Paxlovid™ – Probleme im praktischen Einsatz

Arzneiverordnung in der Praxis

Ausgabe 4/2022

Therapie aktuell

Die deutsche Ärzteschaft hat, damit zwischen Verordnung und Einnahmebeginn möglichst wenig Zeit vergeht, das Dispensierrecht speziell für dieses Präparat erhalten, ein in der Humanmedizin einmaliger Vorgang (1) (siehe nächste Seite). Erstaunlicherweise sind derzeit vor allem aus der Politik Rufe nach breiterem Einsatz des Kombinationspräparates Nirmatrelvir plus Ritonavir (Handelsname: Paxlovid™) zu vernehmen. Der Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zur frühen Nutzenbewertung nach § 35a SGB V und damit zum Zusatznutzen von Paxlovid™ wird im Dezember 2022 erwartet (2).

Auch wenn Paxlovid™ in Laienmedien und manchen Fachzeitschriften als therapeutischer Durchbruch bezeichnet wird, bedarf die Verschreibung oder Abgabe des Präparates an mit COVID-19 erkrankten Patienten differenzierter Überlegungen zu Indikation, therapeutischem Nutzen im Einzelfall und insbesondere zu Arzneimittelinteraktionen.

Zugelassen ist das Präparat zur Behandlung einer COVID-19-Erkrankung bei Erwachsenen, die keiner zusätzlichen Sauerstoffzufuhr bedürfen und ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf haben (3). Da letzteres in der Fachinformation nicht präzise beschrieben ist, sei auf die Risikokonstellationen gemäß Robert Koch-Institut (RKI) verwiesen. Diese bestehen bei Patienten ohne vollständige Immunisierung gegen COVID-19 (unzureichende Anzahl von Impfungen oder relevantes Risiko für ein unzureichendes Impfansprechen) sowie Patienten mit vollständiger Immunisierung und Immunkompetenz, aber komplexen Risikofaktoren (4). Aufgrund früherer Erhebungen besteht laut RKI ein stark erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf bei Alter ≥ 65 Jahren, Diabetes mellitus, chronischen Nierenbeschwerden und Adipositas mit BMI ≥ 40 kg/m² (5).

In der Zulassungsstudie zeigte sich in der Gesamtpopulation symptomatischer Patienten durch Gabe von Paxlovid™ im Vergleich zu Placebo als deutlichstes Ergebnis eine Verringerung der Hospitalisierungsrate von 6,2 auf 0,8 % (6). Das ist klinisch relevant. Die Übertragbarkeit dieser Ergebnisse auf die aktuelle Infektionssituation ist allerdings kritisch zu hinterfragen. Zum einen wurde die Studie in einer Phase der Pandemie durchgeführt, in der die Delta-Variante des Virus weltweit vorherrschte. Zum anderen waren von der Teilnahme Personen mit früherer COVID-19-Infektion oder jeglicher SARS-CoV-2-Impfung ausgeschlossen. In einer Subgruppenanalyse wies Paxlovid™ bei Patienten, die trotz des eigentlichen Ausschlusskriteriums bereits bei Studieneintritt seropositiv getestet wurden, keinen relevanten klinischen Benefit auf (7).

Das heißt im Umkehrschluss, dass es zur Effektivität von Paxlovid™ bei Geimpften, Genesenen und symptomfreien Personen keine belastbaren Daten gibt, genauso wenig wie zur Wirksamkeit gegenüber den aktuell vorherrschenden SARS-CoV-2-Varianten. Eine aktuelle Auswertung der Krankheitsverläufe von über 100.000 mit COVID-19 infizierten Patienten eines großen israelischen Gesundheitsdienstes zeigt eine niedrigere Hospitalisierungsrate in der Omikron-Welle insgesamt sowie das Fehlen eines klinischen Benefits von Paxlovid™ bei unter 65-jährigen Patienten (8).
Unklar ist die klinische Relevanz des regelmäßig berichteten Rebound-Phänomens, d. h. Rückkehr der Symptomatik oder der Kontagiosität nach Ende der fünftägigen antiviralen Behandlung. Hier müssen weitere Untersuchungen abgewartet werden. Es wird diskutiert, ob eine längere Isolation nach Behandlungsende erforderlich ist (9).

Abgabe von Paxlovid™ durch Hausärzte

Hausärzte dürfen seit August 2022 das oral anwendbare antivirale Medikament Paxlovid™ zur Behandlung von COVID-19 direkt an ihre Patienten abgegeben. Möglich ist eine Bevorratung von bis zu fünf Packungen je Arztpraxis. Der Bezug erfolgt über die Apotheke, in der sie üblicherweise auch den Sprechstundenbedarf beziehen (1).

Vertragsärzte stellen dazu eine Verordnung ohne Namensnennung auf dem Arzneimittelrezept (Muster 16) aus. Als Kostenträger geben sie, wie bei der Bestellung von Impfstoffen gegen COVID-19, das Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) mit dem IK 103609999 an. Nach Abgabe des Arzneimittels können in entsprechender Anzahl Nachbestellungen erfolgen.

Paxlovid™ wird übergangsweise mit einer englischen Verpackung und ohne Gebrauchsinformation in Verkehr gebracht (10). Der Arzt muss daher dem Patienten zusammen mit dem Arzneimittel die Gebrauchsinformation aushändigen, die auf der Internetseite des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte verfügbar ist: www.bfarm.de/covid-19-arzneimittel.

Für den Aufwand im Zusammenhang mit der Abgabe des Medikaments erhalten Ärzte eine Vergütung von 15 Euro je abgegebener Packung. Diese Regelung gilt für Abgaben bis 30. September. Praxen rechnen die Leistung mit der Pseudoziffer 88125 über ihre Kassenärztliche Vereinigung ab.

Auch vollstationäre Pflegeeinrichtungen können Paxlovid™ aus Apotheken beziehen und vorrätig halten. Die Abgabe an die Bewohner erfolgt auf Grundlage einer ärztlichen Verordnung. Möglich sind dort ebenfalls maximal fünf Therapieeinheiten; bei größeren Einrichtungen mit mehr als 150 Bewohnern bis zu zehn Packungen.

Das im praktischen Alltag größte Problem jedoch ist das Risiko von Arzneimittelinteraktionen. Ritonavir ist in Paxlovid™ nicht als therapeutischer Wirkstoff enthalten, sondern als gezielter pharmakokinetischer Interaktionspartner von Nirmaltrevir zur Verlängerung seiner antiviralen Wirkung. Als starker Inhibitor der 3A-Isoenzyme des P450-Cytochrom-Systems verzögert Ritonavir dessen metabolischen Abbau.

Daraus ergibt sich naturgemäß eine lange Liste von Arzneistoffen, mit denen Paxlovid™ interagieren kann. CYP3A4 ist das substratreichste Isoenzym dieser Oxygenasen-Superfamilie. Dies scheint von erhöhter klinischer Relevanz bei Arzneimitteln mit hohem First-Pass-Metabolismus zu sein.

Paxlovid™ ist kontraindiziert bei gleichzeitiger Einnahme von Arzneimitteln mit CYP3A-abhängigem Metabolismus, bei denen erhöhte Konzentrationen schwerwiegende Reaktionen bewirken können. Es sei davor gewarnt, nur die in der Fachinformation von Paxlovid™ eher spärlich gehaltenen Beispiele potenziell problematischer Interaktionen zu beachten. Zur Risikoabschätzung sollten vielmehr die einschlägigen Datenbanken für Arzneimittelinteraktionen herangezogen werden, wie sie beispielsweise die Website der National Institutes of Health (NIH) bereithält (11).

Als Kontraindikationen wird von NIH die gleichzeitige Einnahme aufgeführt von:

  • Antikonvulsiva: Carbamazepin, Phenobarbital, Phenytoin und Primidon;
  • Antiinfektiva: Glecaprevir/Pibrentasvir, Rifampicin und Rifapentin;
  • Herz-Kreislauf-Medikamente: Amiodaron, Clopidogrel, Dronedaron, Eplerenon, Flecainid, Ivabradin, Propafenon und Quinidin;
  • Neuropsychopharmaka: Clozapin, Lurasidon, Midazolam (oral) und Pimozid;
  • PDE-5-Inhibitoren: Sildenafil, Tadalafil und Vardenafil.

Die Kontraindikation gilt außerdem bei gleichzeitiger Einnahme von Johanniskraut, Bosentan, Voclosporin, Tolvaptan, Ergotalkaloiden, Lumacaftor /Ivacaftor sowie verschiedenen Chemotherapeutika.

Besonderer Überlegungen bedürfen klinische Situationen, in denen aufgrund der Interaktionsgefahr andere Arzneimittel für die Dauer der Paxlovid™-Einnahme abgesetzt werden müssen. Aufgrund der nur nachwirkenden Enzymhemmung müssen solche Medikamente über mindestens zwei bis drei weitere Tage nach Beendigung der Behandlung mit Paxlovid™ pausiert werden. Hier ist eine sorgfältige Abwägung des größeren Risikos durch Nichtverordnen von Paxlovid™ oder durch Absetzen der Komedikation erforderlich. Auf der NIH-Liste werden genannt:

  • Prostata-Medikamente: Alfuzosin und Silodosin;
  • Herz-Kreislauf-Medikamente: Aliskiren und Ranolazin;
  • Gerinnungshemmer: Phenprocoumon, Rivaroxaban, Ticagrelor und Vorapaxar;
  • Immunsuppressiva: Everolimus, Sirolimus, Tacrolimus;
  • Lipidsenker: Atorvastatin, Lomitapide, Lovastatin, Rosuvastatin und Simvastatin;
  • Migränemittel: Eletriptan, Rimegepant und Ubrogepant.

Diese Überlegungen müssen auch bei der Einnahme von Erythromycin, Salmeterol, Triazolam, Colchizin, Finerenon, Flibanserin, Naloxegol sowie einigen weiteren Chemotherapeutika angestellt werden.

Über die genannten Kontraindikationen hinaus bestehen zahlreiche weitere Interaktionsmöglichkeiten, die kein obligates Absetzen, eventuell aber eine Dosisreduktion der interaktionsgefährdeten Komedikation erforderlich machen. In allen Fällen müssen die Patienten engmaschig bezüglich des Auftretens unerwünschter Wechselwirkungen überwacht werden. Die dezidierte Auflistung der potenziellen Interaktionspartner würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen, weshalb auf die zitierte Website der NIH verwiesen sei (11).

Ein Interaktionscheck zu Paxlovid™ und anderen Arzneimitteln kann z. B. auf der Seite der University of Liverpool durchgeführt werden.

    Liverpool University: Liverpool COVID-19 Interactions Checker

    Auf der Seite der Liverpool University finden Sie ein kostenfreies, englischsprachiges Tool, um Interaktionen im Zusammenhang mit COVID-19-Therapie zu überprüfen. Interaktionspartner können dabei als Wirkstoff, Handelsname oder Wirkstoffklasse eingegeben werden: https://covid19-druginteractions.org/checker.

    Die rasch zu fällende Entscheidung für oder gegen Paxlovid™ bei Patienten mit positivem SARS-CoV-2-Nachweis erfordert eine sorgfältige Abwägung des gesundheitlichen COVID-19-Risikos bei Nichtverordnung gegenüber den durchaus vitalen Risiken durch Absetzen oder durch schwer kontrollierbare Veränderungen der Plasmakonzentrationen essenzieller Komedikationen wie beispielsweise Antiepileptika, Antiarrhythmika oder Gerinnungshemmer. Dies wird im Alltag einer allgemeinmedizinisch-/internistisch-hausärztlichen Praxis nur schwer zu leisten sein.

    Weitere Beiträge zu Paxlovid™ in diesem Heft:

    • Rebound-Phänomen nach Einnahme von Paxlovid™: Seite 199
    • Mögliche Medikationsfehler: Paxlovid™: Seite 214

    Literatur

    1. Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV): Hausärzte können Paxlovid direkt an ihre Patienten abgeben: https://www.kbv.de/html/1150_59560.php (letzter Zugriff: 13. Dezember 2022). Praxisnachrichten vom 19. August 2022.
    2. Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA): Nutzenbewertung nach § 35a SGB V: Nutzenbewertungsverfahren zum Wirkstoff Nirmatrelvir / Ritonavir (COVID-19, keine Erfordernis zusätzlicher Sauerstoffzufuhr, erhöhtes Risiko für schweren Verlauf): https://www.g-ba.de/bewertungsverfahren/nutzenbewertung/844/. Letzter Zugriff: 13. Dezember 2022.
    3. Pfizer Europe MA EEIG: Fachinformation Paxlovid™ 150 mg + 100 mg Filmtabletten: https://www.bfarm.de/SharedDocs/Downloads/DE/Arzneimittel/Zulassung/paxlovid-fachinformation-fachkreise.pdf (letzter Zugriff: 13. Dezember 2022). Stand: 14. November 2022.
    4. Robert Koch-Institut (RKI): Antivirale Therapie in der Frühphase einer SARS-CoV-2-Infektion bei Patienten mit Risikofaktoren für einen schweren Verlauf von COVID-19 (bei asymptomatischen Patienten oder Patienten mit milder COVID-19) Bewertung durch die Fachgruppe COVRIIN beim Robert Koch-Institut. 2022. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/COVRIIN_Dok/Antivirale_Therapie_Fruehphase.pdf (letzter Zugriff: 13. Dezember 2022). Stand: 22. November 2022.
    5. Robert Koch-Institut (RKI): Bevölkerung mit einem erhöhten Risiko für schwere COVID-19-Verläufe in Deutschland. Auswertungen der Studie GEDA 2019/2020-EHIS (Gesundheitsberichterstattung des Bundes gemeinsam getragen von RKI und DESTATIS): https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GBEDownloadsJ/JoHM_S2_2021_Risikogruppen_COVID_19.pdf (letzter Zugriff: 13. Dezember 2022). Journal of Health Monitoring 2021; 6 (S2).
    6. Hammond J, Leister-Tebbe H, Gardner A et al.: EPIC-HR Investigators: Oral nirmatrelvir for high-risk, nonhospitalized adults with Covid-19. N Engl J Med 2022; 386: 1397-1408.
    7. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ): Stellungnahme der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft zur frühen Nutzenbewertung gemäß § 35a SGB V: Nirmatrelvir/Ritonavir: COVID-19, keine Erfordernis zusätzlicher Sauerstoffzufuhr, erhöhtes Risiko für schweren Verlauf:   https://www.akdae.de/fileadmin/user_upload/akdae/Stellungnahmen/AMNOG/A-Z/Nirmatrelvir-Ritonavir/Nirmatrelvir-Ritonavir-221025.pdf (letzter Zugriff: 13. Dezember 2022). Berlin, 25. Oktober 2022.
    8. Arbel R, Sagy JW, Hoshen M et al.: Nirmatrelvir use and severe Covid-19 outcomes during the omicron surge. N Engl J Med 2022; 387: 790-798.
    9. Epling BP, Rocco JM, Boswell KL et al.: Clinical, virologic, and immunologic evaluation of symptomatic coronavirus disease 2019 rebound following nirmatrelvir/ritonavir treatment. Clin Infect Dis 2022: ciac663.
    10. Bundesinsitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM): Informationen zu Lagevrio® und Paxlovid®: https://www.bfarm.de/DE/Arzneimittel/Arzneimittelinformationen/covid-19-arzneimittel.html. Letzter Zugriff: 13. Dezember 2022.
    11. National Institute of Health (NIH): COVID-19 Treatment Guidelines: Drug-Drug Interactions Between Ritonavir-Boosted Nirmatrelvir (Paxlovid) and Concomitant Medications: https://www.covid19treatmentguidelines.nih.gov/therapies/antiviral-therapy/ritonavir-boosted-nirmatrelvir--paxlovid-/paxlovid-drug-drug-interactions/ (letzter Zugriff: 13. Dezember 2022). Stand: 26. September 2022.

    Interessenkonflikte

    Der Autor gibt an, keine Interessenkonflikte zu haben.