Therapie der chronischen Hepatitis D

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 2/2024

Rubrik: Aus der Praxis – für die Praxis

Die Hepatitis-Delta-Virus (HDV)-Infektion ist eine virale Hepatitis, die als Koinfektion bei Hepatitis B auftritt. Sie hat den schwerwiegendsten Verlauf unter den chronischen Virushepatitiden und ist mit einem hohen Risiko für spätere Leberzirrhose und Leberkrebs assoziiert (1). Bulevirtid wurde bereits 2020 als Orphan Drug zur Therapie der Hepatitis D in der EU zugelassen (2). Die initiale Zulassung war eine bedingte Zulassung („conditional marketing approval“), da nur sehr wenige Daten vorlagen. 2023 wurde diese Zulassung in eine reguläre Zulassung überführt, nachdem weitere Daten aus den Zulassungsstudien eingereicht wurden (3).

Bulevirtid wird einmal täglich (alle 24 Stunden ± 4 Stunden) in einer Dosierung von 2 mg durch subkutane Injektion als Monotherapie oder in Kombination mit einem Nukleosid-/Nukleotidanalogon zur Behandlung der Hepatitis-B-Virus (HBV)-Grundinfektion verabreicht (4). Im öffentlichen Bewertungsbericht (EPAR) wird angegeben, die benötigte Therapiedauer sei ungewiss und es sollte so lange verabreicht werden, wie ein klinisches Ansprechen bei den Patientinnen und Patienten wahrscheinlich sei (2). Ziel der Therapie sollte die Eradikation von Hepatitis D und Hepatitis B sein. In den Zulassungsstudien wurde Bulevirtid zusammen mit Tenofovir (zur Behandlung der Hepatitis B) verwendet. Das Interaktionspotenzial von Bulevirtid ist hoch, es sollte unter anderem nicht zusammen mit Irbesatan, Ritonavir, Ezetimib und Ciclosporin verwendet werden, da diese dasselbe Ziel (Natriumtaurocholat-kotransportierendes Polypeptid, NTCP) hemmen können.

Wirksamkeit

Bulevirtid hemmt das NTCP. Das ist ein Gallensäuretransporter, der HBV und HDV als Eingangsrezeptor in die Zellen dient. In der Zulassungsstudie MYR202 wurden 56 von 118 Patienten mit chronischer Hepatitis-D-Infektion und anhaltender Virusreplikation, die mit Interferon vorbehandelt worden waren, eine Kontraindikation gegen Interferon hatten oder zirrhotisch waren, randomisiert und erhielten für 24 Wochen Bulevirtid 2 mg + Tenofovir (n = 28) oder Tenovofir allein (n = 28). In Woche 24 erreichten 21 % der Patienten unter Bulevirtid Tenofovir ein kombiniertes Ansprechen, das als HDV-RNA-Ansprechen (HDV-RNA-Negativierung oder einen Rückgang ≥ 2 log10 IE/ml) und eine normwertige Alanin-Aminotransferase (ALT) in Behandlungswoche 24 und Woche 48. 54 % erreichten eine nicht nachweisbare HDV-RNA (definiert als < Nachweisgrenze [limit of detection, LOD], wobei die Nachweisgrenze 14 IE/ml betrug) oder eine Verringerung um ≥ 2 log10 IE/ml. 43 % erreichten eine Normalisierung der ALT. In Woche 24 erreichten keine Patienten in der Tenofovirm-Monotherapie-Gruppe das kombinierte Ansprechen, 4 % erreichten eine nicht nachweisbare HDV-RNA oder eine Verringerung der HDV-RNA um ≥ 2 log10 IE/ml und 7 % erreichten eine Normalisierung der ALT (≤ 31 E/l bei Frauen und ≤ 41 E/l bei Männern) (5).

Als Alternative zu einer diskutierten subkutanen Dauertherapie wurde die Kombinationstherapie mit Peginterferon untersucht (6). 175 Patienten mit Hepatitis-D-Virämie, kompensierter Lebererkrankung (34 % mit Zirrhose) und einer erhöhten GPT wurden randomisiert einer Kombinationstherapie Bulevirtid 2 (n = 50) oder 10 mg tgl. s.c (n =50) für 96 Wochen jeweils in Kombination mit Peginterferon alfa-2a (wöchentlich 180 µg s.c. für die ersten 48 Wochen) oder einer Monotherapie mit 10 mg Bulevirtid (n = 50) über 96 Wochen zugeteilt. Eine Untergruppe von 24 Patienten erhielt eine Monotherapie mit Peginterferon alfa-2a für 48 Wochen.

48 Wochen nach Beendigung der Therapie war die HDV-RNA bei 26 % der Patienten, die mit 2 mg Bulevirtid/Peginterferon behandelt wurden, bei 46 % der mit 10 mg Bulevirtid/Peginterferon behandelten Patienten und bei 12 % der Patienten, die eine Monotherapie mit 10 mg Bulevirtid erhielten, nicht mehr nachweisbar. Aufgrund der geringen Fallzahl war dieser Unterschied zwischen 2 und 10 mg Bulevirtid nicht signifikant. Eine weitere Studie (5) legt allerdings nahe, dass mit 10 mg auch in Monotherapie höhere Ansprechraten zu erwarten sind. Der Wert des Interferons scheint dabei eher in einer höheren Ansprechrate als in einer Verhinderung von Rückfällen zu liegen. Die Patienten, die lediglich über 48 Wochen Peginterferon und dann eine Bulevirtid-Monotherapie erhielten, haben jedenfalls die gleichen Ansprechraten 48 Wochen nach Beendigung der Gesamttherapie behalten (6).

Untersuchungen, ob harte Endpunkte wie Entstehung einer Leberzirrhose und die Bildung von Leberzellkarzinomen beeinflusst werden, stehen noch aus.

Die Therapie mit 2 mg Bulevirtid täglich kostet 6102,20 € pro Monat und 74.243,43 Euro im Jahr (Quelle: Lauer-Taxe, Stand: 01.08.2024).

Interaktionspotenzial

In-vitro-Untersuchungen deuten auf verschiedene Interaktionen hin. Einerseits können Arzneimittel wie z. B. Sulfasalazin, Irbesartan, Ezetimib, Ritonavir und Ciclosporin A das Ziel von Bulevirtid, das NTCP, inhibieren. Die gleichzeitige Anwendung sollte nicht erfolgen. Bei NTCP-Substraten wie z. B. Estron-3-Sulfat, Fluvastatin, Atorvastatin, Pitavastatin, Pravastatin, Rosuvastatin und Schilddrüsenhormonen ist eine engmaschige klinische Überwachung angezeigt, wenn sie zusammen mit Bulevirtid angewendet werden müssen. Bulevirtid selbst inhibierte in vitro OATP1B1/3-Transporter bei einer Konzentration, die in vivo nur nach Anwendung hoher Bulevirtid-Dosen (10 mg) erreicht wird. Die klinische Relevanz ist unklar, aber bei gleichzeitiger Anwendung mit OATP1B1/3-Substraten (siehe Seitenrand) ist eine engmaschige klinische Überwachung angezeigt (4).

OATP1B1/3-Substrate sind z. B. Atorvastatin, Bosentan, Docetaxel, Fexofenadin, Glecaprevir, Glibenclamid, Grazoprevir, Nateglinid, Paclitaxel, Paritaprevir, Pitavastatin, Pravastatin, Repaglinid, Rosuvastatin, Simeprevir, Simvastatin, Olmesartan, Telmisartan, Valsartan, Voxilaprevir. Nach Möglichkeit ist die gleichzeitige Anwendung dieser Substrate mit Bulevirtid zu vermeiden.

Zwar wurde in vitro bei klinisch relevanten Konzentrationen keine CYP-Inhibition durch Bulevirtid beobachtet. In einer klinischen Studie wurde in Kombination mit hoch dosiertem Bulevirtid (10 mg) und Tenofovir aber ein Effekt auf die AUC von gleichzeitig angewendetem Midazolam festgestellt. Als Vorsichtsmaßnahme ist eine engmaschige klinische Überwachung für gleichzeitig angewendete Arzneimittel mit geringer therapeutischer Breite angezeigt, die empfindliche CYP3A4-Substrate sind wie z. B. Ciclosporin, Carbamazepin, Simvastatin, Sirolimus und Tacrolimus (4).

Sicherheit

Sehr häufige Nebenwirkungen in den Studien waren Erhöhung der Gallensalze, Kopfschmerzen, Pruritus und Reaktionen an der Injektionsstelle. Die Erhöhungen der Gallensalze waren in der Regel asymptomatisch und nach Absetzen der Behandlung reversibel. Trotzdem verbleibt der längerfristige Effekt dieser Nebenwirkung ungewiss, darauf wird im Risiko-Management-Plan zu Bulevirtid explizit hingewiesen (2). Bei mit Bulevirtid behandelten Patienten wurde zudem häufig Eosinophilie beobachtet (4).

Ein großes Risiko sind die Hepatitis-Exazerbationen nach Behandlungsende. Das Absetzen von Bulevirtid kann zu einer Reaktivierung von HDV- und HBV-Infektionen und zu einer Exazerbation der Hepatitis führen. Bei Abbruch der Behandlung sind daher die Leberfunktionstests (einschließlich der Transaminasenspiegel) sowie die HBV-DNA- und HDV-RNA-Viruslast sorgfältig zu überwachen (4).

Fazit

Mit Bulevirtid ist erstmals eine direkt gegen das Hepatitis-D-Virus gerichtete Therapie möglich. Die bestmögliche Therapiedauer, Dosierung oder Kombinationsbehandlung mit diesem teuren und interaktionsträchtigen Medikament sind trotz erteilter Zulassung unklar. Das Medikament führt in der zugelassenen Dosierung von 2 mg täglich s.c. in 12–20 % zum Verschwinden der HDV-RNA nach einer Therapiezeit über 48 und 96 Wochen. Die Rückfallquote ist hoch, nach Behandlungsende kann es zu Hepatitis-Exazerbationen kommen. Eine Behandlung ausschließlich in Zentren und innerhalb von Optimierungsstudien ist daher zu fordern.

Literatur

  1. Terrault N. Treatment of Hepatitis D - A Future Role for Combination Therapy. N Engl J Med 2024; 391(2):181–3. doi: 10.1056/NEJMe2406180.
  2. European Medicines Agency. European Public Assessment Report (EPAR): Hepcludex (Bulevirtide) – Assessment report; Amsterdam, 12.8.2020. Verfügbar unter: www.ema.europa.eu/en/documents/assessment-report/hepcludex-epar-public-assessment-report_en.pdf.
  3. European Medicines Agency. European Public Assessment Report (EPAR): Hepcludex (Bulevirtide) – Type II variation assessment report. Amsterdam, 25.7.2023. Verfügbar unter: www.ema.europa.eu/en/documents/variation-report/hepcludex-h-c-004854-ii-0019-epar-assessment-report-variation_en.pdf.
  4. Gilead Sciences GmbH. Fachinformation "Hepcludex® 2 mg Pulver zur Herstellung einer Injektionslösung"; Juli 2023.
  5. Wedemeyer H, Aleman S, Brunetto MR, Blank A, Andreone P, Bogomolov P et al. A Phase 3, Randomized Trial of Bulevirtide in Chronic Hepatitis D. N Engl J Med 2023; 389(1):22–32. doi: 10.1056/NEJMoa2213429.
  6. Asselah T, Chulanov V, Lampertico P, Wedemeyer H, Streinu-Cercel A, Pântea V et al. Bulevirtide Combined with Pegylated Interferon for Chronic Hepatitis D. N Engl J Med 2024; 391(2):133–43. doi: 10.1056/NEJMoa2314134.

Interessenkonflikte

Die Autoren geben an, keine Interessenkonflikte zu haben.