Dapagliflozin (Forxiga®) (Herzinsuffizienz)

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 3/2021

(frühe Nutzenbewertung)

In Kürze

  • Dapagliflozin ist zugelassen zur Behandlung der symptomatischen, chronischen Herzinsuffizienz mit reduzierter Ejektionsfraktion bei erwachsenen Patienten.
  • Das IQWiG sah einen Anhaltspunkt für einen nicht quantifizierbaren Zusatznutzen.
  • Nach Einschätzung der AkdÄ bestand ein Anhaltspunkt für einen beträchtlichen Zusatznutzen bei Patienten mit Herzinsuffizienz der NYHA-Klasse II und ein Anhaltspunkt für einen geringen Zusatznutzen bei Patienten mit Herzinsuffizienz der NYHA-Klasse III/IV.
  • Der G-BA beschloss einen Anhaltspunkt für einen beträchtlichen Zusatznutzen.

Dapagliflozin ist ein Inhibitor des renalen Natrium(Sodium)-Glukose-Cotransporters-2 (SGLT-2). Bei Hyperglykämie bewirkt Dapagliflozin eine verstärkte renale Glukose-Ausscheidung und damit eine insulinunabhängige Blutzuckersenkung. Der Wirkmechanismus bei Herzinsuffizienz ist noch nicht vollständig geklärt. Neben der im Vordergrund stehenden diuretischen Wirkung werden auch Effekte auf den Myokardstoffwechsel, auf Ionenkanäle und Adipokine sowie auf eine Myokardfibrose diskutiert.

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) legte die folgende Fragestellung fest und definierte dazu die zweckmäßige Vergleichstherapie (ZVT):

Tabelle 1: zweckmäßige Vergleichstherapie (ZVT)


Vorgelegte Evidenz

Vom pharmazeutischen Unternehmer (pU) wurde die multizentrische, doppelblinde, randomisiert-kontrollierte Studie DAPA-HF (1) vorgelegt. Die Studie schloss 4744 Patienten mit symptomatischer Herzinsuffizienz und reduzierter (≤ 40 %) linksventrikulärer Ejektionsfraktion (LVEF) ein. Die Patienten wurden im Verhältnis 1:1 zur einmal täglichen Gabe von Dapagliflozin 10 mg oder Placebo randomisiert. Zusätzlich sah das Studienprotokoll in beiden Studienarmen eine individuell optimierte Standardtherapie der Herzinsuffizienz vor. Die mediane Behandlungsdauer betrug in beiden Armen 18 Monate.

Knapp ein Drittel der Patienten befand sich zu Studienbeginn im NYHA (New York Heart Association)-Stadium III, zwei Drittel im NYHA-Stadium II. Patienten im NYHA-Stadium IV machten nur 1 % der Studienpopulation aus. Weniger als die Hälfte (45 %) der Patienten wies einen Diabetes mellitus Typ 2 auf. Die Patientencharakteristika zwischen den Armen waren ausgeglichen und entsprechen insgesamt der deutschen Versorgungssituation. Nahezu alle Patienten erhielten zu Studienbeginn eine Kombinationstherapie aus einem ACE(Angiotensin Converting Enzyme)-Hemmer bzw. ARB (Angiotensinrezeptorblocker), einem Betablocker und Diuretika, 71 % zusätzlich einen MRA (Mineralokortikoidrezeptor-Antagonisten). Eine Medikation mit einem ARNI (Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitor) erfolgte zu Studienbeginn nur bei 11 % der Patienten. Die Therapie der Herzinsuffizienz wurde im Studienverlauf bei knapp der Hälfte der Patienten verändert. Dabei wurden im Verlauf geringfügig mehr Patienten mit ARNI behandelt als zu Studienbeginn (15 % im Dapagliflozin-Arm und 16 % im Placebo-Arm).

Der primäre kombinierte Endpunkt bestand aus einer „Verschlechterung der Herzinsuffizienz“ (notfallmäßige stationäre Aufnahme oder ambulante ärztliche Behandlung mit i.v. Therapie der Herzinsuffizienz) oder kardiovaskulärem Tod. Dapagliflozin senkte in der Gesamtpopulation signifikant die Mortalität (11,6 % vs. 13,9 %; relatives Risiko (RR) 0,83 (95 % Konfidenzintervall [CI] 0,71–0,97)) und die Rate an Hospitalisierungen aufgrund von Herzinsuffizienz (9,7 % vs. 13,4 %; RR 0,70 (95 % CI 0,59–0,83)). Es bestand eine signifikante Effektmodifikation der Mortalität durch den Schweregrad der Herzinsuffizienz nach NYHA-Stadium. Während bei Patienten im NYHA-Stadium II die Mortalität signifikant reduziert wurde (7,8 % vs. 12,0 %; RR 0,64 (95 % CI 0,51–0,80)), wurde bei Patienten in den NYHA-Stadien III/IV die Mortalität numerisch sogar gesteigert (19,7 % vs. 17,7 %; RR 1,12 (95 % CI 0,89–1,42)). Bezüglich der Rate an Hospitalisierungen stellte das NYHA-Stadium keinen Effektmodifikator dar.

Die vorliegenden Daten zeigen keine signifikante Zunahme von unerwünschten Ereignissen (UE) unter Dapagliflozin. Numerisch gehäuft traten Symptome eines Volumenmangels auf (7,5 % vs. 6,8 %) sowie sehr selten Fälle einer Ketoazidose (3/2373 = 0,1 %).

Dossierbewertung des IQWiG

Das IQWiG (2) sieht einen Anhaltspunkt für einen nicht quantifizierbaren Zusatznutzen von Dapagliflozin. Laut IQWiG bestehen Unsicherheiten insbesondere bezüglich der Anwendung von ARNI, der Therapieanpassungen im Studienverlauf und der Erfassung der UE:

  • Laut IQWiG ist die ZVT eingeschränkt umgesetzt, da lediglich ein geringer Anteil der Patienten ARNI erhielt. Bei ca. 8 % der Patienten lagen laut pU Kontraindikationen für die Gabe eines ARNI vor. Bei der Mehrzahl der Patienten (ca. 78 %) verweist der pU lediglich auf die bereits bestehende Behandlung der Patienten mit einem ACE-Hemmer oder ARB.
  • Es fehlen Angaben zur Dosierung der Begleitmedikation und einer gegebenenfalls vorgenommenen Modifikation im Studienverlauf.
  • In der Studie DAPA-HF wurden nicht alle UE systematisch erhoben. Nichtschwerwiegende UE wurden nur dann erhoben, wenn sie zum Therapieabbruch oder einer Dosisreduktion führten oder zu einer vom pU prädefinierten Auswahl von UE gehörten.

Stellungnahme der AkdÄ

Aus Sicht der AkdÄ (3) kann die Studie DAPA-HF nur dann zur Bewertung des Zusatznutzens herangezogen werden, wenn die Eskalation auf ARNI kein zwingender Bestandteil einer „optimierten Standardtherapie“ ist. Die Umstellung auf ARNI ist aufwendig, da sie engmaschige Blutdruck- und Laborkontrollen und eine hohe Compliance des Patienten erfordert. In der aktuellen Nationalen Versorgungsleitlinie (NVL) (4) werden ARNI nur mit abgeschwächtem Empfehlungsgrad als Eskalationstherapie empfohlen, „unter Berücksichtigung der Unsicherheiten bezüglich der Langzeitverträglichkeit und des Nebenwirkungsprofils“. Diese Sonderstellung in der Herzinsuffizienztherapie spiegelt sich auch in den vergleichsweise geringen Verordnungszahlen von ARNI wider.

Die AkdÄ bewertet den Zusatznutzen von Dapagliflozin gegenüber einer optimierten Basistherapie der Herzinsuffizienz, die entsprechend der NVL eine Kombination aus ACE-Hemmer/ARB mit Betablockern und MRA sowie eine suffiziente Therapie mit Diuretika beinhaltet. Unsicherheiten bezüglich der Umsetzung dieser Basistherapie in der Studie DAPA-HF ergeben sich dadurch, dass bei 14 % (Dapagliflozin) bzw. 15 % (Placebo) der Patienten die Gründe für die Nichtbehandlung mit einem MRA unzureichend beschrieben sind („andere Gründe“) und keine Angaben zu den Dosierungen der Medikation vorliegen. Zudem stimmt die AkdÄ dem IQWiG darin zu, dass die UE nicht vollständig beurteilt werden können. So wurden beispielsweise nichtschwere Genitalinfektionen in der Studie DAPA-HF nicht erfasst, obgleich sie in früheren Studien unter Dapagliflozin signifikant gehäuft auftraten. (5) Aufgrund dieser Einschränkungen liegt aus Sicht der AkdÄ lediglich ein Anhaltspunkt für einen Zusatznutzen vor.

Bei der Beurteilung des Ausmaßes des Zusatznutzens berücksichtigt die AkdÄ die signifikante Effektmodifikation der Mortalität durch den Schweregrad der Herzinsuffizienz nach NYHA-Klasse. Das Ausmaß des Zusatznutzens von Dapagliflozin bei Patienten mit NYHA-Klasse II wird als beträchtlich beurteilt, da bei diesen Patienten unter Dapagliflozin die Gesamtmortalität signifikant um 4,2 % reduziert war. Bei Patienten mit NYHA-Klasse III/IV zeigte sich dagegen ein numerisch gegenläufiger Effekt. Eine signifikante Wirkung auf patientenrelevante Endpunkte bestand bei Patienten im NYHA-Stadium III/IV lediglich bezüglich der Hospitalisierungsrate. Die AkdÄ schätzt deshalb das Ausmaß des Zusatznutzens von Dapagliflozin bei Patienten mit NYHA-Klasse III/IV nur als gering ein.

Beschluss des G-BA

Nach Einschätzung des G-BA (6) ist keine hinreichend klare Abgrenzung zwischen NYHA-Stadium II und NYHA-Stadium III möglich, um darauf basierend für die Nutzenbewertung eine Unterscheidung in verschiedene Patientenpopulationen vorzunehmen. Der G-BA stuft deshalb für die Gesamtpopulation das Ausmaß des Zusatznutzens von Dapagliflozin als beträchtlich ein. Die Effektmodifikation hinsichtlich des Schweregrades der Herzinsuffizienz schränkt jedoch aus Sicht des G-BA die Aussagekraft der Studienergebnisse ein. Weitere Einschränkungen ergeben sich durch das Fehlen einer systematischen Erhebung der UE und Unklarheiten bezüglich der optimalen Begleittherapie. Aufgrund dieser Unsicherheiten sieht der G-BA nur einen Anhaltspunkt für einen Zusatznutzen (Tabelle 1).

Tabelle 1: Ergebnisse der Nutzenbewertung von Dapagliflozin


 

Literatur
  1. McMurray JJV, Solomon SD, Inzucchi SE et al.: Dapagliflozin in patients with heart failure and reduced ejection fraction. N Engl J Med 2019; 381: 1995-2008.
  2. IQWiG Dossierbewertung: www.g-ba.de/downloads/92-975-4195/2020-12-01_Nutzenbewertung-IQWiG_Dapagliflozin_D-613.pdf.
  3. Stellungnahme der AkdÄ: www.akdae.de/Stellungnahmen/AMNOG/A-Z/Dapagliflozin/Dapagliflozin-IE1.pdf.
  4. Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF): Nationale Versorgungsleitlinie: Chronische Herzinsuffizienz – Langfassung: www.leitlinien.de/themen/herzinsuffizienz/3-auflage. Ärztliches Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ); AWMF-Register Nr. nvl-006, 3. Auflage, Version 2, 2019.
  5. Wiviott SD, Raz I, Bonaca MP et al.: Dapagliflozin and cardiovascular outcomes in type 2 diabetes. N Engl J Med 2019; 380: 347-357.
  6. G-BA: Tragende Gründe: www.g-ba.de/downloads/39-261-4846/2021-05-20_AM-RL-XII_Dapagliflozin_D-613.pdf.

Hinweise

„Neue Arzneimittel“ ist eine Information der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) zu neu zugelassenen Arzneimitteln oder zu neu zugelassenen Indikationen. Ziel ist es, den Ärzten zeitnah Informationen zu diesen Arzneimitteln zur Verfügung zu stellen, zunächst bei Markteinführung sowie nach der frühen Nutzenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) (§ 35a Absatz 1 SGB V). „Neue Arzneimittel“ bei Markteinführung enthält Informationen basierend auf dem Europäischen Öffentlichen Bewertungsbericht (EPAR) der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) sowie weiteren bei Markteinführung vorliegenden Daten aus klinischen Studien. Nach Abschluss der frühen Nutzenbewertung wird der Zusatznutzen des neuen Arzneimittels und seine therapeutische Bedeutung auf der Basis der Dossierbewertung des IQWiG, der Stellungnahme der AkdÄ und des Beschlusses des G-BA im Rahmen der frühen Nutzenbewertung dargestellt („Update – Neue Arzneimittel“).

vorab online

Dieser Artikel wurde am 24. Juni 2021 vorab online veröffentlicht.