Medikamentös-toxische Kardiomyopathie mit kardiogenem Schock unter Quetiapin („Aus der UAW-Datenbank“)

Deutsches Ärzteblatt, Jg. 113, Heft 38, 23.09.2016

Deutsches Ärzteblatt, Jg. 113, Heft 38, 23.09.2016

Quetiapin: Indikation, Verordnungzahlen, Nebenwirkungen

Quetiapin gehört zu den Antipsychotika der zweiten Generation (second generation antipsychotics, SGA, früher: atypische Antipsychotika) und ist chemisch verwandt mit Clozapin und Olanzapin (trizyklische Antipsychotika). Es ist zugelassen zur Behandlung der Schizophrenie. Bei bipolaren Störungen ist Quetiapin außerdem indiziert zur Behandlung und Rückfallprävention von mäßigen bis schweren manischen oder schweren depressiven Episoden (1). Je nach Indikation liegt die empfohlene Tagesdosis zur Erhaltungstherapie bei 150 bis 800 mg. Quetiapin ist in Deutschland vor Olanzapin und Risperidon das mit Abstand am häufigsten verordnete Antipsychotikum (2).

Die häufigsten Nebenwirkungen von Quetiapin (≥ 10 %) sind Somnolenz, Schwindel, Kopfschmerzen, Mundtrockenheit, Gewichtszunahme, Erhöhung von Gesamtcholesterin (überwiegend LDL) und Triglyceriden im Serum, verringertes Hämoglobin und extrapyramidale Symptome. Beim Beenden einer Behandlung mit Quetiapin können Absetzsymptome auftreten. Als kardiovaskuläre Nebenwirkungen sind in der Fachinformation Brady- und Tachykardien aufgeführt sowie Palpitationen, QT-Verlängerung, orthostatische Hypotonie und venöse Thromboembolien. (1)

Fallbericht

Der AkdÄ wurde der Fall einer 39-jährigen Patientin berichtet (DE-DCGMA-165956), die unter Behandlung einer Psychose mit 800 mg Quetiapin pro Tag über vier Monate eine schwere Kardiomyopathie entwickelt hat. Bei der ansonsten physisch gesunden Patienten hatte sich vor Therapiebeginn echokardiographisch ein unauffälliger Befund mit guter Links- und Rechtsherzfunktion ergeben. Die Einnahme anderer potenziell kardiotoxischer Noxen ist nicht dokumentiert. Unter Behandlung mit Quetiapin hatte die Patientin dann über mehrere Wochen zunehmende Luftnot verspürt. Nachdem bei einer ambulanten Echokardiographie eine hochgradig eingeschränkte Pumpfunktion mit geringem Perikarderguss festgestellt wurde, erfolgte die stationäre Aufnahme. Im Krankenhaus zeigte sich ein manifester kardiogener Schock (Schockindex 1,5; NT-pro-BNP 14.834 ng/l). Eine kardiale MRT-Untersuchung ergab keine Hinweise auf eine zugrunde liegende inflammatorische Kardiomyopathie, eine „Noncompaction-Kardiomyopathie“ (NCCM; genetisch bedingte Gewebeanomalie des Myokards, die zu verschiedenen Funktionseinschränkungen führen kann) oder eine myokardiale Speichererkrankung. Mittels Koronarangiographie wurde eine stenosierende KHK ausgeschlossen. In den linksventrikulären Myokardbiopsien ergab sich kein Hinweis auf eine akute oder chronische Entzündungsreaktion oder eine Infektion mit kardiotropen Viren. Unter dem Verdacht auf eine durch Quetiapin induzierte medikamentös-toxische Kardiomyopathie wurde die antipsychotische Medikation auf Aripiprazol umgestellt. Neben einer medikamentösen Behandlung der Herzinsuffizienz wurde der Patientin eine Restriktion der Trinkmenge und körperliche Schonung verordnet. Zusätzlich wurde sie primär-prophylaktisch mit einer Defibrillator-Weste* versorgt.

Unter diesen Maßnahmen kam es klinisch und echokardiographisch zu einer Befundbesserung und das NT-pro-BNP als laborchemischer Verlaufsparameter der Herzinsuffizienz war rückläufig. Über einen Zeitraum von sechs Monate konnte die Herzinsuffizienzmedikation schrittweise ausgeschlichen werden. Echokardiographisch war eine Erholung der linksventrikulären Funktion zu verzeichnen, die zuletzt bei der inzwischen wieder asymptomatischen Patientin (NYHA I) mit einer Ejektionsfraktion von 57 % wieder normal war.

*Eine Defibrillator-Weste erkennt ventrikuläre Tachykardien und Kammerflimmern mit Hilfe von eingelassenen Elektroden. Im Alarmfall wird dann an den Defibrillatorelektroden Gel aus Kapseln freigesetzt und es erfolgt eine Schockabgabe, sofern der Patient den Vorgang nicht innerhalb eines bestimmten Zeitfensters abbricht.

Medikamentenassoziierte Kardiomyopathien

Unter Kardiomyopathien versteht man eine heterogene Gruppe von Erkrankungen des Herzmuskels, die mit Funktionsstörungen des Herzens einhergehen und zur Dilatation und/oder Hypertrophie der Herzkammern führen können (3). Die Ursachen von Kardiomyopathien sind vielfältig und häufig genetisch bedingt (4). Medikamenteninduzierte Kardiomyopathien sind vor allem im Zusammenhang mit Chemotherapeutika bekannt, wie den Anthrazyklinen, Cyclophosphamid, 5-Fluorouracil oder Paclitaxel. Auch neuere Krebsmedikamente sind davon betroffen, wie der HER2-Antikörper Trastuzumab oder verschiedene Proteinkinase-Inhibitoren (5). Im Zusammenhang mit Antipsychotika kommen kardiotoxische Reaktionen, z. B. unter Behandlung mit Clozapin vor, das mit Quetiapin strukturell verwandt. Unter Clozapin wird die Inzidenz einer früh auftretenden Myokarditis (≤ 2 Monate) mit < 0,1 bis 1,0 % angegeben, während später auftretende Kardiomyopathien (3 bis 12 Monate) etwa zehnmal seltener auftreten sollen (6).

Kardiomyopathien im Zusammenhang mit Quetiapin

In der Fachinformation von Quetiapin wird unter dem Punkt „Besondere Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung“ auf Berichte über Kardiomyopathien und Myokarditiden aus klinischen Studien und aus Erfahrungen nach Markteinführung hingewiesen. Ein kausaler Zusammenhang mit Quetiapin sei aber nicht belegt (1). In der Literatur sind einzelne Fallberichte von Kardiomyopathien im Zusammenhang mit Quetiapin publiziert (7–11), darunter zwei mit tödlichem Ausgang (8; 9). Die betroffenen Patienten waren zwischen 20 und 35 Jahren alt und nahmen zwischen 600 und 1 000 mg Quetiapin pro Tag ein. Wie im oben beschriebenen Fall wurden auch in den publizierten Fallberichten zum Teil Dosierungen eingesetzt, die über der in der Fachinformation empfohlenen Höchstdosis von 750 bis 800 mg liegen. Die Anwendung von hohen Dosierungen ist bei Quetiapin nicht selten. In dem Projekt „Arzneimittelsicherheit in der Psychiatrie“ (AMSP, amsp.de) lag die Tagesdosis bei 6,5 % von etwa 21 000 mit Quetiapin behandelten hospitalisierten Patienten bei über 800 mg pro Tag (persönliche Mitteilung, August 2016). In den publizierten Fallberichten traten die kardialen Nebenwirkungen in einem sehr variablen Zeitraum zwischen vier Monaten und vier Jahren nach Therapiebeginn auf. In der Datenbank des deutschen Spontanmeldesystems sind außer dem dargestellten Fall nur einzelne Verdachtsberichte von Kardiomyopathien im Zusammenhang mit Quetiapin erfasst. Aufgrund unzureichender Informationen ist aus unserer Sicht jedoch in keinem dieser Fälle eine fundierte Bewertung des Kausalzusammenhangs möglich.

Fazit

Ein gut dokumentierter Einzelfall, der an die AkdÄ berichtet wurde, sowie einzelne publizierte Fallberichte können ein Hinweis dafür sein, dass im Zusammenhang mit Quetiapin eine dilatative Kardiomyopathie mit eingeschränkter systolischer linksventrikulärer Funktion und den Zeichen einer schweren Herzinsuffizienz auftreten kann. Zieht man die relativ breite Anwendung in Betracht, kann man davon ausgehen, dass es sich um eine nur sehr selten auftretende Nebenwirkung handelt. Da eine Kardiomyopathie aber schwerwiegend und auch tödlich verlaufen kann, sollte man bei Symptomen einer Herzinsuffizienz unter Behandlung mit Quetiapin, wie z. B. Luftnot, eingeschränkte Belastbarkeit oder periphere Ödeme, auch diese Differenzialdiagnose frühzeitig in Betracht ziehen. Entsprechende Verdachtsfälle sollten der AkdÄ mitgeteilt werden. Sie können online über unsere Website www.akdae.de melden oder unseren Berichtsbogen verwenden, der regelmäßig im Deutschen Ärzteblatt abgedruckt wird.


Literatur
  1. AstraZeneca GmbH: Fachinformation „Seroquel® Filmtabletten“. Stand: September 2015.
  2. Schwabe U, Paffrath D (Hrsg.): Arzneiverordnungs-Report 2015. Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag, 2015.
  3. Maron BJ, Towbin JA, Thiene G et al.: Contemporary definitions and classification of the cardiomyopathies: an American Heart Association Scientific Statement from the Council on Clinical Cardiology, Heart Failure and Transplantation Committee; Quality of Care and Outcomes Research and Functional Genomics and Translational Biology Interdisciplinary Working Groups; and Council on Epidemiology and Prevention. Circulation 2006; 113: 1807–1816.
  4. Felker GM, Thompson RE, Hare JM et al.: Underlying causes and long-term survival in patients with initially unexplained cardiomyopathy. N Engl J Med 2000; 342: 1077–1084.
  5. Cross MJ, Berridge BR, Clements PJ et al.: Physiological, pharmacological and toxicological considerations of drug-induced structural cardiac injury. Br J Pharmacol 2015; 172: 957–974.
  6. Curto M, Girardi N, Lionetto L et al.: Systematic Review of Clozapine Cardiotoxicity. Curr Psychiatry Rep 2016; 18: 68.
  7. Myocarditis due to clozapine. Prescrire Int 2001; 10: 83.
  8. Bush A, Burgess C: Fatal cardiomyopathy due to quetiapine. N Z Med J 2008; 121: U2909.
  9. Coffey S, Williams M: Quetiapine-associated cardiomyopathy. N Z Med J 2011; 124: 105–107.
  10. Nymark TB, Hovland A, Bjornstad H, Nielsen EW: A young man with acute dilated cardiomyopathy associated with methylphenidate. Vasc Health Risk Manag 2008; 4: 477–479.
  11. Roesch-Ely D, Van ER, Kathofer S et al.: Myocarditis with quetiapine. Am J Psychiatry 2002; 159: 1607–1608.