Osteoarthrose des Knies: Was tun bei Schmerzen trotz Therapiestandard?
Rubrik: Therapie aktuell
Behandlungsstandard der Osteoarthrose
Die Osteoarthose des Knies (Gonarthrose) bei erwachsenen Patientinnen und Patienten ist eine primär degenerative Gelenkerkrankung, die mit Schmerzen, Stabilitäts- und Belastbarkeitsverlust und (selten) Bewegungseinschränkung einhergeht und damit zu einem Funktionsverlust des Gelenks führt. Die Degeneration ist multifaktoriell bedingt und führt über Verlust des Gelenkknorpels zu knöchernen und synovialen Anpassungsreaktionen, in der Folge zur Schädigung der gelenkbildenden Strukturen. Die Erkrankung verläuft in der Regel chronisch progredient mit Entzündungsschüben („aktivierte Arthrose“), die sich sowohl mit Überwärmung und Schwellung des Kniegelenks als auch mit vermehrten Schmerzen klinisch präsentieren können. Nach solchen Schüben ist die Funktion wieder episodisch besser. Dies bedeutet, dass der Schmerz nur einen Teilbefund der Erkrankung darstellt.
Ein leitliniengerechter Behandlungsstandard der Gonarthrose berücksichtigt folgende Therapieaspekte: Patientenberatung und -aufklärung, Bewegungstherapie, physikalische und medikamentöse Therapie (einschließlich intraartikulärer Infiltrationen), orthopädietechnische Unterstützung und operative Behandlung (1).
Patientenberatung und -aufklärung
Wie bei allen Therapiemaßnahmen ist eine Information und Beratung von Patientinnen und Patienten ein wesentlicher Therapieaspekt, um sie zur Beteiligung und Übernahme von Verantwortung zu motivieren (2). Insbesondere das Wissen um den wechselhaften Entzündungsverlauf kann sich positiv auf das Schmerzempfinden auswirken. Ängste und Vermeidungsverhalten gilt es abzubauen, dagegen soll eigenverantwortliche Aktivität mit Förderung der Beinkraft, Ausdauer und Geschicklichkeit gefördert werden.
Bewegungstherapie
Regelmäßiges Kraft-, Ausdauer- und Beweglichkeitstraining führt nachweislich zu einer Besserung von Schmerzen und Funktion bei Gonarthrose (3). Reduktion von Übergewicht verlangsamt den Verlauf einer Arthrose nicht nur durch Lastverminderung, sondern auch metabolisch (4). Ein körperliches Trainingsprogramm mit professioneller wiederholter Anleitung erzielt zum Beispiel eine Verbesserung von Schmerzen, Funktion, Steifigkeit, Lebensqualität und Gesundheitsempfinden (5).
Physikalische Therapie
Kälte- und Wärmetherapie, Elektrotherapie und Ultraschalltherapien spielen im therapeutischen Alltag ebenfalls eine Rolle, obwohl die Wirksamkeit hinsichtlich einer Schmerzreduktion und Funktionsverbesserung bei Gonarthrose nicht ausreichend belegt ist.
Medikamentöse Therapie
Bezüglich der medikamentösen Therapie sind orale und topische nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR und Coxibe) aufgrund ihrer schmerzlindernden und entzündungshemmenden Wirkung die wichtigste Wirkstoffklassen bei Gonarthrose (6). Das Risiko-Nutzen-Verhältnis, insbesondere bei oraler Therapie mit einem erhöhten Risiko für systemische Nebenwirkungen, ist stets patientenindividuell einzuschätzen. Patientinnen und Patienten mit Arthrose verfügen oft über zusätzliche (z. B. kardiale) Komorbiditäten, auch muss die bestehende Hausmedikation hinsichtlich potenzieller Arzneimittelinteraktionen gründlich überprüft werden. Entzündungshemmende Medikamente sollen nur zeitlich begrenzt (etwa bis zu 14 Tagen) zur Hemmung einer Entzündungsepisode eingesetzt werden. Ein langfristiger Einsatz von Opioiden ist nicht sinnvoll und sollte nur als letzte Therapieoption zur Schmerzlinderung sowie bei nicht operationsfähigen Patientinnen und Patienten erwogen werden (7).
Intraartikuläre Infiltrationen
Intraartikulär applizierte Glukokortikoide kommen bei einer aktivierten Gonarthrose mit starkem Entzündungsschmerz mit Ergussbildung erfolgreich zum Einsatz. Diese haben allerdings bei wiederholter Applikation eine ebenfalls schädigende Wirkung auf den Gelenkknorpel (8). Weiterhin werden Hyaluronsäure-Infiltrationen seit mehreren Jahrzehnten eingesetzt, sind aber hinsichtlich Therapieerfolg sehr patientenindividuell, von erheblichen Placeboeffekten ist auszugehen (9).
Orthopädietechnische Unterstützung
Kniebandagen, Fußranderhöhungen und Sprunggelenksorthesen können durch ihre stabilisierenden, tonuserhöhenden (Bandagen) bzw. biomechanischen, achsenkorrigierenden (Randerhöhung und Sprunggelenksorthesen) Wirkungen ebenfalls zur Schmerzreduktion und Funktionsverbesserung beitragen (10). Gehhilfen dienen ausschließlich der vorübergehenden Entlastung und sind nicht langfristig zu empfehlen.
Akupunktur
Auch Akupunktur kann, zum Beispiel bei unzureichendem Therapieeffekt anderer Maßnahmen, bei Gonarthrose zu einer Schmerzlinderung führen (11). Wie bei Hyaluronsäure ist von Placeboeffekten auszugehen.
Operative Therapie
Arthroskopische Eingriffe spielen keine Rolle und sind im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht abrechnungsfähig. Abhängig vom Stadium der Gonarthrose und dem Leidensdruck der Patientin bzw. des Patienten kann eine Operation, meistens im Sinne eines Kniegelenkersatzes, erwogen werden, wenn durch die konservativen Therapiemaßnahmen keine zufriedenstellende Wiederherstellung der Funktion und Schmerzreduktion erreicht wird. Der Zeitpunkt der Operation muss, in Zusammenschau aller Faktoren, gemeinsam mit der Patientin bzw. dem Patienten erörtert werden (12). Eine Operationsindikation sollte erst bei fortgeschrittener Arthrose Grad III und IV nach Kellgren und Lawrence gestellt werden.
Kriterien für unterschiedliche Behandlungsentscheidungen
In der deutschen Versorgungspraxis wird auf der konservativen Therapieseite ein zu großer Fokus auf die medikamentöse Schmerztherapie sowie weiterer passiver Verfahren gelegt. Hinsichtlich einer medikamentösen Therapie ist eine Langzeitanwendung über mehrere Wochen in der Regel allerdings nicht sinnvoll, da Arzneimittelnebenwirkungen häufiger auftreten. Zahlreiche passive Verfahren (z. B. intraartikuläre Infiltrationen mit Hyaluronsäure oder Plattelet Rich Plasma (PRP), Elektro- und Ultraschalltherapie) haben bezüglich ihrer Wirksamkeit mangelhafte wissenschaftliche Evidenz und können beim Therapeuten aufgrund ihres Selbstkostenaspekts einen finanziellen Fehlanreiz auslösen. Häufig wird auch das Potenzial der aktivierenden Physiotherapie auf Seiten der Therapeuten und Patientinnen und Patienten nicht vollständig ausgenutzt, da die Übungen nicht ausdauernd und konsequent genug durchgeführt werden. Da der Arthroseprozess nicht gestoppt werden kann, bedarf es lebenslanger Adhärenz eigenverantwortlicher bewegungstherapeutischer Maßnahmen. Es ist seit Jahren bekannt, dass in Deutschland im Ländervergleich unverhältnismäßig viele Gelenkersatz-Operationen stattfinden. Eine höhere Inzidenz an Osteoarthrose in der deutschen Bevölkerung ist dagegen nicht belegt, sodass auch hier strukturbedingte finanzielle Fehlanreize im deutschen Gesundheitssystem diskutiert werden können.
Jede Behandlungsentscheidung muss im Einvernehmen mit der Patientin bzw. dem Patienten sowie nach sorgfältiger Risiko-Nutzen-Abwägung unter Berücksichtigung des individuellen Patientenwunsches, der Risikobereitschaft und der Behandlungserwartung der Patientin bzw. des Patienten getroffen werden. Die patientenindividuelle Risikokonstellation bzw. Komorbiditäten sind zu überprüfen. Nutzen, Risiken und Nebenwirkungen von Therapien sollen vor diesem Hintergrund erklärt und vor nutzlosen, überflüssigen und schädlichen Maßnahmen abgeraten werden. Solange keine Operationsindikation besteht, bedarf es motivierender Beziehungsgestaltung zwischen Arzt und Patientinnen und Patienten.
Literatur
- Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie. S2k-Leitlinie Gonarthrose. AWMF-Register-Nr. 187-050; Stand: 29.02.2024. Verfügbar unter: register.awmf.org/assets/guidelines/187-050l_S2k_Gonarthrose_2024-06.pdf.
- Sänger S, Lang B, Klemperer D, Thomeczek C, Dierks ML. Manual Patienteninformation. Empfehlungen zur Erstellung evidenzbasierter Patienteninformationen. Schriftenreihe ÄZQ; Berlin 2006. Verfügbar unter: www.aezq.de/medien/pdf/publikationen/schriftenreihe/schriftenreihe25.pdf.
- Kraus VB, Sprow K, Powell KE, Buchner D, Bloodgood B, Piercy K et al. Effects of Physical Activity in Knee and Hip Osteoarthritis: A Systematic Umbrella Review. Med Sci Sports Exerc 2019; 51(6):1324–39. doi: 10.1249/MSS.0000000000001944.
- Kulkarni K, Karssiens T, Kumar V, Pandit H. Obesity and osteoarthritis. Maturitas 2016; 89:22–8. doi: 10.1016/j.maturitas.2016.04.006.
- Hurley M, Dickson K, Hallett R, Grant R, Hauari H, Walsh N et al. Exercise interventions and patient beliefs for people with hip, knee or hip and knee osteoarthritis: a mixed methods review. Cochrane Database Syst Rev 2018; 4(4):CD010842. doi: 10.1002/14651858.CD010842.pub2.
- Lin J, Zhang W, Jones A, Doherty M. Efficacy of topical non-steroidal anti-inflammatory drugs in the treatment of osteoarthritis: meta-analysis of randomised controlled trials. BMJ 2004; 329(7461):324. doi: 10.1136/bmj.38159.639028.7C.
- Fuggle N, Curtis E, Shaw S, Spooner L, Bruyère O, Ntani G et al. Safety of Opioids in Osteoarthritis: Outcomes of a Systematic Review and Meta-Analysis. Drugs Aging 2019; 36(Suppl 1):129–43. doi: 10.1007/s40266-019-00666-9.
- Bellamy N, Campbell J, Robinson V, Gee T, Bourne R, Wells G. Intraarticular corticosteroid for treatment of osteoarthritis of the knee. Cochrane Database Syst Rev 2006; (2):CD005328. doi: 10.1002/14651858.CD005328.
- Bannuru RR, Natov NS, Dasi UR, Schmid CH, McAlindon TE. Therapeutic trajectory following intra-articular hyaluronic acid injection in knee osteoarthritis--meta-analysis. Osteoarthritis Cartilage 2011; 19(6):611–9. doi: 10.1016/j.joca.2010.09.014.
- Petersen W, Ellermann E, Rembitzki I V, Semsch H, Liebau C, Best R. Konservative Optionen zur Beeinflussung der Beinachse bei medialer Gonarthrose: Was bringen Einlagen und Orthesen? OUP 2015; 12: 620–6. doi: 10.3238/oup.2015.0620–0626.
- Corbett MS, Rice SJC, Madurasinghe V, Slack R, Fayter DA, Harden M et al. Acupuncture and other physical treatments for the relief of pain due to osteoarthritis of the knee: network meta-analysis. Osteoarthritis Cartilage 2013; 21(9):1290–8. doi: 10.1016/j.joca.2013.05.007.
- Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie. S2k-Leitlinie Indikation Knieendoprothese. AWMF-Register-Nr. 187-004; Stand: April 2023. Verfügbar unter: register.awmf.org/assets/guidelines/187-004l_S3_Indikation_Knieendoprothese_2023-06.pdf.
Interessenkonflikte
Der Autor gibt an, keine Interessenkonflikte zu haben.