Metaanalyse zum Risiko von gastrointestinalen Perforationen bei Tumorpatienten, die mit Bevacizumab (Avastin®) behandelt werden (Aus der UAW-Datenbank)

Deutsches Ärzteblatt, Jg. 107, Heft 6, 12.02.2010

Bevacizumab ist ein monoklonaler Antikörper, der durch Bindung an den Gefäßwachstumsfaktor VEGF (vascular endothelial growth factor) die Gefäßneubildung und somit das Tumorwachstum hemmt. Zugelassen ist Bevacizumab in Kombination mit einer Chemotherapie auf Fluoropyrimidin-Basis zur Behandlung von Patienten mit metastasiertem Kolon- oder Rektumkarzinom sowie jeweils in Kombination mit einer Chemotherapie beim metastasierten Mammakarzinom und fortgeschrittenen nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinom (außer bei Plattenepithelkarzinomen). Darüber hinaus ist es in Kombination mit Interferon alpha-2a zur Behandlung von Patienten mit fortgeschrittenem bzw. metastasiertem Nierenzellkarzinom zugelassen. Zu den schwerwiegenden unerwünschten Arzneimittelwirkungen von Bevacizumab zählen u. a. Störungen der Blutbildung, thromboembolische Ereignisse, Blutungen, Wundheilungsstörungen, Magen-Darm-Perforationen, reversibles posteriores Leukoenzephalopathie-Syndrom (RPLS) und kardiovaskuläre Reaktionen wie Hypertonie und Herzinsuffizienz (1). Auf das Risiko von gastrointestinalen Perforationen hat die AkdÄ anhand eines gemeldeten Falls bereits aufmerksam gemacht (2). Aktuell wurde eine Metaanalyse basierend auf einer systematischen Literaturauswertung (Zeitraum: 1966 bis Juli 2008) veröffentlicht, die das Risiko von gastrointestinalen Perforationen unter Bevacizumab näher untersucht hat (3).

Hapani et al. haben anhand der Daten von etwa 12.300 Patienten aus 17 randomisierten klinischen Studien mit verschiedenen Tumorerkrankungen eine Inzidenz von 0,9 % (95-%-Konfidenzintervall [CI] 0,7–1,2) für gastrointestinale Perforationen unter Behandlung mit Bevacizumab berechnet. Die Letalität der Ereignisse lag bei 21,7 % (CI 11,5–37,0). Das Risiko war für Patienten, die mit Bevacizumab behandelt wurden, signifikant höher als unter Behandlung mit herkömmlichen Zytostatika (relatives Risiko (RR) 2,14; 95-%-CI 1,19–3,85, p = 0,011). Dabei variierte das Risiko abhängig vom Tumortyp und der verabreichten Dosis von Bevacizumab. Am höchsten war es bei Patienten mit kolorektalen Karzinomen (RR 3,1; 95-%-CI 1,26–7,63) und mit Nierenzellkarzinomen (RR 5,67; 95-%-CI 0,66–48,42). Während das relative Risiko bei Behandlung mit einer Bevacizumab-Dosis von 2,5 mg/kg pro Woche bei 1,61 (95-%-CI 0,76–3,38) lag, stieg es bei einer Dosis von 5 mg/kg pro Woche auf 2,67 (95-%-CI 1,14–6,26).

In der Fachinformation von Avastin® wird auf Magen-Darm-Perforationen als häufige unerwünschte Arzneimittelwirkung (≥ 1 % < 10 %) hingewiesen (1). Die jetzt vorliegenden Daten ermöglichen den behandelnden Ärzten, das Risiko eines Patienten für eine gastrointestinale Perforation besser abzuschätzen und ihre Patienten entsprechend aufzuklären. Faktoren wie Divertikulitiden und Ulzerationen in der Vorgeschichte, Bestrahlung des Abdomens, kürzlich durchgeführte Endoskopien, Art des Tumors, Darmwandbeteiligung und abdominelle Metastasierung von Kolonkarzinomen sowie die applizierte Dosis von Bevacizumab sollten bei der Risikoabschätzung berücksichtigt werden (3).

In einer großen prospektiven Kohortenstudie zur Sicherheit und Wirksamkeit von Bevacizumab beim metastasierten Kolonkarzinom war außerdem ein Lebensalter über 65 Jahre ein weiterer Risikofaktor für das Auftreten gastrointestinaler Perforationen (4).

Es werden verschiedene Mechanismen für das erhöhte Risiko gastrointestinaler Perforationen unter Bevacizumab vermutet. Die Kombination von Bevacizumab mit anderen Chemotherapeutika kann zu Regression und Nekrose tumoröser Läsionen und zu Perforation führen. Darüber hinaus wird vermutet, dass ischämische Perforationen an Anastomosen oder normaler Darmwand verursacht werden können und die Wundheilung und Regeneration der Schleimhaut aufgrund der Bindung von Bevacizumab an VEGF aus Thrombozyten und perivaskulären Zellen gestört wird (3, 5, 6).

Die Autoren der Metaanalyse weisen darauf hin, dass in bestimmten Situationen die erneute Behandlung mit Bevacizumab bei Patienten nach einer Perforation gerechtfertigt sein könne (3). Voraussetzung hierfür sei, dass es ein klinisch sehr gutes Ansprechen auf die Therapie gegeben habe sowie eine konkrete Ursache der Perforation (z. B. ein Ulkus oder ein einzelnes Divertikel) vorgelegen habe und erfolgreich behandelt worden sei. Aufgrund der jetzt gezeigten Dosisabhängigkeit des Risikos von Perforationen könne dann in seltenen Fällen eine Fortführung in niedrigerer Dosierung (2,5 mg/kg/Woche) in Betracht gezogen werden.

Bitte teilen Sie der AkdÄ alle beobachteten Nebenwirkungen (auch Verdachtsfälle) mit. Sie können dafür den Berichtsbogen verwenden, der regelmäßig im Deutschen Ärzteblatt abgedruckt wird oder über die Homepage der AkdÄ abrufbar ist. Es besteht auch die Möglichkeit, über www.akdae.de direkt online einen UAW-Verdachtsfall zu melden.

Literatur

  1. Roche Registration Limited: Fachinformation "Avastin®". Stand: März 2009.
  2. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: "Aus der UAW-Datenbank": Darmperforation unter Bevacizumab. Dtsch Arztebl 2009; 106: A 152.
  3. Hapani S, Chu D, Wu S: Risk of gastrointestinal perforation in patients with cancer treated with bevacizumab: a meta-analysis. Lancet Oncol 2009.
  4. Kozloff M, Yood MU, Berlin J et al.: Clinical outcomes associated with bevacizumab-containing treatment of metastatic colorectal cancer: the BRiTE observational cohort study. Oncologist 2009; 14: 862–70.
  5. Giantonio BJ: Gastrointestinal perforation and cancer therapy: managing risk to achieve benefit. Onkologie 2005; 28: 177–8.
  6. Verheul HM, Pinedo HM: Possible molecular mechanisms involved in the toxicity of angiogenesis inhibition. Nat Rev Cancer 2007; 7: 475–85.