Demyelinisierende Erkrankungen des ZNS nach Impfung mit Gardasil® (UAW-News International)

Deutsches Ärzteblatt, Jg. 106, Heft 28-29, 13.07.2009

Gardasil® ist ein quadrivalenter Impfstoff gegen humane Papillomaviren

(HPV). Er enthält virusähnliche Partikel (virus-like

particles, VLP) der onkogenen HPV-Typen 16 und 18 sowie der

Typen 6 und 11, die für die Mehrzahl der genitalen Warzen verantwortlich

sind. Die Ständige Impfkommission am Robert

Koch-Institut (STIKO) hat 2007 die generelle Impfung gegen humane

Papillomaviren (Typen HPV 16, 18) für alle Mädchen im

Alter von 12 bis 17 Jahren empfohlen, um durch die Impfung

die Möglichkeit einer späteren Erkrankung mit Gebärmutterhalskrebs

(Zervixkarzinom) zu reduzieren. Die bisher vorliegenden

Daten, die die Wirksamkeit belegen sollen, sind jedoch im Hinblick

auf den Anteil in der weiblichen Bevölkerung, bei dem eine

therapeutische Wirksamkeit im Sinne der Verhütung eines Gebärmutterhalskrebses

zu erwarten ist, umstritten, und von einigen

Wissenschaftlern wurde eine Neubewertung der HPV-Impfung

gefordert (1). Im vergangenen Jahr hat die AkdÄ über den Fall einer

Armplexusneuritis nach Impfung mit Gardasil® berichtet (2);

aufgrund einer aktuellen Publikation soll auf demyelinisierende

Erkrankungen im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung

aufmerksam gemacht werden.

Sutton et al. (Mult Scler 2009; 15: 116–9) berichten über fünf

Fälle entzündlicher Erkrankungen des ZNS, die innerhalb von

28 Tagen nach Impfung mit Gardasil® aufgetreten sind und aufgrund

der atypischen beziehungsweise multifokalen Manifestationen

auffällig waren (3). Die Patientinnen waren zwischen 16

und 26 Jahre alt, und die Symptome traten ein bis 21 Tage nach

der zweiten (n = 3) oder dritten (n = 2) Impfdosis auf. Drei Patientinnen

hatten bereits zuvor erstmals klinische Symptome einer

demyelinisierenden Erkrankung im Sinne eines sogenannten klinisch-

isolierten Syndroms (KIS), sodass bei der jetzigen neuerlichen

Symptomatik eine multiple Sklerose (MS) diagnostiziert

wurde. Die beiden anderen Patientinnen zeigten nach Impfung

erstmalig neurologische Symptome, eine hat inzwischen eine

MS entwickelt. Drei der Patientinnen wiesen bei der Vorstellung

eine Monosymptomatik (Pseudoathetose des rechten Arms,

Kopfschmerzen mit nachfolgender inkompletter transverser Myelitis,

akute Hemiparese) auf, zwei hatten multifokale Symptome

(inkomplette thorakale Myelitis mit nachfolgender Optikusneurits

links, inkomplette thorakale transverse Myelitis gefolgt von

einem Hirnstammsyndrom). Bei allen bildete sich die Symptomatik

zurück, einmal spontan und viermal nach intravenöser

Gabe von Methylprednisolon.

Impfungen wurden mit einer Reihe entzündlicher Erkrankungen

des Nervensystems in Zusammenhang gebracht, hierzu

zählen die akute disseminierte Enzephalomyelitis (ADEM),

Armplexusneuritis und das Guillain-Barré-Syndrom. Das Risiko

schwerwiegender neurologischer Erkrankungen wird mit 0,1 bis

0,2 Fällen pro eine Mio. Impfungen insgesamt jedoch als extrem

gering eingeschätzt (4). Der Zusammenhang zwischen Impfungen

und dem Auftreten einer MS wurde bislang vor allem für Tetanus

und Hepatitis B untersucht, ein kausaler Zusammenhang

wurde dabei nicht bestätigt (5). Generell können Impfungen genau

wie Infektionen die fehlgeleitete Immunreaktion im Rahmen

einer MS triggern, sodass eine Auslösung von Schüben möglich

ist (6). Den chronisch entzündlichen Charakter der MS kann dies

jedoch allein nicht erklären. Die MS wird als Autoimmunerkrankung

angesehen, bei der das Zusammenspiel genetischer und umweltbedingter

Suszeptibilitätsfaktoren zusammen mit Fehlregulationen

der Immuntoleranz zur Initiierung und Chronifizierung der

Erkrankung beitragen. Immunpathologisch würden Impfungen

von daher eher als "Triggerfaktoren" betrachtet werden, jedoch

nicht im eigentlichen Sinne kausal als krankheitsauslösend beziehungsweise

-perpetuierend.

In der deutschen Datenbank zu Verdachtsfällen von Impfkomplikationen

und Impfnebenwirkungen des Paul-Ehrlich-Instituts

(PEI) sind zehn Fälle von MS im zeitlichen Zusammenhang mit

einer HPV-Impfung erfasst, davon neun nach Gardasil® und einer

nach Cervarix® (Stand Mai 2009). In fünf Fällen wurde der Kausalzusammenhang

als "unwahrscheinlich" eingestuft, viermal als

"nicht beurteilbar" und in einem Fall werden noch zusätzliche Informationen

erwartet. Ein statistisches Verfahren zur Beurteilung,

ob die Kombination aus einem Impfstoff und einer unerwünschten

Wirkung überzufällig häufig in einer Datenbank erfasst ist

(Proportional Reporting Ratio, PRR), zeigt für HPV-Impfung und

MS derzeit keinen signifikant erhöhten Wert.

Die Autoren des oben zusammengefassten Artikels weisen darauf

hin, dass es Anzeichen für ein erhöhtes Risiko für das Auslösen

von Rezidiven einer MS durch Virusinfektionen gebe. Im

Hinblick auf Impfstoffe könne das Risiko in Abhängigkeit vom

Immunogen variieren. Die virusähnlichen Partikel in HPV-Impfstoffen

binden an dendritische Zellen und induzieren einen Reifungsprozess

mit Produktion von IL-12, TNFa und IL-6, die mit

entzündlichen Reaktionen des ZNS wie Demyelinisierungen und

axonalen Schäden in Zusammenhang stehen können (7). Sie empfehlen

eine Fall-Kontroll-Studie bei Patienten mit bestehender

MS, um die Folgen einer HPV-Impfung auf den Verlauf der Erkrankung

besser zu untersuchen.

Bitte teilen Sie der AkdÄ alle beobachteten Nebenwirkungen (auch Verdachtsfälle) mit. Sie können dafür den Berichtsbogen verwenden, der regelmäßig im Deutschen Ärzteblatt abgedruckt wird oder aus der AkdÄ-Internetpräsenz abrufbar ist. Über www.akdae.de besteht auch die Möglichkeit, einen UAW-Verdachtsfall online zu melden.

Literatur

  1. Gerhardus A, Dören M, Gerlach FM et al.: Gebärmutterhalskrebs: Wie wirksam ist die HPV-Impfung? Dtsch Arztebl 2009; 106: A 330–4.
  2. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: Armplexusneuritis im Zusammenhang mit Gardasil®. AkdÄ Drug Safety Mail 2008-039 vom 03. November 2008.
  3. Sutton I, Lahoria R, Tan I et al.: CNS demyelination and quadrivalent HPV vaccination. Mult Scler 2009; 15: 116–9.
  4. Nakayama T, Onoda K: Vaccine adverse events reported in post-marketing study of the Kitasato Institute from 1994 to 2004. Vaccine 2007; 25: 570–6.
  5. Paul-Ehrlich-Institut: Multiple Sklerose und Impfungen: www.pei.de. Sicherheitsinformation vom 09. Januar 2008.
  6. Sibley WA, Bamford CR, Clark K: Clinical viral infections and multiple sclerosis. Lancet 1985; 1: 1313–5.
  7. Lenz P, Day PM, Pang YY et al.: Papillomavirus-like particles induce acute activation of dendritic cells. J Immunol 2001; 166: 5346–55.