Muskelfaszikulationen nach Statinen (Aus der UAW-Datenbank)

Statine (HMG-CoA-Reduktasehemmer) werden eingesetzt, um die Konzentration des Cholesterins im Serum zu senken.

Im Jahr 2004 wurden 1355 Mio. definierte Tagesdosen verschrieben, die eine tägliche Behandlung von 3,7 Mio. Patienten mit Standarddosen ermöglichen (1).

Statine werden von den meisten Patienten gut vertragen. Als selten bzw. sehr selten auftretende UAW wird in den Fachinformationen eine periphere Polyneuropathie erwähnt (zum Beispiel 2, 3), die klinisch meist über akrodistale Parästhesien der unteren Extremitäten bemerkt wird, sich möglicherweise aber auch anders manifestieren kann.

Im vorliegenden Fall kam es bei einem 65-jährigen Patienten nach 20 mg Simvastatin zu Muskelzuckungen aller Extremitäten. Sie hielten jeweils etwa eine Minute an und klangen nach Absetzen des Medikaments ab. Zwei bis drei Wochen nach dem Absetzen lagen keine Symptome mehr vor. Ein halbes Jahr später wurde die Gabe von 20 mg Atorvastatin versucht. Es kam wiederum zu Muskelzuckungen, die jetzt aber nach dem Absetzen nicht gänzlich remittierten und auch nach zwölf Monaten unter Stressbedingungen weiterhin aktiviert werden. Eine Vorderhornerkankung ("motor-neuron-disease") konnte nicht nachgewiesen werden.

Im deutschen Spontanmeldesystem (gemeinsame Datenbank von BfArM und AkdÄ, Stand: Mai 2006) sind 6.834 Verdachtsfälle unerwünschter Arzneimittelwirkungen nach Gabe von Statinen erfasst. Hierunter finden sich elf Meldungen (0,2 Prozent der Berichte) über "unwillkürliche Muskelkontraktionen", bei vier von ihnen wird auch über eine Neuropathie und/oder Parästhesien berichtet.

Verschiedene im Handel befindliche Statine werden in etwa gleich häufig als Auslöser genannt. Parästhesien werden in 75, Neuropathien in 62 Berichten gemeldet (1,1 Prozent bzw. 0,9 Prozent der Berichte).

Neu auftretende Faszikulationen können vermutlich eine beginnende Neuropathie anzeigen. Sie müssen aber gegen myotone Muskelkontraktionen, Myokymien oder das "rippling muscle syndrome" (durch Perkussion oder Druck induzierte rasche Muskelkontraktionen mit Bewegungseffekt) als mögliches Frühsymptom einer Myopathie abgegrenzt werden. Einzelne Berichte über Faszikulationen in Assoziation mit statininduzierter Neuropathie sind in der Literatur beschrieben, darunter auch ein Fall ähnlich dem vorliegenden Fall mit fehlender Remission (4).

Eine statininduzierte Polyneuropathie kann aber zum Beispiel auch durch schleichend einsetzende Muskelschwäche oder Parästhesien, wie akrodistales Taubheitsgefühl und Brenndysästhesien (5), gekennzeichnet sein.

Die Ursache der statinassoziierten Polyneuropathie ist unbekannt; ein Klasseneffekt, zum Beispiel über eine Synthesehemmung der Farnesylpyrophosphatase im Cholesterolstoffwechsel mit sekundärer Apoptosezunahme wird vermutet (6, 7). Die Latenz vom Beginn der Einnahme des Statins bis zum Auftreten von Symptomen variiert beträchtlich von Tagen bis zu mehreren Jahren. Nach dem Absetzen der Arzneimittel sind die Symptome meist innerhalb von Tagen bis Wochen reversibel. Es sind jedoch auch irreversible Verläufe beschrieben worden. Wiederansetzen eines Statins führt regelmäßig zum Wiederauftreten der Symptome (6), wobei der Einfluss der abbauenden Zytochrom-P-450-Isoenzyme (zum Beispiel CYP3A4, CYP2C9) auf die Manifestation nicht ausreichend untersucht scheint (8).

Es wurde geschätzt, dass möglicherweise bei ungefähr 14.000 Personen, die ein Jahr lang mit Statinen behandelt werden, mit einem zusätzlichen Fall einer Polyneuropathie gerechnet werden muss (9). Dieses geringe, vielleicht aber auch unterschätzte Risiko sollte vor dem Hintergrund der nachgewiesenen kardioprotektiven Wirkung der Substanzen gesehen werden. Aufmerksamkeit ist jedoch geboten, ggf. ist eine präzisierende neurologische Untersuchung erforderlich. Eine Gefahr ist auch darin zu sehen, dass bei einem statinbehandelten Diabetiker die Polyneuropathie automatisch dem Diabetes zugeschrieben wird und somit das auslösende Statin auch nicht abgesetzt wird.

Bitte teilen Sie der AkdÄ alle beobachteten Nebenwirkungen (auch Verdachtsfälle) mit. Sie können dafür den in regelmäßigen Abständen im Deutschen Ärzteblatt auf der vorletzten Umschlagseite abgedruckten Berichtsbogen verwenden oder diesen aus der AkdÄ-Internetpräsenz www.akdae.de abrufen.

Literatur
1. Klose G, Schwabe U: Lipidsenkende Mittel. In: Schwabe U, Paffrath D (Hrsg.): Arzneiverordnungs-Report 2005. Springer Medizin Verlag Heidelberg 2006; 698-715.


2. Heumann Pharma: Fachinformation "Pravastatin Heumann". Stand: März 2005.


3. Ratiopharm GmbH: Fachinformation "Simvastatin-ratiopharm®" Filmtabletten. Stand: Dezember 2004.


4. Phan T, McLeod JG, Pollard JD et al.: Peripheral neuropathy associated with simvastatin. J Neurol Neurosurg Psychiatry 1995; 58: 625-8.


5. Silverberg C: Atorvastatin-induced polyneuropathy. Ann Intern Med 2003; 139: 792-3.


6. Backes JM, Howard PA: Association of HMG-CoA reductase inhibitors with neuropathy. Ann Pharmacother 2003; 37: 274-8.


7. Peltier AC, Russell JW: Advances in understanding drug-induced neuropathies. Drug Saf 2006; 29: 23-30.


8. Guis S, Mattei JP, Liote F: Drug-induced and toxic myopathies. Best Pract Res Clin Rheumatol 2003; 17: 877-907.


9. Gaist D, Garcia Rodriguez LA, Huerta C et al.: Are users of lipid-lowering drugs at increased risk of peripheral neuropathy? Eur J Clin Pharmacol 2001; 56: 931-3.