Rhabdomyolysen unter einer Therapie mit Statinen

Seit 1989 wurden nacheinander die lipidsenkenden Mittel aus der

Substanzklasse der HMG-CoA-Reduktase-Hemmer bzw. Statine in Deutschland eingeführt

(Lovastatin, Simvastatin, Pravastatin, Fluvastatin, Atorvastatin, [Cerivastatin

bis 8. August 2001]). Die HMG-CoA-Reduktase ist das

geschwindigkeitsbestimmende Enzym der Cholesterinbiosynthese. Ihre Hemmung führt

zu einer Abnahme der intrazellulären Cholesterinkonzentration, wodurch die

Synthese von LDL-Rezeptoren stimuliert und die Aufnahme von LDL-Partikeln erhöht

wird. Dieser Mechanismus greift besonders in der Leber und bewirkt so eine

Reduktion der Cholesterinkonzentration im Plasma (1). 

Die Möglichkeit Statin-induzierter Myotoxizität ist schon bei der

Entwicklung der Substanzen erkannt und veröffentlicht worden. Erkenntnisse aus

den Zulassungsstudien führten in den jeweiligen Fachinformationen zu

Warnhinweisen auf die Möglichkeit des Auftretens von Myopathien, Rhabdomyolyse

und sekundärem akutem Nierenversagen und auf mögliche Interaktionen, unter

anderem mit dem Fibrat Gemfibrozil. Zu Cerivastatin wurden beispielsweise unter

dem Abschnitt "Nebenwirkungen" "erhöhte CPK-Werte" und

"Myalgie" als häufig (> 1 Prozent und < 10 Prozent),

bei den placebokontrollierten Studien als selten (> 0,1 Prozent und < 1,0

Prozent) aufgeführt. Eine Erhöhung der CPK um das 3fache innerhalb eines

Jahres wurde mit 1,78 Prozent und innerhalb von zwei Jahren mit 2,1 Prozent,

eine Erhöhung um das 10fache mit 0,26 Prozent angegeben.

Anfang Juni 2001 wurde die deutliche Zunahme von Berichten über

Rhabdomyolysen im Zusammenhang mit einer Therapie mit Cerivastatin (insgesamt 57 Beobachtungen

in 182 Berichten) im interdisziplinären Ausschuss "Unerwünschte

Arzneimittelwirkungen" der AkdÄ beraten. Eine vergleichende Auswertung mit

den zu den anderen Statinen vorliegenden Meldungen zeigte, dass Myalgien,

CPK-Erhöhungen und Muskelnekrosen, nicht aber akutes Nierenversagen,

statistisch signifikant häufiger nach Cerivastatin-Gabe berichtet worden waren

als nach anderen Statinen. Auch eine Korrelation der Berichtsfrequenz über

Rhabdomyolysen mit Angaben zur Verordnungshäufigkeit (defined daily doses; DDD)

(2) legte den Verdacht eines häufigeren Auftretens von Rhabdomyolysen unter

Cerivastatin nahe.

Vermutlich im Zusammenhang mit den Vorgängen um die Marktrücknahme von

Cerivastatin (Lipobay®, Zenas®) am 8. August 2001 stieg die Anzahl der

eingehenden Verdachtsfälle zu Rhabdomyolysen nach Statinen weiterhin an.

Insgesamt lagen mit Stand vom 10. September 2001 in der gemeinsamen

Datenbank der AkdÄ und des Bundesinstituts für Arzneimittel und

Medizinprodukte (BfArM) 19 Verdachtsfälle über Nebenwirkungen mit letalem

Ausgang im zeitlichen Zusammenhang mit einer Behandlung mit Statinen vor.

Hierbei wird unter den zehn zu Cerivastatin berichteten Kasuistiken bei vier

Patienten ein kausaler Zusammenhang als möglich eingestuft, ein möglicher

Zusammenhang wird ebenfalls bei drei mit Simvastatin und einem mit Atorvastatin

behandelten Patienten gesehen. Dies bedeutet, dass hierfür neben anderen Möglichkeiten

auch die Gabe des HMG-CoA-Reduktase-Hemmers ursächlich infrage kommt.

Entsprechend den Ergebnissen einer unpublizierten und nicht freigegebenen

Studie der Firma Bayer Vital sollen unter 3,5 Millionen erfassten Patienten

circa 133000 mit Statinen behandelt worden sein, wobei die Prävalenz von

Myopathien unter den einzelnen Statinen (Monotherapie) mit 0,2 bis 0,4 Prozent

jedoch nicht unterschiedlich häufig gewesen sei. Allerdings soll in der

Kombination mit Gemfibrozil Cerivastatin mit einigen Prozent signifikant häufiger

zu Myopathien geführt haben als die anderen Statine. Dies dürfte

mitentscheidend gewesen sein für die Marktrücknahme von Cerivastatin. Da die

Studie nicht allgemein zugänglich ist, steht sie einer öffentlichen,

umfassenden, methodenkritischen, wissenschaftlichen Diskussion bislang nicht zur

Verfügung.

Der Nutzen einer Therapie mit Statinen konnte in vier großen

placebokontrollierten Studien (4S-, WOSCOP-, CARE- und LIPID-Studie, die mit

Pravastatin bzw. Simvastatin durchgeführt wurden) nachgewiesen werden. In

diesen Studien wurden Gesamt-, kardiovaskuläre und koronare Mortalität, aber

auch Morbidität (zum Beispiel Herzinfarkte, Schlaganfälle) und therapeutische

Maßnahmen (zum Beispiel operative und invasive Revaskularisationsmaßnahmen)

signifikant reduziert. Nach den vorliegenden Daten müssen demnach etwa 400 Patienten

im Jahr behandelt werden, um ein Menschenleben zu retten. Damit besteht eine

positive Nutzen-Risiko-Relation für den Einsatz von Statinen. Im Falle einer

Verordnung sind Kontraindikationen und mögliche Interaktionen mit einer

eventuellen Komedikation sorgfältig zu bedenken und die Patienten insbesondere

dazu anzuhalten, beim Auftreten von Muskelschmerzen und Muskelschwäche unverzüglich

ihren Arzt aufzusuchen, um entsprechende diagnostische Maßnahmen einzuleiten

und beim Vorliegen deutlich erhöhter CPK-Spiegel oder eines Verdachtes auf

Myopathie das Statin abzusetzen.

Der Mechanismus Statin-induzierter Myotoxizität ist ebenso unklar wie der

Mechanismus eventueller Häufigkeitsunterschiede von Myotoxizität unter den

Vertretern der Substanzklasse. Demnächst ist eine qualitative und quantitative

Bewertung der Nebenwirkungen von Statinen vom Committee on Proprietary Medicinal

Products (CPMP) der EMEA zu erwarten, sodass mit entsprechenden weiteren

Informationen zur Arzneimittelsicherheit dieser Wirkstoffgruppe gerechnet werden

kann.

Bitte teilen Sie der AkdÄ auch weiterhin alle beobachteten Nebenwirkungen

(auch Verdachtsfälle) mit. Sie können dafür den in regelmäßigen Abständen

im Deutschen Ärzteblatt auf der vorletzten Umschlagseite abgedruckten

Berichtsbogen verwenden oder diesen unter der AkdÄ-Internetpräsenz

www.akdae.de abrufen.

Literatur

  1. AkdÄ, Empfehlungen zur Therapie von Fettstoffwechselstörungen, 2. Aufl., 1999.
  2. Arzneiverordnungs-Report 1991-2000.