. Er orientiert sich an übergeordneten Handlungsfeldern im Gesundheitswesen. Insofern finden sich in den aufgeführten 42 Maßnahmen auch Anknüpfungspunkte zu den Bereichen Gesundheitskompetenz, interprofessionelle Zusammenarbeit sowie Digitalisierung im Gesundheitswesen wieder.

Vor dem Hintergrund sich stets ändernder Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen hat sich der Aktionsplan AMTS mit den Jahren fest etabliert und in der Struktur und Organisation bewährt. Mit der vorliegenden Gesamtschau sollen die Schwerpunkte, Reichweite und Effekte des Aktionsplans AMTS beleuchtet sowie die erfolgreiche Umsetzung praxisnaher Maßnahmen herausgestellt werden. Daneben soll aufgezeigt werden, an welchen Punkten weiterhin Handlungsbedarf besteht.

Die Aktionspläne AMTS – Daten, Fakten und Effekte

Im Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Umsetzung der Aktionspläne AMTS steht die quantitative Perspektive oftmals im Vordergrund:

  • Die Aktionspläne AMTS des BMG existieren seit dem Jahr 2007 und decken bis zum Ende des laufenden Aktionsplans einen Zeitraum von mehr als 15 Jahren ab.
  • Bislang wurden fünf Aktionspläne AMTS veröffentlicht.
  • Insgesamt wurden in allen fünf Aktionsplänen AMTS über 200 Maßnahmen aufgeführt.
  • Bis Ende 2020 wurden nicht weniger als 100 Maßnahmen abgeschlossen und schließlich fünf als dauerhafte Aufgaben etabliert.
  • Seit 2008 haben mehr als 40 Sitzungen der Koordinierungsgruppe AMTS stattgefunden.
  • Im Rahmen der Aktionspläne AMTS wurden bisher 20 Workshops organisiert.
  • Aufbauend auf den ersten „Kongress für Patientensicherheit bei medikamentöser Therapie“ im Jahr 2005 wurden vier weitere im Rahmen des Aktionsplans AMTS durchgeführt.

Die auf reine Zahlen fokussierte Betrachtungsweise wird dem Gesamtprojekt jedoch nicht gerecht. Um die erfolgreiche Umsetzung und den Wirkungsgrad der Maßnahmen zu untersuchen, bedarf es einer weiteren Ebene.

Stuft man die Aktionspläne AMTS als gesamtgesellschaftliches Maßnahmenpaket ein, sollten die Effekte des Programms zusätzlich anhand qualitativer Maßgaben betrachtet werden. Die Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der bisherigen Aktionspläne erfolgt vor dem Hintergrund eines sich beständig verändernden Gesundheitswesens, des Anspruchs an wissenschaftliche Beachtung und der Erwartungen einer kritischen Fachöffentlichkeit. Mittels qualitativer Gesamtbetrachtung soll aufgezeigt werden, welche Schwerpunkte des Aktionsplans AMTS bereits verfolgt und welche Ergebnisse erreicht wurden, in welche übergeordneten Bereiche er hineinwirkt und an welcher Stelle weiterer Handlungsbedarf besteht.

Basis der Betrachtung sind alle fünf veröffentlichten Aktionspläne AMTS mit den insgesamt 231 aufgeführten Maßnahmen, die mittels Dokumentenanalyse untersucht wurden. Allen Maßnahmen wurden themengebundene Schlagwörter zugeordnet, die den jeweiligen Fokus beschreiben, z. B. „Aus-, Weiter-, Fortbildung“, „Patienteninformationen“, „Gesundheits-IT“ oder „Medikationsplan“. Die verwendeten Schlagworte können Tabelle 1 entnommen werden. Die Themenbereiche sind nicht immer scharf voneinander abzugrenzen und es treten Überschneidungen auf. So ist etwa die Implementierung des Medikationsplans mit den Ansätzen zur interprofessionellen Zusammenarbeit verknüpft und der Medikationsprozess auch aus dem Blickwinkel der sektorenübergreifenden Gesundheitsversorgung zu betrachten. Insofern konnten an eine Maßnahme auch mehrere Schlagworte vergeben werden. Für die Untersuchung steht der Handlungsbedarf im Bereich AMTS im Vordergrund, der mit jeder Veröffentlichung eines Aktionsplans AMTS als Momentaufnahme dokumentiert wird. Aus diesem Grund wurden alle Maßnahmen in die Untersuchung eingeschlossen, unabhängig davon, ob sie tatsächlich umgesetzt wurden oder nicht.

Tabelle 1: An Maßnahmen der Aktionspläne AMTS themengebunden vergebene Schlagwörter, in alphabetischer Reihenfolge


Schwerpunkte im zeitlichen Verlauf

Das Resultat der Analyse ist der Abbildung 1 zu entnehmen. Im Ergebnis wurden 13 inhaltliche Themen-Cluster identifiziert. Es ist festzustellen, dass sich die Schwerpunktgebiete der jeweiligen Aktionspläne im Zeitverlauf verlagert haben. Mit den ersten veröffentlichten Aktionsplänen wurde der Fokus auf bestimmte übergeordnete Herausforderungen, z. B. regulatorische Maßnahmen, Aus-, Weiter- und Fortbildung, besondere Patientengruppen sowie die Förderung der Forschung auf dem Gebiet der AMTS gelegt. Auch die Entwicklung von Softwarelösungen im Bereich der Gesundheits-IT spielte schon zu Beginn eine wichtige Rolle. Im weiteren zeitlichen Verlauf hatten konkretere Lösungsmöglichkeiten und Forschungsvorhaben ein stärkeres Gewicht, etwa im Zusammenhang mit dem Medikationsprozess und der Verbesserung der AMTS in Alten- und Pflegeheimen sowie in der sektorenübergreifenden Versorgung, aber auch die Entwicklung von Patienteninformationen und Informationen über Hochrisikoarzneimittel. Ab dem zweiten Aktionsplan AMTS traten die Förderung der interprofessionellen Zusammenarbeit, die Sensibilisierung für Medikationsfehler und die Entwicklung des Medikationsplans regelmäßig in Erscheinung.

Abbildung 1: Ausgewählte Schwerpunktthemen der Aktionspläne AMTS im zeitlichen Verlauf


Reichweite und Effekte der Aktionspläne AMTS

Die Aktionspläne AMTS haben in der Vergangenheit wichtige Entwicklungen im Gesundheitswesen angestoßen bzw. begleitet. Sie können insofern als Impulsgeber verstanden werden. Von diesem Standpunkt aus betrachtet wirken sie in bestimmte Bereiche hinein, ohne dass sich explizit auf den Aktionsplan AMTS bezogen wird. Dies soll nachfolgend anhand beispielhaft ausgewählter Themenbereiche veranschaulicht werden.

Themenbereich 1: Regulatorische Maßnahmen

Wie oben aufgeführt, standen zu Beginn der Aktionspläne AMTS insbesondere behördliche Aktivitäten im Mittelpunkt. Ziel war es, die Risikoinformationen über Arzneimittel ausgehend von regulatorischen Maßnahmen zu verbessern und bereit zu stellen.

Inzwischen ist es für Fachkreise selbstverständlich, dass etwa UAW-Datenbanken frei recherchierbar sind, Fach- und Gebrauchsinformationen für Angehörige der Gesundheitsberufe bzw. Patienten zur Verfügung stehen oder die Rote-Hand-Briefe auf den Internetseiten des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bzw. Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) online abrufbar sind. Mit den Aktionsplänen AMTS wurde auch die Identifikation von so genannten „Sound-a-likes“ und „Look-a-likes“ als eine wichtige dauerhafte Aufgabe der Bundesoberbehörden eingerichtet. Unter „Sound-a-likes“ bzw. „Look-a-likes“ werden Medikationsfehler geführt, die auf Verwechslungen ähnlich klingender Arzneimittelnamen oder von ähnlich aussehendem Verpackungsdesign zurückzuführen sind. Um Medikationsfehlern dieser Art vorzubeugen, haben das BfArM und das PEI die „Leitlinie zur Bezeichnung von Arzneimitteln“ veröffentlicht. Sie soll Antragsteller und Zulassungsinhaber von Humanarzneimitteln bei der Wahl AMTS-gerechter Fertigarzneimittelnamen unterstützen. Darüber hinaus informieren die Bundesoberbehörden BfArM und PEI mit dem „Bulletin zur Arzneimittelsicherheit“ über aktuelle Aspekte der Risikobewertung von Arzneimitteln. Diese Initiative wurde bereits mit dem ersten Aktionsplan AMTS auf den Weg gebracht.

Mit Inkrafttreten der novellierten „Richtlinie zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel“ auf europäischer Ebene im Jahr 2012, wurde die Definition für den Begriff „Nebenwirkungen“ geändert (Richtlinie 2001/83/EG (5). Seither fallen auch Medikationsfehler in den Bereich der Arzneimittelsicherheit und damit wird AMTS Bestandteil des nationalen Pharmakovigilanzsystems. Das bedeutet, die Behörden haben erweiterte Aufgaben im Bereich AMTS erhalten und sind rechtlich dazu verpflichtet, Nebenwirkungen, die auf Medikationsfehler zurückzuführen sind, an die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) zu melden (6). Im BfArM wurde zudem die „AG AMTS“ eingerichtet, die auf den Routinesitzungen regelmäßig über aktuelle AMTS-Probleme berichtet.

Dass Pharmakovigilanz und AMTS eng miteinander verzahnt sind, zeigt nicht zuletzt das von der AkdÄ erfolgreich umgesetzte und im Rahmen des Aktionsplans AMTS geförderte Modellprojekt zur zentralen Erfassung und Bewertung von Medikationsfehlern (7). Es konnte gezeigt werden, dass über die Strukturen des Spontanmeldesystems der AkdÄ Medikationsfehler erfasst und bewertet sowie Maßnahmen zur Risikominimierung aufgrund der eingegangenen Fallberichte eingeleitet werden können. Berichte über Medikationsfehler sind regelmäßig Gegenstand der Risikoinformationen der AkdÄ, wofür sie in Fachkreisen sensibilisiert (8).

Die beispielhaft vorgestellten Aktivitäten des BfArM und PEI sowie der AkdÄ auf dem Gebiet der AMTS unterstreichen den Stellenwert, den die AMTS mittlerweile im Bereich Pharmakovigilanz erlangt hat – nicht zuletzt durch die geänderten rechtlichen Rahmenbedingungen auf europäischer Ebene. Auch wenn sich der Schwerpunkt in den Aktionsplänen mittlerweile verlagert hat, darf die regulatorische Perspektive nicht fehlen, was auch im Aktionsplan AMTS 2021–2024 zum Ausdruck kommt.

Themenbereich 2: Aus-, Weiter- und Fortbildung

Die Implementierung von AMTS-relevanten Inhalten in die Aus-, Weiter- und Fortbildung der Angehörigen der Heil- und Gesundheitsberufe ist stets Bestandteil der Aktionspläne AMTS. Zu Beginn sollte zunächst ermittelt werden, in welcher Art und in welchem Umfang AMTS bereits in Curricula berücksichtigt wird. Wurde anfangs noch das Ziel verfolgt, gemeinsame Inhalte für die Aus-, Weiter- und Fortbildung der Ärzte, Apotheker und Angehörigen der Pflegeberufe zu beschreiben, wurde im Verlauf der Aktionspläne AMTS festgestellt, dass dieser universale Ansatz nicht adäquat verfolgt werden kann. Gleichwohl haben AMTS-Themen in den vergangenen Jahren Berücksichtigung in den entsprechenden Curricula gefunden. Dies dokumentieren beispielhaft Initiativen der Ärzte- und Apothekerschaft.

Mit Blick auf die Ausbildung der Ärzte, wurde im Zuge des „Masterplans Medizinstudium 2020“ die Fortentwicklung des „Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalogs Medizin“ (NKLM) (9) angestoßen. Ziel des NKLM ist es, Kompetenzen zu beschreiben, die auf Grundlage eines Kerncurriculums von allen Studierenden der Medizin erlangt werden sollen. Ausgehend von einer Maßnahme im Aktionsplan AMTS 2016–2020 wurde der NKLM auf AMTS-relevante Inhalte überprüft. Die entsprechenden Lernziele wurden durch Experten der AkdÄ bewertet und bei der Weiterentwicklung des NKLM berücksichtigt.

Mit dem „Kompetenzorientierten Lernzielkatalog Pharmazie – Perspektivpapier Apotheke 2030“ (KLP-P) liegen auch für angehende Apotheker Empfehlungen für die kompetenzorientierte Gestaltung des Pharmaziestudiums vor, in denen Ausbildungsinhalte aus dem Bereich AMTS als Schwerpunkte hervorgehoben werden (10).

AMTS-spezifische Lernziele sind weiterhin in die Vorgaben zur Weiterbildung für Ärzte und Apotheker eingeflossen. Die „(Muster-)Weiterbildungsordnung 2018“ der Bundesärztekammer und die Durchführungsempfehlungen der Bundesapothekerkammer für die Gebiete „Allgemeinpharmazie“ und „Klinische Pharmazie“ wurden unter Berücksichtigung von AMTS-Inhalten angepasst und verabschiedet (11;12).

Auch im Hinblick auf die Fortbildung der Ärzte und Apotheker lässt sich die Implementierung AMTS-relevanter Inhalte feststellen. Die AkdÄ etwa bietet im Rahmen ihres Fortbildungsangebots für Ärzte regelmäßig AMTS-Schwerpunkte an, auch in Kooperation mit der Apothekerschaft. Besondere Fortbildungsveranstaltungen mit AMTS-Fokus bilden die unter Federführung der AkdÄ organisierten „Deutschen Kongresse für Patientensicherheit bei medikamentöser Therapie“. Gleichermaßen berücksichtigt die Bundesapothekerkammer AMTS-Themen in der Fortbildung der Apotheker, etwa in den Curricula ihrer Zertifikatfortbildungen oder im Rahmen des regelmäßig stattfindenden Pharmacon-Kongresses der Bundesapothekerkammer.

Obwohl die aufgeführten Initiativen nicht alle direkt auf die Aktionspläne AMTS zurückzuführen sind, zeigt die Verankerung AMTS-relevanter Inhalte in der Aus-, Weiter- und Fortbildung der Ärzte und Apotheker eindrücklich den Effekt der Aktionspläne als Impulsgeber für Weiterentwicklungen im Gesundheitswesen. Daran anknüpfend wird mit dem Aktionsplan AMTS 2021–2024 insbesondere ein Augenmerk auf die interprofessionelle Lehre und auf die Formulierung ärztlicher Curricula zur Vermittlung von AMTS-Kompetenzen gelegt. Zudem soll der „6. Kongress für Patientensicherheit bei medikamentöser Therapie“ durchgeführt werden.

Themenbereich 3: AMTS-Forschung

Mit den ersten Aktionsplänen AMTS wurde ein besonderer Fokus auf die Entwicklung der Forschung auf dem Gebiet der AMTS gelegt. Forschungsziele, methodische Ansätze, inhaltliche Schwerpunkte, aber auch grundlegende Definitionen mussten zunächst hergeleitet und fortentwickelt werden. Diese Punkte wurden 2011 in einem Memorandum der Koordinierungsgruppe AMTS präzisiert und veröffentlicht (13). Zwischenzeitlich wurde der Forschungsschwerpunkt AMTS im Rahmen der Ressortforschung des BMG eingerichtet und auch die Förderungen durch den Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) berücksichtigen den Themenschwerpunkt AMTS in den Bereichen „Neue Versorgungsformen“ und „Versorgungsforschung“ (14). Insofern hat sich die AMTS-Forschung im Aktionsplan zwar verlagert, wurde aber an anderer Stelle im Gesundheitswesen festgeschrieben. Dieser Verlauf verdeutlicht die Effekte des Aktionsplans AMTS hinsichtlich der Weiterentwicklung und Relevanz der Forschung auf dem Gebiet der AMTS.

Mit der Veröffentlichung der „Definitionen zu Pharmakovigilanz und Arzneimitteltherapiesicherheit“ wurde eine weitere wichtige Grundlage im Bereich der AMTS-Forschung geschaffen (4). Die Aktionspläne AMTS haben eine konstruktive, wissenschaftliche Diskussion eingeleitet. Es wurde deutlich: Für vergleichbare und reproduzierbare Forschungsergebnisse und als Basis für den wissenschaftlichen Diskurs müssen einheitliche Definitionen für Sachverhalte der Pharmakovigilanz einschließlich der AMTS vorliegen. Diese wurden im Rahmen des Aktionsplans AMTS von einem beauftragten Expertengremium erarbeitet. Dass sich die Definitionen mittlerweile in der Wissenschaft und Fachöffentlichkeit etabliert haben, zeigt ein Blick in die Rechercheplattform „PubPharm“ des „Fachinformationsdienstes Pharmazie“ der Technischen Universität Braunschweig, einer frei zugänglichen Suchmaschine für pharmazeutische Fachliteratur und Informationsressourcen aus angrenzenden Disziplinen unter Berücksichtigung der deutschsprachigen Fachliteratur (15). Bei Eingabe des Begriffes „Arzneimitteltherapiesicherheit“ werden über 400 Treffer angezeigt (Abbildung 2). Erste Publikationen sind ab 2008 – zum Zeitpunkt der ersten Veröffentlichung des Aktionsplans AMTS – zu verzeichnen und nehmen mit den Jahren kontinuierlich zu. Dieses Beispiel verdeutlicht, der Begriff „Arzneimitteltherapiesicherheit“ und das Forschungsgebiet „AMTS“ sind mittlerweile in der Wissenschaft anerkannt und in der Fachöffentlichkeit etabliert.

Abbildung 2: Screenshots der Rechercheplattform PubPharm (Quelle: https://www.pubpharm.de/vufind/)


Organisation und Evaluation – Die Rolle der Koordinierungsgruppe AMTS

Zur Planung und Umsetzung des Aktionsplans AMTS, wurde bei der AkdÄ die „Koordinierungsgruppe AMTS“ eingerichtet. Diesem Gremium gehören Mitarbeiter des BMG, Vertreter der Ärzteschaft, der Apothekerschaft, der Krankenhäuser, der Pflegeberufe und nicht zuletzt der Patientenverbände an. Auf Bundesebene tauschen sich die Experten im Gesundheitswesen regelmäßig über die im Aktionsplan AMTS festgeschriebenen Ziele aus, stellen Ergebnisse abgeschlossener Maßnahmen vor, diskutieren Lösungsmöglichkeiten und zeigen weiteren Handlungs- und Forschungsbedarf im Bereich AMTS auf. Die multiprofessionell zusammengesetzte Koordinierungsgruppe blickt mittlerweile auf fast 15 Jahre erfolgreiche Zusammenarbeit zurück und ist somit als nationales AMTS-Gremium fest in der Gesundheitspolitik etabliert.

Neben den organisatorischen Aufgaben, die die Koordinierungsgruppe AMTS wahrnimmt, hat sie auch eine wichtige evaluierende Rolle inne. Auf ihren Sitzungen setzt sie sich kontinuierlich mit dem Umsetzungsstand des Aktionsplans AMTS auseinander, diskutiert, ob aktuell Anpassungsbedarf bei der Bearbeitung von Maßnahmen besteht oder ob eine Maßnahme gar zurückgezogen werden muss, weil Entwicklungen im Gesundheitswesen das ursprünglich verfolgte Ziel unterstützen und Lösungsansätze bereits vorliegen. Im Gegensatz zu starr beschriebenen Projektvorhaben lässt der Aktionsplan AMTS eine gewisse Flexibilität bei der Verwirklichung zu, die es erlaubt, auf veränderte Rahmenbedingungen im „lernenden System“ AMTS zu reagieren. Den in der Koordinierungsgruppe AMTS konsensual getroffenen Entscheidungen geht ein kommunikativer Aushandlungsprozess, ein Diskurs, voraus. Aus dem Blickwinkel der qualitativ empirischen Forschung, wird der Diskurs im Expertengremium selbst zum Moment der Evaluation (16). Anders als etwa die Beurteilung eines Projekts nach rein quantitativen Gesichtspunkten kann der Schwerpunkt der qualitativen Evaluation z. B. auf dem eigentlichen Projektverlauf liegen. Dieses Verständnis von Evaluation kann auch auf den in der Koordinierungsgruppe AMTS geführten Diskurs übertragen werden. Insofern unterliegt der Aktionsplan AMTS einer ständigen Projektbewertung.

Die Ergebnisse der Diskussionen sind in den Sitzungsprotokollen der Koordinierungsgruppe AMTS veröffentlicht und auf der Homepage der AkdÄ abrufbar. Gleichermaßen können der Umsetzungsstand der Maßnahmen sowie die Ergebnisse auf der Homepage eingesehen werden. Diese Transparenz entspricht dem gestiegenen Qualitätsbewusstsein einer kritischen Fachöffentlichkeit und folgt somit demokratischen Grundprinzipien. Dies bekräftigt nicht zuletzt die Verankerung der Koordinierungsgruppe AMTS bei der AkdÄ, die mit ihren Leitsätzen bezüglich Transparenz und Unabhängigkeit hohe Maßstäbe setzt.

Ausgewählte AMTS-Werkzeuge für die Praxis

Nachstehend aufgeführte Beispiele für praxisnahe Maßnahmen der Aktionspläne AMTS können in der Routineversorgung der Patienten von den Gesundheitsberufen berücksichtigt werden und die Verbesserung der AMTS fördern.

Praxisbeispiel 1: Der bundeseinheitliche Medikationsplan

Die Entwicklung eines bundeseinheitlichen Medikationsplans (BMP) wurde bereits mit dem Aktionsplan AMTS 2010–2012 angestoßen und wird seitdem kontinuierlich fortgesetzt (Abbildung 3). Der BMP soll in erster Linie den Patienten zur Information über ihre Arzneimitteltherapie dienen. Im Medikationsplan sind strukturiert Angaben über die Gesamtmedikation aufgeführt mit Informationen über den Wirkstoff, Handelsnamen, Stärke, Darreichungsform, Dosierung der einzelnen Arzneimittel. Zusätzlich können spezielle Anwendungshinweise zur Arzneimitteltherapie und der Grund der Einnahme entnommen werden. Die Informationen über die Arzneimittel, die Patienten im Rahmen der Selbstmedikation anwenden, sind ebenfalls aufgeführt.

Darüber hinaus wird mittels BMP der sektorenübergreifende Austausch zwischen den Angehörigen der Gesundheitsberufe gefördert. Ärzten, Apothekern und Pflegenden liegt ein einheitlich strukturiertes Dokument mit Informationen über die Arzneimitteltherapie vor, idealerweise zum Zeitpunkt der Therapieentscheidung, der Abgabe der Arzneimittel oder der Überwachung der Therapie. Hiermit können Medikationsfehler potenziell vermieden und die AMTS verbessert werden.

Mit dem 2015 verabschiedeten E-Health-Gesetz (17) wurde der Anspruch aller gesetzlich Versicherten auf die Ausstellung eines BMP schließlich auch rechtlich verankert. Patienten können einen Medikationsplan erhalten, wenn sie dauerhaft mindestens drei verordnete, systemisch wirkende Arzneimittel gleichzeitig anwenden (§ 31a SGB V – Medikationsplan).

Die Implementierung des BMP in die Versorgungsroutine wurde im Rahmen der Aktionspläne AMTS in drei Modellprojekten hinsichtlich seiner Akzeptanz und Praktikabilität erprobt (MetropolMediplan 2016, Modellregion Erfurt und PRIMA). Die Projektergebnisse zeigen, dass der BMP bei Patienten und Angehörigen der Gesundheitsberufe grundsätzlich auf breite Akzeptanz stößt (18). Weiterentwicklungspotenzial wurde unter anderem im Hinblick auf die Umsetzung einer elektronischen Version des BMP aufgezeigt. Daneben wurde die Erkenntnis abgeleitet, dass komplexe Dosierschemata, etwa die einmal wöchentliche Gabe von Methotrexat-haltigen Arzneimitteln, nur unzureichend abzubilden sind. Weiterhin wurde auf Grundlage der Projektergebnisse die Empfehlung ausgesprochen, dass Prozesse, Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten von Ärzte- und Apothekerschaft bei der Erstellung und Aktualisierung des BMP definiert werden müssen (18). Diese Aspekte werden im Rahmen des Aktionsplans 2021–2024 mit der Umsetzung der Maßnahmen [38] „Durchführung eines Workshops zu neuen Möglichkeiten der interprofessionellen Zusammenarbeit bei der Medikationsanalyse und dem Medikationsmanagement vor dem Hintergrund elektronischer Hilfsmittel wie der elektronischen Patientenakte und dem elektronischem Medikationsplan“ und [39] „Forschungsprojekt mit begleitenden Workshops zur Abbildung komplexer Dosierungsschemata im Medikationsplan in Abstimmung mit den Vertragspartnern nach § 31a Absatz 4 Satz 1 SGB V“ aufgegriffen.

Abbildung 3: Muster des bundeseinheitlichen Medikationsplans (BMP) der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) (Quelle: https://www.kbv.de/media/sp/Beispiel_BMP_2018.pdf)


Praxisbeispiel 2: Informationsportal „Embryotox“

Die Arzneimitteltherapie während der Schwangerschaft und Stillzeit sowie bei Kinderwunsch bedarf einer besonderen Nutzen-Risiko-Abwägung. Schließlich betrifft sie neben der Schwangeren auch das Ungeborene. Auf der einen Seite sollen möglicherweise krankheitsbedingte Auswirkungen auf den Embryo mit einer Therapie verhindert werden. Auf der anderen Seite sind Arzneimittel in den meisten Fällen für Schwangere nicht zugelassen. Die Entscheidung für oder gegen eine Arzneimitteltherapie zur Behandlung von erkrankten Schwangeren erfolgt demnach in Abwägung des aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstands im Hinblick auf Wirksamkeit und Unbedenklichkeit gegenüber dem Risiko, welches mit einer Nicht-Behandlung einherginge. Genau an dieser Stelle knüpft das Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie (Embryotox) mit seinem Beratungs- und Informationsangebot an. Ziel ist es, evidenzbasierte Entscheidungen im Praxisalltag zu erleichtern und die AMTS bei der Behandlung von Schwangeren, Stillenden und Frauen mit Kinderwunsch zu verbessern.

Im Jahr 2008 wurde die Rechercheplattform „www.embryotox.de“ eröffnet und für das Fachpublikum sowie für die interessierte Öffentlichkeit zugänglich gemacht (Abbildung 4). Die Startfinanzierung erfolgte unter anderem im Rahmen des Aktionsplans AMTS durch das BMG. Das Portal bietet laufend aktualisierte Risikobewertungen zu über 400 Wirkstoffen mit Informationen über Erfahrungen in der Schwangerschaft sowie evidenzbasierten Empfehlungen zur Anwendung der Arzneimittel bei Schwangeren und Stillenden. Inzwischen hat die Homepage täglich bis zu 11.500 Besucher zu verzeichnen, was die Bedeutung und Reichweite des Informationsportals unterstreicht (19).

Auch mit dem Aktionsplan AMTS 2021–2024 wird die besondere Patientengruppe der Schwangeren, Stillenden und Frauen mit Kinderwunsch bedacht. Unter Federführung des Embryotox soll Informationsmaterial zur Arzneimitteltherapie für Frauen im gebärfähigen Alter, in Schwangerschaft und Stillzeit entwickelt werden. Zudem ist geplant, die Aktualisierung des Internetauftritts der Embryotox-Datenbank zu fördern.

Abbildung 4: Screenshot der Rechercheplattform „Embryotox“ (Quelle: https://www.embryotox.de/arzneimittel/)


Praxisbeispiel 3: Evidenzbasierte Arzneimitteldatenbank „Kinderformularium“

Eine weitere besondere Patientengruppe bilden Kinder und Jugendliche. Therapieentscheidungen in der Kinder- und Jugendmedizin müssen vor dem Hintergrund grundlegender Herausforderungen getroffen werden. Arzneimittel sind nicht immer für alle Altersgruppen und Indikationen zugelassen und es fehlen kinderspezifische Dosierungsangaben und Darreichungsformen. Infolgedessen erfolgt die Arzneimittelbehandlung bei Kindern und Jugendlichen nicht selten im so genannten „Off-label-Bereich“. Die Anwendung der Arzneimittel bei Kindern und Jugendlichen außerhalb der Zulassung kann auf der einen Seite das Risiko für das Auftreten von Nebenwirkungen und Medikationsfehlern erhöhen, ist aber auf der anderen Seite häufig die einzige Therapieoption (20;21).

Mit der Einführung der evidenzbasierten Arzneimitteldatenbank „Kinderformularium“, soll die AMTS bei der Anwendung von Arzneimitteln im Kindes- und Jugendalter verbessert werden (Abbildung 5). Die Entwicklung der Datenbank wurde im Rahmen der Aktionspläne AMTS angestoßen und ist schließlich seit Januar 2021 für Angehörige der Gesundheitsberufe via DocCheck-Zugang freigeschaltet. In der Rechercheplattform werden Wirkstoffmonographien mit evidenzbasierten Informationen unter anderem über den Zulassungsstatus, die Pharmakodynamik und -kinetik, Dosierungsempfehlungen, UAW, klinisch relevante Arzneimittelwechselwirkungen sowie Kontraindikationen, Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen bereitgestellt. Aktuell umfasst die Datenbank etwa 750 strukturierte Wirkstoffmonographien, die auf Grundlage systematischer Recherchen der Primärliteratur erstellt und von einem unabhängigen Expertengremium auf die Gegebenheiten in Deutschland geprüft und angepasst wurden.

Im Aktionsplan 2021–2024 ist vorgesehen, die Arzneimitteldatenbank weiterzuentwickeln und deren Bekanntmachung zu fördern sowie Standards zur Verdünnung und zum Teilen von Arzneimitteln, die zur Anwendung bei Kindern bestimmt sind, zu erstellen.

Abbildung 5: Screenshot der Arzneimitteldatenbank „Kinderformularium.DE“ (Quelle: https://kinderformularium.de/)


Praxisbeispiel 4: PRISCUS-Liste und AMTS-Merkkarte

Die Verbesserung der AMTS bei der Behandlung älterer Patienten und der Bewohner in Alten- und Pflegeheimen waren schon von Beginn an bedeutsame Anknüpfungspunkte in den Aktionsplänen AMTS.

Bereits mit dem ersten Aktionsplan wurde die Erarbeitung der so genannten PRISCUS-Liste gefördert (22). Die Anwendung bestimmter Arzneimittel bergen bei älteren Patienten das Risiko, UAW hervorzurufen und gelten daher für diese besondere Patientengruppe als potenziell inadäquate Medikation (PIM). Die für Deutschland entwickelten PRISCUS-Medikationsempfehlungen sollen als Entscheidungshilfe für die behandelnden Ärzte und als Unterstützung der Apotheker bei der Information und Beratung verstanden werden. Die Liste macht auf die besonderen Probleme bei der Arzneimitteltherapie älterer Menschen aufmerksam und gibt Hinweise über Arzneimittel, die nach Möglichkeit vermieden werden sollen. Weiterhin zeigt sie mögliche Bedenken, Therapiealternativen sowie Maßnahmen auf, falls das Arzneimittel dennoch angewendet werden soll. Dass diese vor mehr als zehn Jahren angestoßene Initiative seine Wirkung zeigt, verdeutlicht eine aktuelle Veröffentlichung des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi), nach der ein Rückgang der Verordnung von PIM-Arzneimitteln bei gesetzlich Versicherten Patienten über 65 Jahre festzustellen ist (23). Derzeit wird die PRISCUS-Liste aktualisiert und soll demnächst unter www.priscus2-0.de veröffentlicht werden.

Zur Optimierung der Arzneimitteltherapie in Alten- und Pflegeheimen wurde im Rahmen der Aktionspläne AMTS unter anderem das AMTS-AMPEL-Projekt gefördert. Aus den Ergebnissen des Modellprojekts ist abzuleiten, dass gezielte multiprofessionelle Interventionen die Qualität der Medikation verbessern können und für Risiken im Medikationsprozess sensibilisieren (24;25). Den teilnehmenden Heimen wurde u. a. die so genannte „AMTS-Merkkarte“ als Arbeitshilfe zur Verfügung gestellt (Abbildung 6). Hierbei handelt es sich um eine Zusammenstellung wichtiger Informationen im Zusammenhang mit UAW bei älteren Patienten in Einrichtungen der Langzeitpflege. Den unterschiedlichen Abschnitten der Merkkarte können Hinweise auf mögliche arzneimittelinduzierte Symptome, über Arzneimittel mit hohem Nebenwirkungsrisiko, Empfehlungen bezüglich des besonderen Monitorings und die Erinnerung, die gesamte Medikation des Patienten einmal jährlich zu überprüfen, entnommen werden. Die Arbeitshilfe soll Ärzte, Apotheker, Angehörige der Pflegeberufe und ggf. pflegende Dritte gleichermaßen bei der Versorgung der Heimbewohner unterstützen. Auf einem Workshop, der im Rahmen des Aktionsplans AMTS 2016–2020 durchgeführt wurde, haben Experten die bisherigen Erkenntnisse aus AMTS-Projekten in Heimen diskutiert. Im Ergebnis wurde deutlich, dass die Verbesserung der AMTS in Heimen u. a. durch interprofessionelle Zusammenarbeit, effektive Kommunikation aller am Medikationsprozess Beteiligten und weiterer Forschung auf diesem Gebiet gefördert werden könnte. Mit den auf dem Workshop vorgestellten Projekten zum Thema „AMTS in Heimen“ konnte gezeigt werden, dass Kommunikationshilfen, wie die „AMTS-Merkkarte“, zur erfolgreichen Zusammenarbeit und zur sicheren Versorgung der Heimbewohner beitragen können. Die Bundesapothekerkammer hat die „AMTS-Merkkarte“ in ihren aktualisierten Empfehlungen zur Qualitätssicherung der „Versorgung der Bewohner von Heimen“ aufgenommen (26).

Abbildung 6: AMTS-Merkkarte als Arbeitshilfe des AMTS-AMPEL-Projektes (Quelle: https://www.amts-ampel.de/fileadmin/img/downloads/AMTS-Karte_final.pdf)


Schlussfolgerungen und weiterer Handlungsbedarf

Die vorstehende Betrachtung veranschaulicht: Die Aktionspläne mit den darin aufgeführten Maßnahmen zeigen vielfältige Ansätze zur Verbesserung der AMTS auf. Dies erfolgt im hochkomplexen Feld der Gesundheitsversorgung in Deutschland. Die Reichweite, Effekte und erfolgreiche Umsetzung von Maßnahmen der Aktionspläne AMTS können nur beispielhaft anhand der gewählten Themenbereiche und Praxisbeispiele beleuchtet werden. Insgesamt haben die Aktionspläne AMTS zahlreiche Lösungsansätze zur Verbesserung der AMTS hervorgebracht und können als wichtige Impulsgeber im Gesundheitswesen verstanden werden.

Die Gesundheitsversorgung der Patienten in Deutschland erfolgt in einem sich ständig weiterentwickelnden System mit unterschiedlichen Akteuren des Gesundheitswesens. Diese Dynamik spiegelt sich auch in den Aktionsplänen AMTS wider. Themenschwerpunkte verlagern sich und es wird erneuter bzw. zusätzlicher Handlungsbedarf in bestimmten Bereichen festgestellt. Besonders deutlich wird dies mit Blick auf die Digitalisierung im Gesundheitswesen. Spielten Lösungsansätze im Bereich der Gesundheits-IT zwar schon zu Beginn der Aktionspläne AMTS eine Rolle, erhält die Digitalisierung durch die Bestrebungen des BMG doch erst in den letzten Jahren einen erheblichen Schub. Die Bedeutung der AMTS in den von der Gematik entwickelten Anwendungen in der Gesundheitsversorgung und die damit verbundenen Herausforderungen bei der Einführung und Weiterentwicklung, sind nicht unerheblich. Die elektronische Patientenakte, der elektronische Medikationsplan und das elektronische Rezept müssen auch aus der AMTS-Perspektive evaluiert und weiterentwickelt werden. Der Medikationsprozess im ambulanten und stationären Sektor sowie in der sektorenübergreifenden Versorgung wird sich zudem an die digitalisierten Abläufe anpassen und es werden sich neue Anknüpfungspunkte der interprofessionellen Zusammenarbeit herausbilden. Patienten müssen sich im digitalisierten Gesundheitssystem zurechtfinden und in dieser Hinsicht in ihrer Gesundheitskompetenz gestärkt werden.

Der aufgezeigte Handlungsbedarf ist neben weiteren wichtigen Themen Gegenstand des Aktionsplans AMTS 2021–2024. Damit wird deutlich: Das Gesamtprojekt „Aktionsplan AMTS“ ist mehr denn je ein bedeutsames Instrument im Gesundheitswesen, um adäquat auf veränderte Bedingungen zu reagieren und gemeinsam mit allen Akteuren die Sicherheit der Arzneimitteltherapie und damit die Patientensicherheit zu verbessern.

Fazit für die Praxis

Aus den Aktionsplänen AMTS hervorgegangene AMTS-Werkzeuge tragen dazu bei, die Arzneimitteltherapie der Patienten in der Routineversorgung sicherer zu machen. Insbesondere die Ausstellung des Medikationsplans und die Berücksichtigung dieser Angaben bei der Verordnung von Arzneimitteln sowie bei der Information und Beratung der Patienten über ihre Arzneimitteltherapie ist für die Versorgung der Patienten mit Multimedikation essenziell, um die AMTS zu gewährleisten. Für besondere Patientengruppen wie Schwangere und Stillende, Kinder und Jugendliche sowie ältere Patienten bieten die Informationsplattformen „Embryotox.de“ und „Kinderformularium.de“ sowie die PRISCUS-Liste evidenzbasierte Grundlagen für die jeweilige Therapieentscheidung.

Interessenkonflikte

Ein Interessenkonflikt wird von den Autorinnen verneint.

Literatur
  1. Bundesministerium für Gesundheit: Aktionsplan des Bundesministeriums für Gesundheit zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit in Deutschland. www.akdae.de/AMTS/Aktionsplan/Aktionsplan-2021-2024/Aktionsplan-AMTS-2021-2024.pdf (letzter Zugriff 23. Juli 2021). Bonn, 4. Februar 2021.
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