Nokardiose bei Lymphopenie durch Fumaderm® (Aus der UAW-Datenbank)
Deutsches Ärzteblatt, Jg. 110, Heft 23-24, 10.06.2013
Deutsches Ärzteblatt, Jg. 110, Heft 23-24, 10.06.2013
Fumaderm® ist zugelassen zur Behandlung von mittelschweren bis schweren Formen der Psoriasis vulgaris, wenn eine alleinige äußerliche Therapie nicht ausreichend ist (1). Das Präparat enthält Dimethylfumarat sowie drei Salze von Ethylhydrogenfumarat. Dimethylfumarat wird als der eigentlich wirksame Bestandteil angesehen. Die verschiedenen immunmodulatorischen und antientzündlichen Effekte werden vermutlich vor allem über eine Erhöhung des intrazellulären reduzierten Glutathions und damit einer Störung des intrazellulären Redoxsystems vermittelt. Diese führt letztlich u. a. zur Hemmung der Produktion von proentzündlichen Zytokinen und Chemokinen sowie zur Hemmung der Reifung von dendritischen Zellen (2).
Fumaderm® ist in Deutschland das am häufigsten eingesetzte systemische Mittel gegen Psoriasis. Die Verordnungen nahmen in den letzten Jahren deutlich zu und lagen zuletzt bei 5,4 Mio. DDD (3).
Aufgrund der Ergebnisse von zwei placebokontrollierten randomisierten klinischen Studien (4, 5) wurde Dimethylfumarat (Tecfidera®) kürzlich von der Food and Drug Administration zur Behandlung der schubförmigen multiplen Sklerose (MS) bei erwachsenen Patienten zugelassen (6). Auch von der Europäischen Arzneimittelbehörde liegt für diese Indikation ein positives Votum vor, so dass die Zulassung in Europa ebenfalls in Kürze zu erwarten ist (7). Bei der Behandlung der Psoriasis beträgt die Tageshöchstdosis 720 mg Dimethylfumarat (entspricht sechs Tabletten Fumaderm®), bei der MS wird eine Erhaltungsdosis vom 480 mg Dimethylfumarat täglich empfohlen.
Der AkdÄ wurde der Fall eines 42-jährigen Patienten berichtet, der wegen einer Psoriasis seit etwa sechs Jahren Fumaderm® in einer Dosierung von bis zu sechs Tabletten pro Tag (empfohlene Höchstdosis) eingenommen hatte. Seit Mitte 2010 hatte er über etwa ein Jahr rezidivierend Pneumonien: Ab Ende Juli 2011 wurde er ambulant zunächst mit Amoxicillin und dann wegen fehlender Besserung mit Levofloxacin behandelt. Aufgrund von Fieberschüben und reduziertem Allgemeinzustand erfolgte Ende August 2011 die stationäre Aufnahme. Laborchemisch war das CRP deutlich erhöht (29,4 mg/dl), und es bestand eine Leukozytose von 14 200/µl. Im Differenzialblutbild zeigte sich eine ausgeprägte Lymphozytopenie mit 4,4 % Lymphozyten (Normwert 21,8 bis 53,1 %, entspricht absolut 630 Lymphozyten/µl) und CD4-positiven Lymphozyten von 24/µl (Normwert 435 bis 1600/µl). Eine HIV-Infektion wurde ausgeschlossen und die Behandlung mit Fumaderm® daraufhin abgesetzt. Radiologisch ließ sich ein pneumonisches Infiltrat bestätigen. Sonographisch zeigte sich ein präperitonealer Abszess der Bauchwand.
Die antibiotische Therapie wurde zunächst auf Moxifloxacin und Imipenem/Cilastatin umgestellt. Aus dem Abszess der Bauchwand konnten jedoch in der Kultur Nokardien nachgewiesen werden. Für die Suche nach weiteren Manifestationen der Nkcardieninfektion wurde eine MRT des Kopfes durchgeführt. Diese bildgebende Untersuchung zeigte zusätzlich einen Hirnabszess von 14 mm Durchmesser, der neurochirurgisch nicht behandlungsbedürftig war. Die antiinfektive Behandlung wurde daraufhin antibiogrammgerecht um Amikacin erweitert und später ambulant mit Cotrimoxazol über sechs Monate fortgeführt. Bei einer poststationären Wiedervorstellung Anfang Oktober 2011 ging es dem Patienten deutlich besser. Die Entzündungswerte waren normalisiert, und die Lymphozytenzahl stieg im Verlauf an. Während das pneumonische Infiltrat deutlich rückläufig war, stellte sich der Hirnabszess zu diesem Zeitpunkt im MRT noch unverändert dar. Die Psoriasis wurde lokal weiterbehandelt.
Nokardien sind ubiquitär im Erdboden und in organischem Material in der Umwelt auftretende aerob wachsende Actinomyceten (8). Sie können abhängig von der Eintrittspforte primäre Infektionen der Haut über direkten Kontakt mit Wunden hervorrufen oder systemische opportunistische Infektionen (Nokardiose). Von letzteren betroffen sind insbesondere Patienten mit gestörter zellulärer Immunität, wie z. B. bei einer Lymphomerkrankung, nach Organtransplantation, bei Behandlung mit Glukokortikosteroiden oder einer HIV-Infektion mit CD4-positiven Lymphozyten < 250/µl. Eine systemische Nokardiose manifestiert sich am häufigsten als Pneumonie mit typischerweise subakutem Verlauf über mehrere Wochen. Extrapulmonale Manifestationen äußern sich meist als Abszesse und treten am häufigsten im Gehirn auf, aber auch in der Haut, in den Nieren sowie in Muskeln und Knochen.
Im dargestellten Fall hat sehr wahrscheinlich die durch Fumaderm® verursachte schwere Lymphopenie dazu beigetragen, dass sich eine Nokardiose entwickeln konnte. Neben Flush und gast-rointestinalen Beschwerden (vor allem Durchfall) ist eine Lymphopenie die häufigste Nebenwirkung einer Behandlung mit Fumaderm®. Während eine leichte Lymphopenie bei etwa der Hälfte der Behandelten auftritt, wird die Häufigkeit von schweren Formen (< 500 Lymphozyten/µl) mit etwa 3 % angegeben (1). Die AkdÄ hatte 2007 über ein reversibles Kaposi-Sarkom unter Fumaderm®-assoziierter Lymphozytopenie berichtet (9). Das Kaposi-Sarkom ist eine angioproliferative Erkrankung, die in Verbindung mit einem Immundefekt und einer Infektion mit dem humanen Herpes-Virus Typ 8 (HHV-8) auftritt. Kürzlich wurden zwei Fälle von progessiver multifokaler Leukenzephalopathie (PML) bei Patienten berichtet, bei denen jeweils im Zusammenhang mit einer Fumarsäurebehandlung eine ausgeprägte Lymphozytopenie über einen längeren Zeitraum aufgetreten ist (10–12).
Während der Behandlung mit Fumarat-haltigen Präparaten müssen die Leukozytenzahl und das Differenzialblutbild regelmäßig kontrolliert werden: in den ersten drei Monaten 14-tägig, danach monatlich. Ob dies bei der langjährigen Behandlung im dargestellten Fall geschehen ist, geht aus den vorliegenden Unterlagen nicht hervor. Bei der erstmaligen Diagnose einer Pneumonie wäre eine Kontrolle des Blutbildes und gegebenenfalls das Absetzen von Fumaderm® indiziert gewesen.
Fumaderm® kann zu einer ausgeprägten Immunsuppression führen. So können unter Behandlung schwere Lymphopenien auftreten, die – wie im dargestellten Fall – auch opportunistische Infektionen mit schwerem Verlauf nach sich ziehen können. Daher sind auch bei Fehlen infektiöser Begleiterkrankungen regelmäßige Kontrollen von Leukozytenzahl und Differenzialblutbild erforderlich. Kommt es unter Behandlung zu einer schweren Lymphozytopenie (< 500 Lymphozyten/µl) oder zu einer potenziell bedrohlichen Infektionserkrankung, sollte Fumarsäure sofort abgesetzt werden. Dies muss sowohl in der Behandlung der Psoriasis als auch beim neuen Anwendungsgebiet multiple Sklerose beachtet werden.