Propofolinfusionssyndrom – Empfehlungen für eine erhöhte Sicherheit

Deutsches Ärzteblatt, Jg. 114, Heft 20, 19.05.2017

Deutsches Ärzteblatt, Jg. 114, Heft 20, 19.05.2017

Propofol ist ein Narkotikum, dessen wichtigste Eigenschaft die gute Steuerbarkeit mit schnellem Wirkungseintritt und kurzer Wirkdauer ist. Es gehört zu den am häufigsten eingesetzten Substanzen in der Anästhesie; außerdem wird es regelhaft bei Sedierungen für diagnostische Maßnahmen und auch zur Sedierung im intensivmedizinischen Bereich angewandt.

Die Zulassung schränkt den Gebrauch von Propofol ein: Zur Anästhesie und Sedierung für diagnostische Prozeduren ist Propofol 1 % bei Kindern > 1 Monat und Propofol 2 % bei Kindern > 3 Monate zugelassen. Zur Sedierung in der Intensivmedizin ist Propofol erst > 16 Jahre zugelassen, auch wenn es in der pädiatrischen Intensivmedizin weltweit entgegen den Vorgaben in der Fachinformation bis zu 24 Stunden mit einer streng limitierten Dosierung (< 4 mg/kg/h) angewandt wird (1–3). In den Fachinformationen aller Hersteller sind Kontraindikationen bzw. Warnhinweise zum Einsatz in dieser Altersgruppe formuliert. Zur intensivmedizinischen Sedierung von Erwachsenen ist es bis zu sieben Tage und nur in einer Dosierung < 4 mg/kg/h zugelassen. Wegen der erforderlichen besonderen Kenntnisse soll Propofol nur von anästhesiologisch bzw. intensivmedizinisch ausgebildeten Ärzten verabreicht werden.

Propofolinfusionssyndrom (PRIS)

Bereits 2004 hat die AkdÄ auf schwere Arzneimittelnebenwirkungen in Form des sogenannten Propofolinfusionssyndroms (PRIS) hingewiesen (4): Seitdem sind weitere Fälle von PRIS berichtet und publiziert worden (5), die ein Update zum PRIS und dem Einsatz von Propofol erfordern.

Die Symptome des PRIS wurden erstmalig durch Bray im Jahr 1998 beschrieben (6):

  • schwere metabolische Azidose,
  • Herzrhythmusstörungen/Herzversagen,
  • Rhabdomyolyse,
  • Nierenversagen und
  • Hypertriglyceridämie.

Bei den meisten berichteten PRIS-Fällen wurde Propofol in einer Dosis > 5 mg/kg/h und über einen Zeitraum von mehr als 48 Stunden eingesetzt, in Einzelfällen wurde ein PRIS auch schon nach kurzer Infusionsdauer mit moderaten Dosierungen (> 4 mg/kg/h) beschrieben.

Die Letalität bei den in der Literatur beschriebenen Fällen von PRIS ist hoch – im Mittel 51 %, im Laufe der Jahre aber fallend, was vermutlich der erhöhten Sensibilität gegenüber diesem Problem zuzuschreiben ist. Todesfälle traten insbesondere dann auf, wenn ein schweres Krankheitsbild, insbesondere Schädel-Hirn-Trauma und Polytrauma, vorlagen (2).

Initial wurde das PRIS vor allem bei Kindern nach langer und hoch dosierter Anwendung beschrieben. Inzwischen sind mehr Fälle bei Erwachsenen als bei Kindern publiziert; eine Dunkelziffer nicht gemeldeter Fälle kommt sicherlich hinzu.

Zur Pathophysiologie des PRIS gibt es zwei postulierte Mechanismen, die beide an den Mitochondrien lokalisiert sind:

  1. Blockade der Atmungskette: Neben zahlreichen Hinweisen auf Blockaden an einzelnen Komplexen der Atmungskette untersuchte jüngst eine Arbeit den blockierenden Einfluss von Propofol auf Coenzym Q, welches den Elektronentransport in der Atmungskette katalysiert (7).
  2. Transportstörung für Fettsäuren: Diese führt zu einer Anhäufung von Acylcarnitinen, was in mehreren Fallberichten dokumentiert wurde (8).

Experimentelle Daten lassen vermuten, dass die frühen dosisabhängigen Symptome vor allem durch die Inhibierung der Atmungskette und die späten Symptome nach längerer Infusion eher durch eine Inhibierung der Fettsäureoxidation verursacht werden (5).

Begünstigende Risikofaktoren für das Entstehen eines PRIS sind schwere Erkrankungen – Polytrauma, Schädel-Hirn-Trauma, Fieber, Katecholamin-Therapie, Mitochondriopathien – in Verbindung mit langer und/oder hoher Propofol-Dosierung (> 4 mg/kg/h und > 48 Stunden).

Eine zusätzliche Gefährdung entsteht aus rezidivierenden, zusätzlichen, oftmals unkontrollierten Bolusgaben, wodurch die Maximaldosierungen überschritten werden.

Bei Patienten mit Mitochondriopathie wie auch bei Kindern und bei einer ketogenen Diät kann eine unzureichende Glukosezufuhr die Entstehung eines PRIS begünstigen, da in einer solchen Stoffwechselsituation die Lipolyse gesteigert ist, was eventuell die Transportstörung von Fettsäuren verstärkt.

Pharmakokinetische und pharmakogenetische Faktoren erklären die Risiken bei längerer Propofol-Anwendung, die im Einzelfall zu höheren Propofol-Serumkonzentrationen als erwartet führen:

  • Propofol ist stark lipophil, besitzt eine hohe Proteinbindung (98 %), ein hohes scheinbares Verteilungsvolumen und eine terminale Elimination von bis zu sieben Stunden in der Eliminationsphase.
  • Bei der Metabolisierung von Propofol spielt Cytochrom P450 2B6 eine wichtige Rolle. Die Aktivität dieses Enzyms, und damit die Metabolisierung kann – genetisch bedingt – stark variieren.
  • Bei Kindern ist das Verteilungsvolumen bis zum Vorschulalter größer als bei Erwachsenen (9;10), weshalb initial eine höhere Dosierung erforderlich sein kann (2,5–4 mg, vgl. Fachinformationen). Da Kinder aber bei langdauernden Narkosen eine deutlich verlängerte kontextsensitive Halbwertszeit aufweisen, ist nach ca. einer Stunde eine deutliche Dosisreduktion erforderlich, bei Kindern < 3 Jahren auf ca. 2,5 mg/kg/h (11;12).

Propofol ist somit eine Substanz, die besonders bei der längerfristigen Sedierung und bei Anwendung bei schwerkranken Patienten nur mit Vorsicht und kontrolliert eingesetzt werden sollte und die ein engmaschiges Monitoring erfordert.

Empfehlung der AkdÄ zur Anwendung von Propofol

Folgende Vorsichtsmaßnahmen sollten ergriffen werden, um das Risiko eines Propofolinfusionssyndroms zu senken:

  • Kinder: Propofol ist zur Allgemeinanästhesie bei Kindern ab einem Monat zur Narkoseeinleitung und Narkoseaufrechterhaltung zugelassen. Kinder benötigen eine höhere Initialdosierung als Erwachsene, nach ca. einer Stunde ist aber eine deutliche Dosisreduktion erforderlich. Insbesondere nach längerer Nüchternheit sollte bei Kindern eine parallel laufende glukosehaltige Infusionslösung appliziert werden.
  • Sedierung in der Intensivmedizin: Propofol ist erst ab einem Alter > 16 Jahren zugelassen, mit einer Begrenzung der maximalen Dosierung auf 4 mg/kg/h und einer Anwendungsdauer von maximal sieben Tagen. Dabei ist darauf zu achten, dass durch zusätzliche Bolusgaben die Maximaldosierung nicht überschritten wird. Da die meisten PRIS-Fälle bei einer Anwendung > 48 Stunden auftraten, sollte nach 48 Stunden eine kritische Reevaluierung hinsichtlich der Indikation zur Propofol-Sedierung erfolgen und auf jeden Fall eine Dosisreduktion in Erwägung gezogen werden. Alternativen zur Propofol-Sedierungsbehandlung (Alpha-2-Rezeptor-Agonisten, z. B. Dexmedetomidin oder Clonidin, oder Benzodiazepine, z. B. Midazolam) sind zu bedenken.
  • Monitoring: Bei lang dauernden Narkosen sollten regelmäßig Blutgasanalysen und Bestimmungen des Laktatwertes erfolgen, obwohl ein PRIS während einer Narkose bisher nur in wenigen Einzelfällen dokumentiert worden ist. Bei Anwendung im intensivmedizinischen Bereich sollen täglich mehrfach Laktatbestimmung und mindestens einmal täglich eine Bestimmung der Kreatinkinase (CK) durchgeführt werden. Laktaterhöhungen, die anders nicht zu erklären sind (z. B. durch Hypovolämie, Low Cardiac Output, Sepsis etc.) sowie eine unerklärliche kardiale Dysfunktion und EKG-Veränderungen (z. B. Bradyarrhythmien, gewölbte ST-Streckenerhöhungen u. a.) können ein Hinweis auf ein PRIS sein und sollten zur Beendigung der Propofol-Zufuhr führen.
  • Bei Patienten mit Mitochondriopathie (Krankheitsgruppe mit häufiger Beteiligung von Muskeln und ZNS, die auf einer meist genetisch bedingten Funktionsstörung verschiedener Stoffwechselprozesse in den Mitochondrien, wie z. B. der Atmungskette, beruhen) oder mit ungeklärten Fettstoffwechselstörungen sollten Alternativen zur Sedierung mit Propofol erwogen werden.

Bitte teilen Sie der AkdÄ alle beobachteten Nebenwirkungen (auch Verdachtsfälle) mit. Sie können dafür den in regelmäßigen Abständen im Deutschen Ärzteblatt auf der vorletzten Umschlagseite abgedruckten Berichtsbogen verwenden oder diesen unter der AkdÄ-Internetpräsenz abrufen.


Literatur
  1. Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI), Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI): S3-Leitlinie Analgesie, Sedierung und Delirmanagement in der Intensivmedizin (DAS-Leitlinie 2015): http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/001-012l_S3_Analgesie_Sedierung_Delirmanagement_Intensivmedizin_2015-08_01.pdf AWMF-Register Nr. 001/012; Stand: August 2015.
  2. Kruessell MA, Udink ten Cate FE, Kraus AJ et al.: Use of propofol in pediatric intensive care units: a national survey in Germany. Pediatr Crit Care Med 2012; 13: e150–154.
  3. Koriyama H, Duff JP, Guerra GG et al.: Is propofol a friend or a foe of the pediatric intensivist? Description of propofol use in a PICU*. Pediatr Crit Care Med 2014; 15: e66–71.
  4. Arznei­mittel­kommission der deutschen Ärzteschaft: Schwere unerwünschte Arzneimittelwirkungen nach Propofol-Infusionen zur Sedierung. Dtsch Arztebl 2004; 101: A3447.
  5. Krajcova A, Waldauf P, Andel M, Duska F: Propofol infusion syndrome: a structured review of experimental studies and 153 published case reports. Critical care 2015; 19: 398.
  6. Bray RJ: Propofol infusion syndrome in children. Paediatr Anaesth 1998; 8: 491–499.
  7. Vanlander AV, Okun JG, de Jaeger A et al.: Possible pathogenic mechanism of propofol infusion syndrome involves coenzyme Q. Anesthesiology 2015; 122: 343–352.
  8. Wolf A, Weir P, Segar P et al.: Impaired fatty acid oxidation in propofol infusion syndrome. Lancet 2001; 357: 606–607.
  9. Morton NS: Intravenous inductions agents and total intravenous anaesthesia. In: Bingham R, Lloyd-Thomas AR, Sury MRJ (Hrsg.). Hatch and Sumner‘s Textbook of Paediatric Anaesthesia. 3. Aufl.; Boca Raton: Taylor & Francis Group, 2007; 169–184.
  10. Murat I, Billard V, Vernois J et al.: Pharmacokinetics of propofol after a single dose in children aged 1–3 years with minor burns. Comparison of three data analysis approaches. Anesthesiology 1996; 84: 526–532.
  11. McFarlan CS, Anderson BJ, Short TG: The use of propofol infusions in paediatric anaesthesia: a practical guide. Paediatr Anaesth 1999; 9: 209–216.
  12. Steur RJ, Perez RSGM, De Lange JJ: Dosage scheme for propofol in children under 3 years of age. Pediatr Anesth 2004; 14: 462–467.