Fulminante Myokarditis mit akuter kardialer Dekompensation nach Erstgabe von Adalimumab (Humira®) bei Colitis ulcerosa (Aus der UAW-Datenbank)
Deutsches Ärzteblatt, Jg. 113, Heft 14, 08.04.2016
Deutsches Ärzteblatt, Jg. 113, Heft 14, 08.04.2016
Adalimumab wurde 2003 in den Markt eingeführt und ist zugelassen für die Behandlung von verschiedenen Autoimmunerkrankungen. Hierzu zählen die rheumatoide Arthritis (RA), die juvenile idiopathische Arthritis, die ankylosierende Spondylarthritis (SPA), die Psoriasis (PS) und chronisch entzündliche Darmerkrankungen (1).
Adalimumab ist ein rekombinanter, voll humaner monoklonaler Antikörper. Es bindet spezifisch an Tumornekrosefaktor-alpha (TNF-alpha) und neutralisiert dessen biologische Funktion, indem die Interaktion mit den zellständigen p55- und p75-TNF-Rezeptoren blockiert wird. Darüber hinaus werden auch andere biologische Wirkungen von TNF beeinflusst, wie z. B. die Konzentration von Adhäsionsmolekülen, die für die Leukozytenmigration verantwortlich sind.
Adalimumab ist der am häufigsten eingesetzte TNF-alpha-Inhibitor und zeigte auch 2014 einen deutlichen Verordnungszuwachs gegenüber dem Vorjahr von knapp 11 % (2). Es steht an der Spitze der umsatzstärksten patentgeschützten Arzneimittel in Deutschland.
Der AkdÄ wurde der Fall eines 22 Jahre alten Patienten berichtet, der wegen eines akuten Schubes einer Colitis ulcerosa erstmalig Adalimumab erhielt und daraufhin eine fulminante Myokarditis mit biventrikulärer kardialer Dekompensation entwickelte.
Abbildung 1: Ausgeprägt lymphozytär dominierte fulminante Myokarditis ohne Virusnachweis.
Der Patient war bis auf die Kolitis zuvor immer gesund; hinsichtlich Alkohol und Drogenabusus war die Anamnese unauffällig. Seit 2012 war er wegen der Kolitis mit Mesalazin p.o. behandelt worden, zuletzt in einer Dosierung von 4,5 g täglich. Aktuell war es zu einem akuten Schub mit blutigen Durchfällen, Schmerzen und Gewichtsverlust gekommen. Er wurde daraufhin seit etwa fünf Wochen zusätzlich mit Prednisolon p.o. behandelt, zunächst mit 60 mg /Tag, dann reduziert auf 40 mg und erhielt einmalig 160 mg Adalimumab subkutan. Acht Tage nach der Erstgabe des TNF-alpha-Inhibitors erlitt der Patient im Badezimmer eine Synkope. Im EKG zeigten sich Hebungen in allen Ableitungen sowie erhöhte Serumwerte für die Kreatinkinase (CK) und Troponin. Eine koronare Herzkrankheit wurde koronarangiographisch ausgeschlossen, ebenso wie eine Lungenembolie mittels Computertomographie (CT). Echokardiographisch zeigte sich ein vergrößertes Herz mit deutlich eingeschränkter rechtsventrikulärer Funktion. Wegen zunehmender klinischer Verschlechterung wurde der Patient in die herzchirurgische Intensivstation verlegt. Die Ejektionsfraktion (EF) betrug 6 % (Normwert: 60 bis 70 %). Als Ursache zeigte sich in der Histologie des Myokards (siehe Abbildung 1) eine fulminante lymphozytär dominierte Myokarditis ohne Virusnachweis (untersucht wurden u. a.: Hepatitis A, B, C und E, HIV, Influenza A/B, Enteroviren, EBV, Mumps, Röteln, Parvovirus B19, Adenoviren). Aufgrund der progredienten Verschlechterung der Herzfunktion mit massiven Arrhythmien entschloss man sich zur Implantation eines veno-arteriellen Extracorporeal Life Support Systems (ECLS) und später zur passageren Implantation einer intraaortalen Ballonpumpe (IABP) über die Leiste. Hierdurch konnten ein ausreichendes Herzminutenvolumen und eine suffiziente Oxygenierung erreicht werden. Eine echokardiographische Kontrolle acht Tage später zeigte einen Anstieg der EF auf 20 %, jedoch auch eine weiter bestehende Rechtsherzinsuffizienz mit einer Trikuspidalinsuffizienz Grad II bis III. Zwei Entwöhnungsversuche vom ECLS mussten zunächst abgebrochen werden. Ein beginnendes Nierenversagen im Verlauf konnte konservativ beherrscht werden. Im weiteren Verlauf besserte sich die Herzfunktion schließlich und der Patient konnte mit einer EF von 39 % auf eine Normalstation verlegt werden. Eine kardiologische Rehabilitation wurde angeschlossen. Die Weiterbehandlung der Colitis ulcerosa erfolgte mit Prednisolon und Mesalazin.
Im dargestellten Fall erhielt der Patient wegen einer Steroid- und Mesalazin-resistenten Colitis ulcerosa eine hohe Induktionsdosis von 160 mg Adalimumab, die bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen empfohlen wird. Im Vergleich hierzu beträgt die Initialdosis für Erwachsene mit RA, SPA oder PS nur 40 mg. Acht Tage später musste der Patient wegen einer kardialen Dekompensation auf dem Boden einer fulminanten Myokarditis stationär aufgenommen werden. Maximale intensivmedizinische Maßnahmen waren erforderlich, um den Zustand des zuvor bis auf die Colitis ulcerosa gesunden Patienten zu stabilisieren. Als Ursache kommt neben einem toxischen Myokardschaden theoretisch auch eine fulminante virale Myokarditis im Zusammenhang mit Adalimumab und Prednisolon infrage. Für eine virale Genese ergaben die durchgeführten umfangreichen Untersuchungen jedoch keine Hinweise.
In der Fachinformation von Humira® wird eine dekompensierte Herzinsuffizienz als „gelegentliche“ Nebenwirkung aufgeführt („gelegentlich“ bedeutet, dass diese Reaktion bei einem von 100 bis 1 000 Patienten beobachtet wurde). Eine mäßige bis schwere Herzinsuffizienz (NYHA Klasse III/IV) stellt eine Kontraindikation für die Gabe von Adalimumab dar (1).
In der Literatur wird ein Zusammenhang zwischen TNF-alpha-Inhibitoren und dem Auftreten oder der Verschlechterung einer Herzinsuffizienz kontrovers diskutiert. Aufgrund von erhöhten Serumspiegeln von TNF bei Patienten mit fortgeschrittener Herzinsuffizienz war man zunächst von einer möglichen therapeutischen Wirksamkeit von TNF-alpha-Inhibitoren ausgegangen. Größere randomisierte Studien mit Etanercept und Infliximab ergaben jedoch eher Hinweise auf schädliche Wirkungen (3), die in der ATTACH-Studie zu Infliximab auch dosisabhängig waren (4). Die Anwendung dieser Wirkstoffe bei Patienten mit einer Indikation für TNF-alpha-Inhibitoren und gleichzeitig vorbestehender Herzinsuffizienz sollte daher eher vermieden werden oder ist bei höherem NYHA-Stadium (III, IV) kontraindiziert. Auch eine retrospektive Untersuchung von Krankendaten jüngerer Patienten mit RA oder M. Crohn ergab Hinweise auf ein möglicherweise gering erhöhtes Risiko für Herzinsuffizienz unter Behandlung mit TNF-alpha-Inhibitoren (5).
Die Auswertung von Daten aus dem deutschen Rheuma-Biologika-Register RABBIT zeigte ebenfalls ein erhöhtes Herzinsuffizienzrisiko bei RA-Patienten unter TNF-alpha-Inhibitoren, insbesondere wenn eine kardiovaskuläre Vorschädigung bekannt war. Das Herzinsuffizienzrisiko stieg bei hoher RA-Krankheitsaktivität weiter an, wobei dieser Anstieg durch die antiinflammatorische Wirkung der TNF-alpha-Inhibitoren günstig beeinflusst wurde (6). Eine mit dem Hersteller durchgeführte Auswertung von Daten aus klinischen Studien und Spontanmeldungen zu Adalimumab bei RA fand eine Rate neu aufgetretener Herzinsuffizienz von 0,3 % (7).
Ein publizierter Fallbericht einer jungen Frau mit M. Crohn zeigt auffällige Parallelen zur hier dargestellten Meldung an die AkdÄ (8): Etwa eine Woche nach Verabreichung einer Initialdosis von 160 mg Adalimumab kam es zur fulminanten toxischen Kardiomyopathie. Es war eine passagere Behandlung mit einer extrakorporalen Membranoxygenierung (ECMO) über sieben Tage erforderlich, bis sich die Herzfunktion wieder erholt hatte. Hinweise auf eine infektiöse Ursache der Myokarditis fanden sich nicht. Eine tödlich verlaufende schwere eosinophile Myokarditis wurde berichtet bei einer umfangreich vorbehandelten 51-jährigen Polychondritispatientin in zeitlichem Zusammenhang mit der Wiederaufnahme einer Adalimumab-Behandlung (9).
Der AkdÄ wurde der Fall eines 22 Jahre alten Patienten mit akutem Schub einer Colitis ulcerosa berichtet, der eine Woche nach Erstgabe von 160 mg Adalimumab eine fulminante lymphozytäre Myokarditis mit biventrikulärer kardialer Dekompensation entwickelt hat. Ein Fall mit auffällig ähnlicher Konstellation ist vor einigen Jahren publiziert worden (8). In der Fachinformation von Adalimumab wird „dekompensierte Herzinsuffizienz“ als gelegentlich auftretende Nebenwirkung aufgeführt. Untersuchungen zum Auftreten einer Herzinsuffizienz unter TNF-alpha-Inhibitoren zeigen jedoch keinen eindeutigen Zusammenhang. Der aktuell gemeldete und der publizierte Fall werfen die Frage auf, ob die bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen empfohlene hohe Initialdosis von Adalimumab mit einem erhöhten Risiko für kardiale Nebenwirkungen bei vorher Herzgesunden einhergeht. Fälle von akuter Herzinsuffizienz unter Behandlung mit TNF-alpha-Inhibitoren sollten der AkdÄ gemeldet werden, vor allem, wenn sie bei zuvor herzgesunden Patienten auftreten.