Isotretinoin und chronisch-entzündliche Darmerkrankung (Aus der UAW-Datenbank)

Deutsches Ärzteblatt, Jg. 109, Heft 20, 18.05.2012

Deutsches Ärzteblatt, Jg. 109, Heft 20, 18.05.2012

Informationen zur Indikation und Verordnungshäufigkeit von Isotretinoin

Isotretinoin (13-cis-Retinsäure) ist ein Derivat von Vitamin A. Die orale Anwendung ist zugelassen zur Behandlung von schweren Formen der Akne. Isotretinoin fördert u. a. die Differenzierung von Keratinozyten und bewirkt so eine Normalisierung der follikulären Verhornungsstörung (Hyperkeratose), die die Ursache der Verengung der Talgdrüsenausführungsgänge bei der Akne ist. Unter der Behandlung kommt es zu einer deutlichen Schrumpfung der Talgdrüsen.

Im Jahr 2010 wurden 6 Mio. DDD von oralen Isotretinoin-Präparaten verordnet; dies entspricht einer Steigerung von 7,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr (1).

Erhöht die orale Einnahme von Isotretinoin das Risiko einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung (CED)?

Aufgrund von Einzelfallberichten sowie einer Auswertung der Spontanmeldungen in der FDA-Datenbank (2) wird seit Jahren diskutiert, ob ein Zusammenhang zwischen der oralen Einnahme von Isotretinoin und dem Auftreten einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung (CED: Colitis ulcerosa, Morbus Crohn) bestehen könnte.

Zwei Fallkontrollstudien zu dieser Frage kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Eine Untersuchung von Patientendaten aus der kanadischen Provinz Manitoba fand bei 1960 CED-Fällen und mehr als 19.000 Kontrollen keinen Zusammenhang zwischen der Anwendung von Isotretinoin und dem Auftreten einer CED (3). Hingegen zeigte eine andere Studie anhand von Krankendaten von 55 Mio. US-Amerikanern ein deutlich erhöhtes Risiko für Colitis ulcerosa nach Einnahme von Isotretinoin (Odds Ratio 4,36; 95%-KI 1,97–9,66), jedoch nicht für Morbus Crohn (OR 0,68; 95%-KI 0,28–1,68) (4). Dabei war das Risiko einer Colitis ulcerosa mit der Dosis von Isotretinoin und der Therapiedauer positiv korreliert, was den Verdacht auf einen kausalen Zusammenhang unterstützt. Darüber hinaus bestätigte sich das Ergebnis bei zusätzlichen statistischen Analysen, mit denen Verzerrungen, wie z. B. durch falsche Diagnose einer CED oder der Hauterkrankung, vermindert werden sollten. Ebenfalls ausgeschlossen wurde ein von einer Isotretinoin-Gabe unabhängiger Zusammenhang zwischen Akne und CED.

Obwohl das relative Risiko, im Zusammenhang mit Isotretinoin eine Colitis ulcerosa zu entwickeln, in dieser Studie hoch ist, muss bedacht werden, dass das absolute Risiko gering ist: Bei einer Inzidenz von zehn Colitis-ulcerosa-Fällen pro 100.000 Patientenjahren lässt sich anhand der Ergebnisse eine Number needed to harm (NNH) von 2977 berechnen (5). Dies bedeutet, bei Behandlung von 2977 Patienten mit oralem Isotretinoin müsste mit einem zusätzlichen Fall von Colitis ulcerosa gerechnet werden.

Antibiotikaverordnung und Risiko einer CED

Ein möglicher Risikofaktor für die Entwicklung einer CED könnte auch die mehrfache Verordnung (≥ dreimal) von Antibiotika in den beiden Jahren vor Diagnose sein. Dies zeigt auch eine kürzlich publizierte Studie, die ebenfalls mit den Daten aus Manitoba durchgeführt wurde (6). Insofern wäre eine mögliche Antibiotikaeinnahme, die bei der Aknebehandlung durchaus üblich ist, ein potenzieller Störfaktor (Confounder) bei den beiden oben dargestellten Untersuchungen.

Fallbeispiel

Der AkdÄ wurde der Fall eines 19-jährigen Mannes berichtet, der wegen einer Akne vulgaris über sechs Monate mit Isotretinoin oral behandelt wurde (Dosierung: 10 mg pro Tag von März bis Oktober 2009). Im Dezember 2009 zeigte sich eine deutlich reduzierte Leistungsfähigkeit und 3–5 Stuhlgänge pro Tag. Im Januar 2010 entwickelte der Patient eine ausgeprägte hypochrome und mikrozytäre Anämie infolge Eisenmangels mit einem Hämoglobinwert (Hb) von 5,5 g/dl (MCV 63 fl, MCH 17 pg) Es erfolgte eine stationäre Abklärung. Die endoskopische Diagnostik ergab Normalbefunde für den oberen Gastrointestinaltrakt. Bei der Koloskopie fand man eine Pancolitis mit ausgeprägter entzündlicher Aktivität, histologisch eine mittelgradige chronische und aktive Pancolitis mit Schleimhauthyperplasie und Erosionen. Es erfolgte zunächst eine Kortikoidstoßtherapie mit rascher Dosisreduktion. Darunter kam es nur kurzzeitig zur Remission. Eine probiotische Therapie zeigte keinen wesentlichen Effekt. Nach sechs Monaten zeigte eine erneute Koloskopie den typischen Befund einer Pancolitis ulcerosa, so dass eine systemische Therapie mit Mesalazin und Budenosid begonnen wurde. Darunter ist der Patient klinisch in Remission. Eine koloskopische Kontrolle im Januar 2012 zeigte eine geringgradige Pancolitis ohne Ulzerationen.

Fazit und Empfehlung der AkdÄ

Es gibt Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Colitis ulcerosa durch orale Behandlung mit Isotretinoin, obwohl die Daten aus zwei Fallkontrollstudien uneinheitlich sind. Ob tatsächlich eine kausale Assoziation besteht, muss durch weitere Untersuchungen bestätigt werden. Der zugrundeliegende Pathomechanismus ist unklar. In der Fachinformation von Isotretinoin werden Kolitis, Ileitis, gastrointestinale Blutungen, hämorrhagische Diarrhö und entzündliche Darmerkrankung als sehr seltene Nebenwirkungen aufgeführt. Patienten beziehungsweise deren Angehörige sollten vor Beginn einer Behandlung mit Isotretinoin über diese mögliche Assoziation informiert und die Symptomatik einer Colitis ulcerosa aufgeklärt werden.


Literatur
  1. Schwabe U, Paffrath D (Hrsg.): Arzneiverordnungs-Report 2011. Berlin, Heidelberg: Springer Medizin Verlag, 2011.
  2. Reddy D, Siegel CA, Sands BE, Kane S: Possible association between isotretinoin and inflammatory bowel disease. Am J Gastroenterol 2006; 101: 1569–73.
  3. Bernstein CN, Nugent Z, Longobardi T, Blanchard JF: Isotretinoin is not associated with inflammatory bowel disease: a population-based case-control study. Am J Gastroenterol 2009; 104: 2774–8.
  4. Crockett SD, Porter CQ, Martin CF, et al.: Isotretinoin use and the risk of inflammatory bowel disease: a case-control study. Am J Gastroenterol 2010; 105: 1986–93.
  5. Popescu CM, Popescu R: Isotretinoin therapy and inflammatory bowel disease. Arch Dermatol 2011; 147: 724–9.
  6. Shaw SY, Blanchard JF, Bernstein CN: Association between the use of antibiotics and new diagnoses of Crohn's disease and ulcerative colitis. Am J Gastroenterol 2011; 106: 2133–42.