Methodisches Vorgehen

Arbeitsgruppe

Der Leitfaden wurde durch eine interdisziplinär zusammengesetzte Arbeitsgruppe erstellt (siehe Anhang B). Verschiedene Perspektiven aus der Allgemeinmedizin, Inneren Medizin und Pharmakologie wurden berücksichtigt. Die methodische Begleitung erfolgte durch die Geschäftsstelle.

Alle Mitglieder der Arbeitsgruppe haben eine schriftliche Erklärung zu ihren Interessenkonflikten abgegeben. Im Zusammenhang mit der Erstellung des Leitfadens Fettstoffwechselstörungen liegen bei den beteiligten Mitgliedern keine Interessenkonflikte im Bereich „bezahlte Gutachter-, Berater-, und Vortragstätigkeit“ oder „Geschäftsanteile und Aktien“ vor. Eine tabellarische Zusammenfassung der Interessenkonflikte findet sich im Anhang B.

Fragestellung

Konkrete klinische Entscheidungssituationen lassen sich mit Hilfe sogenannter PICO-Fragen charakterisieren: Wird bei einer bestimmten Patientengruppe (Population) durch ein lipidsenkendes Medikament (Intervention) – eher als durch Therapieverzicht bzw. eine alternative Therapie (Comparator) – ein Behandlungsziel (Outcome) erreicht? Die Arbeitsgruppe entwarf zunächst 30 PICO-Fragen zu Fettstoffwechselstörungen, von denen im E-Mail-Umlaufverfahren zehn PICO-Fragen für den aktuellen Leitfaden ausgewählt wurden. Jedes Mitglied der Arbeitsgruppe konnte dabei für den prioritären Einschluss von zehn PICO-Fragen stimmen (siehe Anhang A).

Population

Der Leitfaden untersucht Nutzen und Risiko der medikamentösen Cholesterinsenkung bei Patienten mit heterozygoter familiärer oder nichtfamiliärer Hypercholesterinämie sowie gemischten Dyslipidämien. Die seltene und klinisch schwer verlaufende Form der homozygoten Hypercholesterinämie ist ausgenommen (siehe hierfür (1)).

Bei therapeutischen Maßnahmen wird üblicherweise zwischen Primär- und Sekundärprävention unterschieden. Die Primärprävention zielt auf den Erhalt der Gesundheit, während die Sekundärprävention das Fortschreiten einer Erkrankung zu verhindern sucht. Entsprechend beziehen sich die PICO-Fragen des Leitfadens auf zwei große Patientengruppen: erstens Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren ohne manifeste atherosklerotische kardiovaskuläre Erkrankungen (ASCVD) und zweitens Patienten mit manifester ASCVD. Die medikamentöse Cholesterinsenkung soll bei Patienten mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko das erstmalige Auftreten kardiovaskulärer Ereignisse vermeiden (Primärprävention) und bei Patienten mit manifester ASCVD Rezidivereignissen vorbeugen (Sekundärprävention).

Bei Patienten mit manifester ASCVD bestehen 1. morphologisch oder funktionell nachgewiesene Stenosen (z. B. mittels Koronarangiographie oder Myokardszintigraphie) 2. chronische oder akut aufgetretene, Ischämie-typische Symptome (z. B. Schmerz, Funktionseinschränkung) und 3. ein klinisch plausibler Zusammenhang zwischen Stenosierung und Symptomatik. Hierzu gehören Patienten mit KHK und pAVK sowie Patienten nach ischämischem Schlaganfall oder TIA. Das Risiko dieser Patienten für ein kardiovaskuläres Ereignis (kardiovaskulär bedingter Tod, Myokardinfarkt, Schlaganfall oder nicht geplante kardiovaskuläre Intervention) wird in allen Leitlinien übereinstimmend als sehr hoch eingeschätzt (2-6). In den einleitenden Texten des Leitfadens wird aus Gründen der Lesbarkeit statt der spezifischen Bezeichnung „ASCVD“ der allgemeinere Begriff der „kardiovaskulären Erkrankung“ benutzt. Im Rahmen dieses Leitfadens sind damit nur Patienten mit atherosklerotischen kardiovaskulären Erkrankungen gemeint, zu denen beispielsweise Patienten mit nichtischämischer Herzinsuffizienz nicht hinzuzählen.

Die Gruppe der Patienten mit kardiovaskulärem Risiko ist heterogen und schließt Patienten mit sehr unterschiedlichem Ausgangsrisiko für kardiovaskuläre Ereignisse ein. Im Leitfaden wird ausführlich erläutert, welche Definition des kardiovaskulären Risikos in den Studien zugrunde gelegt wird, d. h. welche Patienten ein- bzw. ausgeschlossen werden. Dabei wird explizit auf die Untergruppe von Patienten mit Diabetes mellitus eingegangen. Eine gesonderte Diskussion von Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz ist für eine Folgeauflage geplant.

Zu den Patienten mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko gehören auch Patienten mit morphologisch nachgewiesener Atherosklerose, die asymptomatisch sind oder bei denen ein Zusammenhang zwischen den atherosklerotischen Gefäßveränderungen und ihrer Symptomatik nicht plausibel ist (beispielsweise Patienten mit atypischen Brustschmerzen, kardialen Stenosen < 50 % und fehlendem Nachweis einer Ischämie). Da atherosklerotische Veränderungen Teil des natürlichen Alterungsprozesses sind, können morphologisch nachgewiesene Veränderungen nicht per se als krankhaft betrachtet werden, sondern stellen vielmehr einen Risikofaktor für die Entwicklung einer kardiovaskulären Erkrankung dar.

In der Versorgung wird eine rein morphologische Atherosklerose überwiegend als Zufallsbefund detektiert, da bei asymptomatischen Patienten kein generelles Screening auf atherosklerotische Gefäßveränderungen erfolgt. Trotz hoher Forschungsaktivität ist aktuell ungeklärt, welche morphologischen Veränderungen (z. B. Low-Attenuation-Plaque-Burden, koronarer Kalk-Score, Cap-Dicke) unabhängige Prädiktoren für das kardiovaskuläre Risiko sind, die für sich allein schon eine Behandlungsindikation darstellen (7;8). Im Rahmen des Leitfadens wird geprüft, ob in den eingeschlossenen Studien Subgruppenanalysen zu Patienten mit asymptomatischen Plaques durchgeführt wurden.

Intervention/Komparator

Der Leitfaden untersucht folgende Lipidsenker: Statine, Cholesterinresorptionshemmer (Ezetimib), PCSK9-Hemmer (Alirocumab, Evolocumab) und ACL-Hemmer (Bempedoinsäure). Für Ezetimib, Evolocumab und Bempedoinsäure empfiehlt die Fachinformation eine feste Dosierung (9-11). Die Dosierung von Alirocumab (12) und Statinen wird individuell angepasst. Statine werden entsprechend ihrer durchschnittlichen prozentualen LDL-C-Senkung in drei Gruppen eingeteilt (siehe Tabelle 1, modifiziert nach (5;6)).

Outcome

Für eine informierte Behandlungsentscheidung muss ein Patient abschätzen können, welchen individuellen Nutzen er von der Intervention erwarten kann und mit welchen Risiken zu rechnen ist. Patientenrelevante Endpunkte bilden ab, „wie ein Patient fühlt, seine Funktionen und Aktivitäten wahrnehmen kann oder wie lang er lebt“ (13). Die Senkung von Blutfetten ist kein patientenrelevanter Endpunkt, sondern ein Surrogatparameter, d. h. ein einfach und schnell zu messender Wert, bei dem eine Assoziation zu patientenrelevanten Endpunkten angenommen wird. Für den Leitfaden wurde nach Studien gesucht, welche die folgenden patientenrelevanten Endpunkte direkt untersuchen:

•    Gesamtmortalität
•    kardiovaskuläre Mortalität
•    nichttödliche Myokardinfarkte
•    nichttödliche Schlaganfälle (ischämisch oder jeglicher Ätiologie)
•    nicht geplante (operative oder interventionelle) kardiovaskuläre Interventionen
•    schwerwiegende unerwünschte Ereignisse

Darüber hinaus wurden bei der Extraktion unerwünschte Ereignisse erfasst, die bei spezifischen Lipidsenkern von besonderem Interesse sind (siehe Anhang A).

Evidenz

Für alle priorisierten PICO-Fragen erfolgte eine strukturierte Literaturrecherche in den Datenbanken Medline und Cochrane (Suchzeitraum, Suchbegriffe sowie Übersicht über die Ein-/Ausschlüsse siehe Anhang A). Für den neu zugelassenen Wirkstoff Bempedoinsäure wurde außerdem die Datenbank ClinicalTrials durchsucht. Ergänzend wurden die Literaturverzeichnisse relevanter Leitlinien gesichtet. Nach Einschätzung der AkdÄ sind im deutschen Versorgungskontext folgende Leitlinien von besonderer Bedeutung für die Therapie von Fettstoffwechselstörungen:

•    DEGAM Hausärztliche Risikoberatung zur kardiovaskulären Prävention, 2017 (2)
•    NVL KHK, 2022 (5)
•    ESC/EAS Guidelines for the management of dyslipidaemias, 2021 (3)
•    NICE Lipid modification, 2014 (4)
•    ACC/AHA Guideline on the Primary Prevention of Cardiovascular Disease, 2019 (14)
•    ACC/AHA Guideline on the Management of Blood Cholesterol, 2018 (6)

Die in den Leitlinien zitierten Studien wurden tabellarisch erfasst. Neben Autor, Publikationsjahr und Publikationstyp wurden auch die untersuchte Population, die Intervention und der Komparator standardisiert dokumentiert. Dies ermöglichte das Filtern der Tabelle entsprechend den jeweiligen PICO-Fragen (z. B. Sekundärprävention – Statin hochdosiert – Statin moderat/niedrig).

Die Volltexte wurden unabhängig voneinander von zwei Mitgliedern gescreent. Im Falle eines Dissens wurde unter Einbezug einer dritten Person über den Ein- bzw. Ausschluss entschieden. Die Extraktion erfolgte mithilfe einer zuvor in der Gruppe abgestimmten Extraktionstabelle mit wechselseitiger gegenseitiger Kontrolle durch zwei Mitglieder. Die Screening- und Extraktionstabellen zu den jeweiligen PICO-Fragen werden separat auf der AkdÄ-Website publiziert.

Die Ein- und Ausschlusskriterien basierten auf den zuvor definierten PICO-Elementen (siehe oben). Weitere formale Kriterien wurden vor dem Volltext-Screening durch die Arbeitsgruppe gemeinsam festgelegt. Um Risiken für einen Bias zu minimieren, wurden für den Leitfaden ausschließlich RCTs und systematische Reviews aus RCTs einbezogen. Bei Studien mit kleinen Gruppen oder kurzer Dauer ist nicht mit ausreichend hohen Ereignisraten bei klinisch relevanten Endpunkten zu rechnen, um statistisch signifikante Ergebnisse zu erreichen. Studien wurden deshalb nur mit einer Mindestgröße von 1000 Teilnehmern und einer Mindestdauer von einem Jahr eingeschlossen. Eine Ausnahme hiervon stellten Studien zu Bempedoinsäure dar. Daten zu patientenrelevanten Endpunkten waren für Bempedoinsäure erst ab 2023 von der Studie CLEAR Outcomes zu erwarten (15). Im Leitfaden wurden deshalb alle Phase-III-Studien zu Bempedoinsäure unabhängig von ihrer Größe und Dauer berücksichtigt.

Die methodische Qualität systematischer Übersichtsarbeiten wurde mithilfe des AMSTAR-Tools bewertet (16). Es wurde kein interner Cut-off-Wert für den Einschluss von systematischen Übersichtsarbeiten festgelegt. Das Ergebnis der AMSTAR-Bewertung ist in den Evidenztabellen dokumentiert. Die methodische Bewertung der Primärstudien orientiert sich an den SIGN-Checklisten (17). Die methodischen Stärken und Schwächen der Primärstudien werden im Text diskutiert.

2. Version der 1. Auflage

In die 1. Version konnten die Studie CLEAR Outcomes (15), der Report der U.S. Preventive Services Task Force (USPSTF) von 2022 (18) und eine neue Individualdatenanalyse der Cholesterol Treatment Trialists‘ Collaboration (CTT) (19) nicht einbezogen werden, da sie erst nach Redaktionsschluss der jeweiligen Kapitel veröffentlicht wurden. Für die 2. Version wurde unter Einbezug dieser Publikationen das Kapitel zur Bempedoinsäure aktualisiert und relevante Aspekte zur Wirksamkeit und Verträglichkeit der Statintherapie ergänzt. Es erfolgte zu keiner PICO-Frage eine erneute systematische Literaturrecherche. Eine komplette Überarbeitung des Leitfadens ist für 2024 vorgesehen.